HSV

Fan-Chaos beim HSV – löst der Sonderzug die Probleme?

| Lesedauer: 6 Minuten
Viele HSV-Fans begleiten die Mannschaft seit Saisonbeginn kritisch. Es fehlt vor allem der Support der Ultras.

Viele HSV-Fans begleiten die Mannschaft seit Saisonbeginn kritisch. Es fehlt vor allem der Support der Ultras.

Foto: Witters

Es rumort unter den Fans, weshalb die Ultras über Konsequenzen nachdenken. Doch zunächst steht die Fahrt mit dem Sonderzug an.

Hamburg. Wer im Internet ein wenig googelt, der wird relativ schnell fündig. Die Frage lautet: Was kann man nicht alles in rund zwölf Minuten erledigen? Zum Beispiel die Spülmaschine ein- und ausräumen. Eine Power-Yoga-Einheit absolvieren. Die Betten machen. Oder auch E-Mail-Newsletter aussortieren. Christian Bieberstein hat etwas getan, was in keiner dieser Was-man-in-zwölf-Minuten-alles-machen-kann-Listen steht: einen kompletten Zug mit acht Waggons, einem Barwagen und 650 Sitzplätzen an Mann (und Frau) zu bringen.

HSV-Sonderzug in Rekordzeit ausverkauft

„Die Vorfreude auf die erste Sonderzugfahrt seit Corona ist riesig“, sagt der frühere Supporters-Chef, der erst vor Kurzem erneut in die fünfköpfige Führung der HSV-Fanorganisation gewählt wurde. Am kommenden Sonnabend gegen 9 Uhr soll es ab Hamburg-Harburg losgehen. Das Ziel: Karlsruhe und drei Punkte am Abend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) im Wildparkstadion gegen den KSC.

Zurück geht es direkt nach dem Abpfiff ab 23.15 Uhr. Die Wiederankunft in Harburg ist gegen 6 Uhr morgens am Sonntag geplant. „Um den Sonderzug anbieten zu können, sind wir bei den Planungen zunächst ein finanzielles Risiko eingegangen. Umso mehr freuen wir uns über die riesige Nachfrage“, sagt Bieberstein. „Nach zwölf Minuten war der komplette Sonderzug ausverkauft.“

HSV-Sonderzug übertrifft Erwartungen

Töff, töff, töff, die HSV-Eisenbahn, wer will mit in den Urlaub fahren? Diese leicht abgewandelte Frage aus dem bekannten Kinderlied stellten sich auch Bie­berstein und Co., als sie hin und her überlegten, ob man tatsächlich mitten in der Corona-Krise erstmals seit mehr als zwei Jahren einen 2G-Fanzug organisieren kann.

Die Antwort kam prompt: Man kann. „Meine persönliche Erwartung wurde deutlich übertroffen“, sagt Supporters-Chef Sven Freese, der gemeinsam mit Bieberstein am Sonnabend im Zug dabei sein wird. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Leute nach dieser langen Corona-Pause direkt wieder so viel Bock auf ein bisschen Normalität haben.“

Fan-Chaos: HSV vermisst seine Ultras

Wie diese Fan-Normalität überhaupt aussieht, bleibt nach dem Heimspiel gegen Holstein Kiel (1:1) am vergangenen Sonnabend das große Thema in der HSV-Anhängerschaft. So ist es den meisten nicht verborgen geblieben, dass es trotz eines immer noch sehr ordentlichen Interesses – gegen Kiel waren zum zweiten Mal in Folge knapp 40.000 Zuschauer im Stadion – besonders in der zweiten Halbzeit so leise wie selten zuvor war, ehe es ein veritables Pfeifkonzert nach dem Schlusspfiff gab.

  • Erklärungsansatz Nummer eins: Die Manifestierung im Tabellenmittelfeld der Zweiten Liga mit dem fünften Unentschieden in einem Heimspiel und der ausbleibenden sportlichen Entwicklung wirkt sich zunehmend auf die Unlust der HSV-Fans aus. „Die Stimmung schwankt immer wieder zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt“, sagt Bieberstein.
  • Erklärungsansatz Nummer zwei: Dem Stadion fehlt die Führung der aktiven Fanszene, die unter den gegebenen Umständen bislang auf eine choreografierte Unterstützung der Mannschaft verzichtet.
  • Und Erklärungsansatz Nummer drei: Während der Corona-Krise haben sich mehr und mehr Anhänger weiter vom kommerziellen Fußball distanziert, der schon vor Ausbruch der Pandemie zunehmend in die Kritik geriet.

