St. Paulis Neuzugang Gerald Asamoah über das Leben mit einem schweren Leiden, Liebe, Lokalderbys und andere Herzensangelegenheiten.

Hamburg. Schon vor seinem Wechsel zum FC St. Pauli flogen Gerald Asamoah am Millerntor die Sympathien zu. Menschlich ist der 43-malige Nationalspieler eine Bereicherung für den Kiezklub, sportlich konnte er dies wegen einer Sehnenverletzung noch nicht unter Beweis stellen. Beim Derby gegen den HSV kommenden Sonntag soll es nun so richtig losgehen.

Abendblatt:

Herr Asamoah, Sie haben Ihren Wechsel zum FC St. Pauli als Herzenssache bezeichnet. Warum kann man Ihnen diese Aussage abnehmen?

Gerald Asamoah:

Mit Herzenssache meine ich, dass ich voll hinter der Entscheidung stehe. Natürlich weiß jeder, dass ich Schalke viel zu verdanken habe, den Verein liebe. St. Pauli war der einzige Klub, bei dem ich mir vorstellen konnte, dass ich dort auch hinpasse. Mir ist klar, dass viele Profis heute ein Wappen küssen und morgen woanders sind. So einer war ich noch nie.

St. Pauli war für Sie schon mal eine Herzensangelegenheit, wenn auch in einem völlig anderen Kontext. War Ihnen das bei Ihrem Wechsel bewusst?

Asamoah:

Ja, klar. Das ist schon krass, dass ich gegen Ende meiner Karriere bei dem Verein lande, gegen den ich vor zwölf Jahren beinahe mein letztes Spiel gemacht hätte. Wir haben damals mit Hannover 3:0 gegen St. Pauli gewonnen, anschließend hatte ich diesen Schwächeanfall. Die Ärzte stellten danach fest, dass ich eine Verdickung des Herzmuskels habe. Es waren lehrreiche Monate für mich, weil ich gesehen habe, wie schnell alles vorbei sein und auf welche Leute ich mich verlassen kann. Im Endeffekt bin ich froh, dass es so gekommen ist. Im Gegensatz zu vielen anderen weiß ich, dass ich etwas habe, auf das ich achten muss.

Eine hypertrophe, nicht obstruktive Kardiomyopathie. Das können auch nur Spezialisten oder Betroffene wie Sie aussprechen.

Asamoah:

Ehrlich gesagt kann ich das auch nicht wirklich. Es reicht doch auch zu erklären, dass man etwas am Herzen hat oder man sagt eben Herzmuskelverdickung. Medizinische Fachbegriffe brauche ich nicht.

Stimmt es, dass zu 99 Prozent nichts passieren kann und Sie das Restrisiko selbst tragen müssen?

Asamoah:

Ja, das stimmt. Ich bin immer noch den Ärzten unglaublich dankbar, die mir damals bescheinigt haben, dass ich weiter Fußball spielen kann. Jetzt steht für mich immer ein Defibrillator bereit, natürlich muss ich auch Medikamente nehmen.

Stehen die auf der Dopingliste?

Asamoah:

Im Gegenteil, die hemmen sogar eher die Leistung.

Das heißt, ohne Medikamente wären Sie ein noch besserer Spieler?

Asamoah:

Möglicherweise ja.

Zuletzt ist es mehrfach vorgekommen, dass Fußballer auf dem Platz an plötzlichem Herztod gestorben sind. Macht Sie das besonders nachdenklich?

Asamoah:

Nachdenklich macht mich das schon. Da geht es aber weniger um meine Person, weil ich weiß, dass ich unter ständiger Beobachtung stehe. Bei den Spielern, die gestorben sind, hatte sich vielleicht etwas unbemerkt eingenistet. So hätte es mir auch ergehen können, wenn man mir nicht rechtzeitig geholfen hätte.

Jetzt helfen Sie anderen, haben die Gerald- Asamoah-Stiftung für herzkranke Kinder gegründet. Wie kam es dazu?

Asamoah:

Als bei mir die Krankheit festgestellt wurde, habe ich mir gesagt, dass ich etwas tun möchte, wenn es mir wieder gut geht. Kinder haben eine Zukunft. Für sie kann ich vielleicht insofern als Vorbild dienen, dass man auch mit einer solchen Erkrankung im Leben etwas erreichen kann. Unser großes Ziel ist es, in Ghana eine Herzklinik zu eröffnen, in der Kinder operiert werden können. Einen geeigneten Arzt gibt es vor Ort. Ich habe auch schon deutsche Ärzte kennengelernt, die bereit wären, in Ghana zu operieren. Dort könnte ich viel mehr Kindern helfen, als wenn man einzelne nach Deutschland fliegt.

Fühlen Sie sich genug unterstützt?

Asamoah:

Es ist schon schwer. Viele Leute denken, dass ich ein Fußballer bin und das schon allein richten könne. Ich tue auch, was ich kann. Aber ohne Unterstützung ist es schwierig. Klar ist natürlich auch, dass es viele Stiftungen von prominenten Personen gibt, die um Spenden werben. Nicht immer ist es allerdings so, dass die Leute so damit verbunden sind wie ich durch meine eigene Erkrankung.

Also nicht mit vollem Herzen dabei sind. Ist Ihnen eigentlich mal aufgefallen, wie viele Wörter und Redewendungen es im Deutschen mit Herz-Bezug gibt?

