“Mein Moment“ ist die Abendblatt-Serie zur Aufstiegssaison des FC St. Pauli. Heute im zweiten Teil: Kapitän und Verteidiger Fabio Morena.

Hamburg. Es liefen die finalen Minuten im Fürther Playmobil-Stadion, und Fabio Morena hatte das Gefühl, die ganze Welt umarmen zu können. Teamkollege Rouwen Hennings hatte soeben das 4:1 für den FC St. Pauli bei der die SpVgg Greuther Fürth erzielt und damit auch Morenas letzte Zweifel am Aufstieg beseitigt. Nur der Abpfiff und ein bedeutungslos gewordenes Spiel gegen den SC Paderborn trennten den Kapitän noch von der Erfüllung seines Traums. Er suchte also nach jemandem, mit dem er das Gefühl dieses Augenblicks teilen konnte und fand ihn in Carsten Rothenbach. Die Welt des im oberschwäbischen Musbach geborenen Deutschitalieners Morena war plötzlich 1,85 Meter groß.

"Mein Moment", Teil 1: Holger Stanislawski - Fingerzeig am neunten Spieltag

Die beiden Verteidiger lagen sich für Sekunden in den Armen, drückten sich, so wie Männer ohne tiefere Absichten es wohl nur auf dem Fußballplatz tun. Was um sie herum passierte, war zweitrangig geworden. Der Ball rollte irgendwo in der Hälfte des Gegners, die Partie war ohnehin gelaufen. Und so standen der Spielführer und sein ebenfalls aus Baden-Württemberg stammender Stellvertreter auf dem Platz und konnten ihr Glück kaum fassen. Zwei Süddeutsche, die mit den Freibeutern aus dem Norden die Beletage des deutschen Fußballs entern.

"Diesen Moment, diese Minuten rund um den Abpfiff, habe ich einfach nur genossen", erzählt Morena. "Das ist etwas, woran man sich auf dem Sterbebett noch erinnern wird." Um die Bedeutung des Erreichten für den Profi zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit, wie ihn der 30-Jährige selbst in den Tagen vor dem Fürth-Spiel warf, als er schlaflos vor Anspannung in seinem Bett lag. An jenem Morgen erinnerte er sich, wie er vor sieben Jahren erstmals das Millerntorstadion betreten hatte, voller Erwartungen, von denen viele enttäuscht wurden. St. Pauli habe damals keine echte Mannschaft, keine Struktur und eigentlich keine Zukunft gehabt, nur den Willen, den Verein am Leben zu erhalten. Es war die Zeit der Rettershirts und Spendenaktionen. "Solche Sympathien hatte ich noch nie bei einem Klub erlebt. Das steckt an."

Ein echtes sportliches Glanzstück gelang Morena erst in der Saison 2005/2006, als der Kiezklub nach Siegen gegen Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen erst im Halbfinale des DFB-Pokals am FC Bayern München scheiterte. "Das war das erste Jahr, in dem ich mich wie ein richtiger Fußballer gefühlt habe, weil wir uns sportlich mit großen Mannschaften aus der Bundesliga messen und bestehen konnten", sagt Morena, der über den Nachwuchs des VfB Stuttgart und den spanischen Zweitligaklubs Hercules Alicante nach Hamburg gekommen war.

Der Abwehrspieler hoffte, nach den Pokalerfolgen auch mit St. Pauli in die Zweitklassigkeit vorzustoßen. Doch die erste Phase der Folge-Saison verlief enttäuschend: "Da habe ich schon gedacht, das war's, aus der Traum von der Bundesliga. Ein ewiger Drittligakicker, was für eine super Karriere." Am Ende gelang der Aufstieg doch noch. Keiner habe damals geahnt, dass noch etwas viel Größeres folgen würde. Etwas, das anno 2010 überall Thema war, in Zeitungen, Gesprächen mit Fans, Freunden, Familie und Kollegen.

Obwohl St. Paulis Verantwortliche und die Mannschaft immer predigten, keinen besonderen Druck zu spüren, hinterließ dies Spuren auf der Spielerseele. Auch beim zweifachen Vater Morena, der nach einer Hirnhautentzündung im Vorjahr in dieser Saison 30 der bislang 33 Spiele komplett absolvierte. "Ich war seit Wochen aufgeregt, musste mir an Spieltagen von meiner Frau Gesänge anhören wie ,Du hast die Hosen voll, Du hast die Hosen voll...' Wen wundert es da noch, dass sich in jenen Minuten von Fürth bei Morena alles entlud - rein emotional natürlich.

Lesen Sie morgen im dritten Teil: Der Fan "Mini".