Hamburg. Werder Bremen profitierte von zwei strittigen Handelfmetern. Der HSV schimpft auf den Schiedsrichter, der sich im TV stellt.

Die letzten Minuten verfolgten die über weite Strecken der zweiten Hälfte resigniert wirkenden HSV-Fans frustriert von der Tribüne. So richtig glauben konnte kaum einer der 25.000 Zuschauer, wie diese 2:3 (0:1)-Heimniederlage im 110. Nordderby zustande kam, bei der die Hamburger zwei nahezu identische Handelfmeter verursachten.

Zu Spielbeginn blockte Jonas Meffert im Strafraum einen Schuss von Bremens Ömer Toprak mit dem ausgestreckten Arm ab, in der zweiten Hälfte kopierte Bakery Jatta diese regelwidrige Aktion bei einem Schuss Mitchell Weisers. Zwei unglückliche Szenen waren mindestens eine zu viel und letztlich spielentscheidend für den Ausgang dieses Spitzenspiels der Zweiten Liga.

Schiedsrichter Siebert erklärt Elfmeter

Beide Situationen wurden erst durch das Eingreifen des Kölner Videoschiedsrichters aufgedeckt. "Eigentlich heißt es, der Videoschiedsrichter soll nur eingreifen, wenn es eine klare Fehlentscheidung ist. Das war aber niemals eine klare Fehlentscheidung. Das ist für mich lächerlich", schimpfte Unglücksrabe Meffert bei Sky.

"Nach aktueller Regelauslegung ist es ein strafbares Handspiel: Der Arm blockt den Schuss", entgegnete Schiedsrichter Daniel Siebert, der sich im TV stellte und auch seinen zweiten Elfmeterpfiff erklärte. "Die Hand ist fast auf Kopfhöhe. Der Ball ist erwartbar, in beiden Elfmeterszenen übrigens. Deshalb ist es kein Alibi, auch wenn er sich wegdreht, die Hand auf dieser Höhe zu halten."

Ein häufiges Bild im Nordderby: Schiedsrichter Daniel Siebert blickt in die Röhre.
Ein häufiges Bild im Nordderby: Schiedsrichter Daniel Siebert blickt in die Röhre. © Witters

Bremen durch Elfmeter sogar benachteiligt

Überhaupt stand Schiedsrichter Daniel Siebert mehr im Mittelpunkt, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Den ersten Elfmeter für Bremen, den Marvin Ducksch verwandelte, hätte es womöglich gar nicht geben dürfen. Stattdessen hätte der Unparteiische direkt auf Tor für die Gäste entscheiden können, als Leonardo Bittencourt direkt im Anschluss an Mefferts Handspiel aus einer Abseitsposition heraus den Ball ins Tor köpfte. Denn durch Mefferts Ballberührung könnte eine neue Spielsituation entstanden sein, durch die das Abseits aufgehoben wurde.

Mit der Elfmeterentscheidung wurde Werder also sogar benachteiligt. "Für mich ist es ein Blocken von Meffert und kein bewusstes Weiterleiten mit der Hand", hielt Siebert bei Sky dagegen. "Deshalb ist es keine absichtliche Handlung und das Handspiel bleibt leider strafbar."

Nun denn. Auch beim Anschlusstreffer des HSV zum 2:3 durch Robert Glatzel traf Siebert die falsche Entscheidung, da er das vorangegangene Foul von Mario Vuskovic an Ducksch zum kollektiven Ärger der Bremer nicht ahndete. Doch anders als beide Elfmetersituation sollte dieser Treffer nicht spielentscheidend sein.

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Und den HSV-Kommentar:

HSV fällt auf Platz vier zurück

Durch die erste Saisonniederlage im Volkspark ist der HSV erst einmal aus den Aufstiegsrängen gerutscht. Bremen hat dagegen seine Tabellenführung verteidigt und liegt nun vier Punkte vor den viertplatzierten Hamburgern.

Tabellenspitze der 2. Bundesliga
1. Heidenheim 34 / 67:36 / 67
2. Darmstadt 98 34 / 50:33 / 67
3. HSV 34 / 70:45 / 66
4. Düsseldorf 34 / 60:43 / 58
5. FC St. Pauli 34 / 55:39 / 58

Trotz einige umstrittener Schiedsrichterentscheidung ist Werder der verdiente Sieger dieses Nordderbys. Über die gesamte Spieldauer waren die Gäste die gefährlichere Mannschaft. Der HSV hatte zwar wie gewohnt viel Ballbesitz, aber eben zu selten in der gefährlichen Zone.

Heuer Fernandes überragt beim HSV

Die Hamburger taten sich von Beginn an schwer mit dem hohen Pressing der Gäste und leisteten sich zu viele Fehlpässe im Spielaufbau. Dass die Walter-Elf zur Pause nicht mehr als nur das Elfmetertor von Ducksch (10.) kassiert hatte, lag am erneut bärenstarken Torhüter Daniel Heuer Fernandes. Gleich zweimal verhinderte der Deutsch-Portugiese das 0:2.

