St.-Pauli-Präsident Stefan Orth und Vize Bernd Spies rechtfertigen die Trennung von Sportchef Helmut Schulte und verlangen neues Denken.

Hamburg. Auch beim Interview mit den Abendblatt-Reportern haben Präsident Stefan Orth und Vizepräsident Bernd Spies die Zukunft des FC St. Pauli durch die Fenster des Ballsaals in der Südtribüne stets im Blick. Während einen Freistoß entfernt die Bauarbeiter am Bau der neuen Gegengerade werkeln, spricht die Chefetage des Kiezklubs über die Turbulenzen der vergangenen Wochen und die ehrgeizigen Pläne für die kommenden Jahre.

Hamburger Abendblatt: Herr Orth, Herr Spies, der FC St. Pauli geht in die kommende Saison mit Trainer André Schubert, dessen Entlassung bereits beschlossen war. Gehen muss stattdessen mit Sportchef Helmut Schulte das Gesicht dieses Vereins. Können Sie verstehen, dass viele beim FC St. Pauli das Präsidium überhaupt nicht mehr verstehen?

Stefan Orth: Sie vergessen, dass wir inzwischen mit Rachid Azzouzi einen Top-Mann als neuen Sportchef verpflichtet haben. Ein Glücksfall. Er hat bei Aufsteiger Greuther Fürth fantastische Arbeit geleistet. Deshalb möchten wir eigentlich jetzt nach vorne schauen. Aber natürlich müssen wir zugeben, dass die Entscheidungswege der vergangenen Wochen auch nicht unseren Vorstellungen und unserer Philosophie entsprachen.

Die Entlassung von Trainer André Schubert hatte das Präsidium einstimmig beschlossen. Schubert ist doch angeschlagen, bevor das erste Spiel überhaupt angepfiffen wird.

Bernd Spies: Das sehe ich völlig anders. Es stimmt, dass die Tür fast zugeschlagen war. Aber dann hat uns der Trainer in einem langen Gespräch - in dem er offen Fehler im Umgang auch mit Spielern eingestanden hat - überzeugt, dass er bereits viele Dinge korrigiert hat und zukünftig einen anderen Kurs einschlagen wird. Seine überragenden sportlichen Qualitäten standen für uns ohnehin nie zur Debatte.

Orth: Mir hat imponiert, dass Schubert ganz offen Fehler zugegeben hat. Er hat unser volles Vertrauen.

Das hatten Sie in Helmut Schulte nicht mehr, obwohl seine Transferbilanz hervorragend ist. Andere Vereine hätten ihm einen Rentenvertrag gegeben.

Orth: Mich stört an der ganzen Diskussion, dass diese Transfers nur mit Helmut Schulte verbunden werden. Helmut Schulte ist nicht der FC St. Pauli. Er hat sehr gute Arbeit geleistet, keine Frage. Aber es war immer ein Team, das die Entscheidungen getroffen hat.

Spies: In den Gesprächen mit Helmut gab es einen Punkt, in dem er eine Vertragsverlängerung bis 2016 anstrebte. Er wollte nach der Entwicklung um André Schubert einen klaren Vertrauensbeweis. Dann haben wir seitens des Präsidiums entschieden, einen solch langen Zeitraum nicht mitzugehen. Am Ende stand dann die Entscheidung, dass es für beide Seiten besser ist, sich zu trennen.

Azzouzi, seinem Nachfolger auf der Position des Sportchefs, geben Sie sogar einen Vier-Jahres-Vertrag. Das passt doch alles nicht zusammen.

Orth: Wir haben in den Gesprächen mit Helmut festgestellt, dass sich unsere Philosophien auseinanderentwickelt haben.

Helmut Schulte stand immer dafür, dass der FC St. Pauli einen Platz unter den Top 25 der deutschen Profivereine anstreben sollte.

Spies: Und das reicht uns eben nicht mehr. Die Top-25-Strategie war vor vier Jahren genau richtig. Aber jetzt bauen wir ein Stadion, von dem wir früher geträumt hätten. Im Herbst haben wir ein Stadion für 29 000 Zuschauer. Wir investieren 2,5 Millionen Euro in unser Nachwuchsleistungszentrum. Mit diesen wirtschaftlichen Erfolgen müssen unsere Ziele auch steigen.

Also heißt das Ziel jetzt Aufstieg in die Bundesliga. André Schubert wird sich bedanken.

Orth: Nein, das wäre doch vermessen. Aber wir sagen jetzt klar, dass wir oben mitspielen müssen. Und innerhalb von drei Jahren möchten wir unseren Fans wieder Erstligafußball bieten.