Der Fußball steht unter Beobachtung

„Wir müssen aufpassen, dass uns die Fans nach Corona nicht weglaufen“, sagte auch Bieberstein im Gespräch mit dem Abendblatt. „Die Menschen sind ja Gewohnheitstiere – und der eine oder andere hat sich leider daran gewöhnt, auch ohne Stadionbesuch am Wochenende über die Runden zu kommen. Auch die grundsätzliche Entwicklung im Fußball macht es nicht einfacher. Ich fürchte, dass der Fußball extrem aufpassen muss, den Kampf um die Interessierten nicht gegen die neuen Giganten Netflix und Amazon Prime zu verlieren.“

Supporten HSV-Ultras wieder gegen Regensburg?

Bieberstein ist mit seinen Sorgen nicht allein. Auch innerhalb des Ultra-Lagers sieht man die Entwicklung in der eigenen Fanszene kritisch. Die Verselbstständigung auf den Rängen mit den rassistischen Beleidigungen gegen Khaled Narey im Düsseldorf-Heimspiel, die lautstarken Pfiffe gegen den früheren Hamburger Fiete Arp (Bieberstein: „Ich persönlich kann mit diesen Pfiffen wenig anfangen“), gezündete Böller, pausenlose Becherwürfe und die fehlende Stimmung gegen Kiel werden als Belege gewertet, dass dem Fanlager nach der langen Corona-Pause Orientierung fehlt.

„Man merkt schon, dass die Leute ein geringeres Frustrationslevel haben“, sagt Bieberstein. Nach Abendblatt-Informationen werden deswegen aktuell hinter den Kulissen viele Gespräche geführt, ob die Ultras nicht doch ab dem nächsten Heimspiel gegen Regensburg wieder organisierten Support anbieten sollten.

Auch auf der langen Zugfahrt nach Karlsruhe am Sonnabend dürfte genau diese Frage kontrovers diskutiert werden. „So ein Sonderzug ist die beste Austauschmöglichkeit, die es in der Fanszene gibt“, sagt Bieberstein. „Man rückt eng zusammen und hat einfach mal in Ruhe Zeit, bei einem oder auch zwei Bierchen zu schnacken.“

HSV-Sonderzug mit 3000 Bierdosen

69 Euro kostet die Hin- und Rückfahrt für Mitglieder, von denen 80 ehrenamtliche die komplette Organisation übernehmen. Auch die Überprüfung des 2G-Status soll in Eigenregie penibel bereits am Harburger Bahnhof erfolgen. Genauso wie die Ausgabe von bis zu 3000 (!) Bierdosen.

Weitere HSV-Berichte:

Sobald genügend Bierchen geflossen sind, darf dann neben den großen Fan-Themen der Zeit auch gerne ein mutmaßlich kleines Thema debattiert werden: Nämlich die Frage, ob die HSV-Eisenbahn tatsächlich der erste Fan-Sonderzug Europas ist. Ja, sagen die HSV-Organisatoren. Nein, sagt ausgerechnet Red Bull Salzburg. Der Brauseclub aus Österreich hatte bereits gestern einen Fanzug zum Champions-League-Spiel in Wolfsburg angeboten.

Ausgerechnet Red Bull! Ausgerechnet gegen Wolfsburg! Und immerhin 590 Salzburger haben das günstige Angebot für 49 Euro am Dienstag genutzt. Formal sei der Zug allerdings nur ein sogenannter Ausweichzug, kein Sonderzug, heißt es dazu aus der HSV-Anhängerschaft. Und überhaupt: Während beim HSV der Zug in nur zwölf Minuten ausverkauft war, brauchte der Retortenclub für das subventionierte Fanangebot zehn Tage. Gar nicht auszudenken, wie viele Spülmaschinen man in dieser Zeit ausräumen oder Betten machen könnte.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: HSV