  • Erst gegen Bittencourt, der von einem Reis-Ballverlust und dem schneller als Vuskovic reagierenden Vorlagengeber Ducksch profitierte (30.).
  • Dann gegen Ducksch, als Heuer Fernandes lange stehen blieb und einen Lupfer des Stürmers erahnte (33.). Vorausgegangen war wieder ein Fehlpass, diesmal von Muheim, in den Fuß von Bittencourt, der direkt weiterleitete. Ducksch lief Schonlau davon, stand alleine vor Heuer Fernandes – und scheiterte. Eine aufstiegsreife Parade des HSV-Torwarts.
Daniel Heuer Fernandes mit einer Monsterparade gegen Werders Ducksch.
Daniel Heuer Fernandes mit einer Monsterparade gegen Werders Ducksch. © Witters

Warum Heyers HSV-Tor nicht zählte

Zuvor wurde der vermeintliche Ausgleich durch Moritz Heyer wegen eines vorangegangen Fouls von Robert Glatzel an Toprak nicht gegeben (19.). Wieder war es eine strittige Entscheidung, wieder hatte der HSV das Glück nicht auf seiner Seite. "Jeder, der im Stadion war, hat gesehen, dass es kein Foul war. Wenn ich mich mit 1,90 Meter einfach hinlege, dann ... ja", sagte ein ratloser Walter.

Der zweite Durchgang begann mit einem Blitzstart des HSV. Und wieder wurde über den Schiedsrichter diskutiert, der diesmal aber ohne Zweifel den Durchblick behielt. Nach einem verunglückten Schuss von Glatzel hob Weiser das Abseits mit seinem linken Fuß auf. Plötzlich tauchte Meffert im Fünfmeterraum ganz alleine vor Pavlenka auf und erzielte den Ausgleich zum 1:1 (46.). Eine kuriose Szene.

HSV trifft zum 3:3 gegen Bremen – Abseits

Noch kurioser war nur die anschließende Elfmeter-Kopie im Hamburger Strafraum durch Jattas regelwidriges Handspiel. Diesmal trat Niclas Füllkrug an, auch er verwandelte souverän (51.). Der HSV brauchte danach ein paar Minuten, um sich von diesem Schock zu erholen. Inmitten dieser Findungsphase erhöhte Bremen auf 3:1. Und wieder ging ein Fehler der Hamburger voraus. Diesmal war es ein Ballverlust von Jatta an Ducksch, der sein eigenes Tor einleitete und aus der Distanz mit einem platzierten Schuss ins linke Eck traf (76.).

Nach Glatzels Anschlusstreffer wurde es in der Schlussphase noch einmal hektisch. In der fünften Minute der Nachspielzeit lag der Ball tatsächlich im Bremer Tor. Doch erneut zählte der HSV-Treffer nicht, weil Kittel nach einem überragenden Chipball des aufgerückten Torhüters Heuer Fernandes hauchdünn im Abseits stand – genauso wie Torschütze Wintzheimer. Doch die Fans hatten zu diesem Zeitpunkt den Glauben an das nötige Spielglück ohnehin schon verloren.

Manuel Wintzheimer erzielte in der fünften Minute der Nachspielzeit das 3:3. Doch der Treffer zählte nicht wegen Abseits.
Manuel Wintzheimer erzielte in der fünften Minute der Nachspielzeit das 3:3. Doch der Treffer zählte nicht wegen Abseits. © Witters

Die Statistik:

  • HSV: Heuer Fernandes – Heyer (81. Vagnoman), Vuskovic, Schonlau, Muheim (81. Wintzheimer) – Meffert – Reis (72. Kinsombi), Kittel – Jatta, Glatzel, Alidou (46. Chakvetadze). – Trainer: Walter
  • Bremen: Pavlenka – Veljkovic, Toprak, Friedl – Weiser (90.+1 Agu), Groß, Jung – Bittencourt (71. Rapp), Schmid – Füllkrug, Ducksch (83. Dinkci). – Trainer: Werner
  • Schiedsrichter: Daniel Siebert (Berlin)
  • Tore: 0:1 Ducksch (10., Handelfmeter nach Videobeweis), 1:1 Meffert (46.), 1:2 Füllkrug (51., Handelfmeter nach Videobeweis), 1:3 Ducksch (76.), 2:3 Glatzel (80.)
  • Zuschauer: 25.000 (ausverkauft)
  • Gelbe Karten: Jatta (2), Heyer (5) – Schmid (5)
  • Torschüsse: 13:15; Ecken: 2:4; Ballbesitz: 64:36 Prozent