Asamoah:

Ja, das hängt wohl damit zusammen, wie wichtig das Herz ist.

Herzlichkeit ist ein schönes Wort. Sind Sie ein herzlicher Mensch?

Asamoah:

Ich denke schon. Herzlichkeit verbinde ich immer auch mit Hilfsbereitschaft. Man weiß nie, was morgen mit einem selbst passiert, also sollte man anderen immer helfen, wenn man kann.

Waren Sie bei aller Herzlichkeit auch schon mal ein Herzensbrecher?

Asamoah (lacht):

Ich bin ja seit 2002 verheiratet, aber früher habe ich schon mal hier und da ein Herz gebrochen, genau wie mir auch mal das Herz gebrochen wurde. Aber zum Glück ändern sich die Zeiten ja.

Sie haben mal gesagt, dass Sie in Ghana geboren, aber im Herzen ein Deutscher sind. War das auch ein Prozess?

Asamoah:

Ja. Ich bin mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen, bin hier aufgewachsen und habe bestimmte Eigenschaften mit der Zeit angenommen: Zielstrebigkeit, Pünktlichkeit. Wenn man zum Beispiel einem Afrikaner sagt: "Komm morgen um neun Uhr", kommt er um elf. Früher kam ich auch zum Training oder zum Treffen vor dem Spiel zu spät. Da haben die mir dann extra die falsche Zeit gesagt, damit ich rechtzeitig da war. Irgendwann musst du lernen, wie das Leben hier läuft, dich anpassen. Sonst kannst du nie deine Ziele erreichen.

Was haben Sie sich von der afrikanischen Mentalität bewahrt?

Asamoah:

Eine gewisse Lockerheit. Bei aller Zielstrebigkeit darf man eben auch nicht alles total verbissen sehen.

Was ist für Sie herzlos?

Asamoah:

Herzlos ist für mich einer, der jemanden nicht als Mensch akzeptiert, weil er anders ist. Jemanden auszugrenzen, zu mobben, empfinde ich auch als herzlos.

Berührt Sie so etwas auch emotional?

Asamoah:

Mich machen Menschen traurig, die mich schwer enttäuschen. Grundsätzlich bin ich jemand, der viel einstecken kann. Bei mir kommen eher mal die Tränen, wenn man es nicht erwartet.

Wann war das letzte Mal?

Asamoah:

An Silvester. Da habe ich ein paar Dinge Revue passieren lassen, war mit vielem nicht zufrieden. Da hab ich vor meiner Frau geweint. Bei ihr weiß ich, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen kann. Sie hat mir nicht nur drei wunderschöne Kinder geschenkt, sondern auch schon ganz oft den richtigen Weg gewiesen.

Wann haben Sie außer bei ihr noch Herzklopfen?

Asamoah:

Wenn ich beispielsweise im Trainingslager meine Kinder lange nicht sehe, habe ich Herzklopfen vor dem Wiedersehen. Ich habe Zwillinge im Alter von drei Jahren und noch eine ganz kleine Tochter. Das ist schon etwas ganz Besonderes, die Kinder wieder in die Arme zu schließen.

Herbeisehnen dürften Sie auch das erste Pflichtspiel für Ihren neuen Klub.

Asamoah:

Klar bin ich heiß darauf. Erst dann werde ich endgültig bei St. Pauli angekommen sein. Ich wollte aber jetzt nichts überstürzen, es im Training nicht übertreiben und einen Rückschlag riskieren. Mein Ziel ist es, zum Derby gegen den HSV wieder fit zu sein. Ich hoffe, das klappt.

In Sachen Derby-Erfahrung macht Ihnen als Ex-Schalker so schnell niemand etwas vor. Bleibt Borussia Dortmund auch mit St. Pauli Ihr Lieblingsgegner?

Asamoah:

Am Anfang habe ich die Rivalität zwischen Schalke und Dortmund gar nicht verstanden. Wenn du aber jahrelang in einem Verein wie Schalke spielst, nimmst du das einfach in dir auf. Irgendwann war für mich sogar die Stadt Dortmund tabu. Für die Dortmunder war und bin ich der Hasstyp, was irgendwie auch verständlich ist, weil ich gegen die immer noch ein bisschen mehr gegeben habe.

St.-Paulis-Fans verlangen genau das von Ihnen gegen den HSV.

Asamoah:

Klar, das ist auch für mich kein völlig normales Spiel. Man merkt doch jetzt schon im Vorfeld, wie das alles gesehen wird. In Derbys muss man kratzen, beißen, das kann dann auch mal ein wenig über das Erlaubte hinausgehen. Dazu bin ich bereit.

Sie haben ja mit dem HSV auch so etwas wie eine lebenslange Rechnung offen.

Asamoah:

Warum?

Weil sich der HSV 2001 am letzten Spieltag in der Nachspielzeit noch den Bayern-Freistoß einschenken ließ und für Sie der schon sicher geglaubte Meistertitel mit Schalke futsch war.

Asamoah:

Das war ein ganz bitteres Erlebnis, ein echter Schlag. Das war auch so eine Situation, bei der ich im Anschluss geweint habe.

Wird es mit St. Pauli am Ende der Saison auch zu einer Art Herzschlagfinale im Kampf gegen den Abstieg kommen?

Asamoah:

Ich habe in meinem Leben nie gegen den Abstieg gespielt, deshalb wäre das für mich Neuland. Ich denke aber immer positiv und glaube deshalb, dass wir vorzeitig nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben werden.