Spies: Ich akzeptiere jedenfalls nicht mehr das Argument, dass unser Etat nicht reicht. Es ist nicht alles eine Sache des Geldes. Wir müssen einfach mutiger und ambitionierter auftreten, in allen Bereichen besser werden.

Orth: Wir müssen raus aus der Komfortzone, aus der Lethargie.

Belastet wurde Ihr Verhältnis zu Helmut Schulte auch durch die Verzögerung beim Umbau des Trainingsgeländes an der Kollaustraße. Ein Projekt im Verantwortungsbereich des Sportchefs.

Spies: Jeder, der mal ein Haus gebaut hat, weiß, dass der Teufel im Detail steckt. Es wäre gut gewesen, wenn wir ein Signal bekommen hätten, dass es Schwierigkeiten gibt. Dann kann man mit Personal gegensteuern. So stehen wir jetzt vor komplizierten Budgetnachverhandlungen.

Sie haben Helmut Schulte in dem Gespräch auch vorgeworfen, dass zu wenige aus dem eigenen Nachwuchs den Sprung in die Profimannschaft schaffen.

Spies: Wenn ich mich recht erinnere, war Dennis Daube der einzige Spieler, der dies in den vergangenen vier Jahren geschafft hat. Das ist einfach zu wenig. Gerade für den FC St. Pauli ist eine starke Durchlässigkeit zwischen Nachwuchs und Profiabteilung eminent wichtig. Wir brauchen dies als Argument, wenn wir um Top-Jugendspieler kämpfen. Wir können dies nicht mit viel Geld. Sondern wir müssen sagen: Bei uns hast du allerbeste Chancen, den Sprung zu packen. Deshalb ist es ab sofort auch verpflichtend, dass ab der U17 alle Mannschaften die Taktik des Profiteams übernehmen.

Orth: Aber wir werden auch in die erste Mannschaft investieren. Die Rückrunde hat uns nicht gefallen. Wir müssen vor allem in der Offensive besser werden, uns mit einem Top-Mann verstärken. Die finanziellen Möglichkeiten haben wir, zumal wir den Kader von 28 auf 24 Spieler verkleinern werden.

Wird sich das Präsidium künftig stärker in den sportlichen Bereich einmischen?

Spies: Bitte lassen Sie mich vorab mit einer Mär aufräumen. Wir haben hier nicht die Ohren an jeder Tür, um nachzuhören, wie sich jeder einzelne Spieler fühlt. Das ist nicht unser Stil. Aber wir sind ein aktives Präsidium. Und eine Lehre aus den Ereignissen der vergangenen Wochen ist, dass wir unsere Strukturen weiter anpassen müssen, um schneller reagieren zu können.

Orth: Wir hätten einfach mit André Schubert viel früher die Gespräche suchen müssen. Wir haben zwar geredet, aber nicht oft genug. Das hat leider dazu geführt, dass wir uns auf den falschen Mann eingeschossen haben.

Spies: Ich gebe zu, dass mich die harte mediale Kritik der vergangenen Wochen auch verletzt hat. Jeder stellt sich in den Dienst der Sache, niemand will hier seine persönlichen Eitelkeiten befriedigen. Und wir arbeiten hier ehrenamtlich, stoßen privat wie beruflich immer stärker an unsere Grenzen.

Orth: Ich habe jeden Monat 35 bis 40 Termine für den FC St. Pauli. Wir ha-ben vor Heimspielen oft so lange gearbeitet, dass wir den Anpfiff manchmal fast verpasst hätten. Erst zu den Klängen von "Hells Bells" (Einlaufmusik bei Heimspielen, die Red.) sind wir dann raus.

Braucht der FC St. Pauli angesichts dieser Herausforderungen nicht doch ein hauptamtliches Präsidium?

Spies: Auf jeden Fall müssen wir unsere Strukturen diskutieren. Wir entwickeln uns in Sachen Wirtschaftskraft und Infrastruktur immer weiter, haben aber eine etwas antiquierte Satzung.

Orth: Die chronische Überlastung führt dann dazu, dass wir bei der Trainerentscheidung mitunter zu kurz springen. Aber um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Weder ich noch meine vier Präsidiumskollegen haben irgendein Interesse, künftig hauptamtlich für den FC St. Pauli tätig zu werden. Der Klub könnte sich ohnehin nicht leisten, dieses Präsidium aus den jetzigen Jobs herauszukaufen.

Sehen Sie eine andere Lösung?

Orth: Ein Modell könnte sein, dass das Präsidium auf Teilzeitbasis entschädigt wird. Dann könnte sich jeder ein oder zwei Tage in der Woche wirklich nur um den Verein kümmern.