Nach sehr guter erster Halbzeit und Kruses Tor stellte die Mannschaft den Spielbetrieb ein. Stanislawskis harsche Kritik: “So schlecht wie noch nie.“

Hamburg. Er ist einer, der sich Fans und Medien immer stellt. Nach guten Spielen wie nach schlechten Leistungen. Insofern sorgte Ralph Gunesch im Anschluss an den 1:0-Sieg gegen Alemannia Aachen kurzzeitig für Verwunderung. Ungewohnt einsilbig präsentierte sich der Innenverteidiger in den Katakomben des Millerntor-Stadions, hatte dann aber eine nachvollziehbare Erklärung parat: "Entschuldigung, aber mein Gesicht ist eingefroren."

Minus 20 Grad Celsius hatte eine Messung der gefühlten Temperatur vor dem Anpfiff auf dem Rasen ergeben. Der eisige Wind, der ungebremst über die Haupttribünen-Baustelle auf den Platz fegte, bewirkte einen Rekordwert auf dem Thermometer und bereitete den Akteuren zusätzliche Probleme. Bereits die Platzverhältnisse hatten für Kuriositäten gesorgt. Während die Spieler im Zentrum bei der Schuhwahl mehrheitlich auf Multinoppen setzten, waren auf den Flanken Stollen gefragt. "In der Mitte war der Boden hart wie Beton, außen dagegen richtig weich", berichtete Mittelfeldspieler Matthias Lehmann. Und auch sonst war es ein Spiel der Gegensätze.

Aller widrigen Umstände zum Trotz gelang es den Hamburgern zunächst, die 19 630 frierenden Zuschauer - im Stadion wurden keine heißen Getränke angeboten - mit schnellem Kurzpassspiel zu erwärmen. Mit Unterstützung von den Außenpositionen, wo Bastian Oczipka auf der linken Seite debütierte, initiierte die Offensivabteilung immer wieder gefährliche Aktionen. Die Schnittstellen in der Aachener Hintermannschaft wurden gesucht und gefunden. Kruses Führungstor nach einer halben Stunde war hoch verdient, ein Eckenverhältnis von 5:0 zur Pause unterstrich die braun-weiße Überlegenheit, die sich nach dem Wiederanpfiff überraschend verkehrte. 0:5 Ecken waren das Resultat der zweiten 45 Minuten, in denen Aachen die Partie dominierte und diktierte, dem fälligen Ausgleich aber dennoch nie nahe war. Das Kunststück von Aachens Casper, der den Ball sechs Meter vor Mathias Hain stehend nicht über die Tor- sondern über die Außenlinie beförderte, stand am Ende als negativer Höhepunkt einer eklatanten Ineffizienz. "Wir hatten mehr Glück als Geschick", fand Holger Stanislawski, dessen Mannschaft sich keine einzige Torchance mehr erspielen konnte und den Gegner gewähren ließ.

Ungewohnte Passivität, der Stanislawski mit ungewohnt harscher Kritik begegnete: "Das war einfach nur noch konfus. Diese Leistung, ohne Mut und ohne Bereitschaft in den Zweikämpfen ärgert mich maßlos. Das war die schwächste Halbzeit in dieser Saison. So schlecht waren wir noch nie", grantelte der Trainer, der fast persönlich beleidigt wirkte, bei der Spurensuche nach den Gründen des Einbruchs aber zumindest kurz seinen Humor wiederfand: "Wir haben in der Pause erstmals Tee ausgeschenkt. Vielleicht hatte der zu lange gezogen. Auf unsere Spieler schien er ja beruhigende Wirkung gehabt zu haben."

Die wahren Ursachen und die Konsequenz daraus wolle er der Mannschaft in den kommenden Tagen mitteilen. Die Spieler demonstrierten allesamt Ratlosigkeit. "Ich weiß es wirklich nicht", sagte Gunesch und zuckte mit den Schultern. Eine kurze Antwort, die in diesem Fall nichts mit unterkühlter Gesichtsmuskulatur zu tun hatte.

St. Pauli: Hain - Rothenbach, Morena, Gunesch, Oczipka - Boll, Lehmann - Bruns (66. Naki), Hennings (67. Sukuta-Pasu), Kruse (83. Bourgault) - Ebbers.

Aachen: Stuckmann - Demai, Herzig, Olajengbesi, Casper - Fiel (83. Nemeth) - Adlung, Burkhardt, Kratz, Milchraum (77. Auer) - Gueye.

Tor: 1:0 Kruse (31.). Schiedsrichter: Zwayer (Berlin). Zuschauer: 19 630. Gelb: Ebbers (3.).