Zoltán Stieber, den die neue HSV-Führung zunächst nicht wollte, wird zunehmend zum Leistungsträger. Papa József hat es schon immer gewusst.

Hamburg. Viel ist in Hamburg über den ungarischen Ort Szombathely nicht bekannt. Die Kleinstadt in Westungarn liegt in der Nähe der Grenze zu Österreich, hat 79.000 Einwohner und gilt wegen der unverschämt günstigen Behandlungskosten als Hochburg des sogenannten Zahnarztourismus. Vor allem aber ist Szombathely eine echte HSV-Hochburg – oder besser: eine Zoltán-Stieber-Hochburg.

Schuld hat Papa József. Der 60 Jahre alte Familienvater ist Trainer der lokalen Fußballmannschaft – und per Ferndiagnose auch wichtigster Ratgeber von Junior Zoltán. „Wir telefonieren sehr viel. Seine Meinung ist mir wichtig, weil er zwar manchmal sehr hart, aber immer sehr ehrlich ist“, sagt Stieber.

Natürlich hat der HSV-Profi auch am Sonntagabend nach dem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach mit seinem Vater telefoniert. Er hatte die meisten Torschüsse (fünf), die meisten Torschussvorlagen (vier), war die meisten Kilometer gelaufen (13,09) und hatte natürlich auch den einzigen Hamburger Treffer erzielt. Und Chefkritiker József? „Er sagte mir, dass ich noch Luft nach oben habe“, sagt Stieber. „Da gab es die eine oder andere Situation, in der ich mich cleverer hätte anstellen sollen.“

Zoltán Stieber, 28, sitzt am Vormittag nach dem Spiel im Besprechungsraum des mobilen Trainingszentrums im Volkspark. Der Rücken durchgedrückt, die Haare akkurat zu einem Seitenscheitel frisiert. „Das Spiel gegen Gladbach war eine gute Reaktion auf unsere Niederlage gegen Bayern“, sagt er. Die Mannschaft. Wir. Das Team. Über die eigene Leistung spricht er kaum, auch nicht auf mehrfache Nachfrage. „Im Fußball geht es oft sehr schnell nach oben, aber auch nach unten, in beide Richtungen“, sagt Stieber, und klingt dabei wie jemand, der genug Erfahrungen da oben, aber eben auch da unten gesammelt hat.

Dabei gab es zunächst immer nur ein „da oben“. In Ungarn kümmerte sich Papa József, der früher selbst Fußball gespielt hat, um die fußballerische Ausbildung von Zoltán. Vom FC Sávár ging es über den FC Györi bis nach Budapest. Doch irgendwann wurde es selbst in Budapest zu klein für das große Talent. „Ich wollte unbedingt ins Ausland“, sagt Stieber, der schließlich Ungarn und Papa József gen England verließ. Bei Aston Villa spielte das 67-Kilo-Leichtgewicht im Nachwuchs, dann in der Reservemannschaft. Den Durchbruch bei den Profis – das erste „da unten“ – sollte ihm aber nicht gelingen. Es folgen Wechsel in die Zweite Liga zur TuS Koblenz und Alemannia Aachen (da oben), ein wenig erfolgreich verlaufener Aufstieg in die Bundesliga zu Mainz 05 (da unten) und ein extrem erfolgreicher Wechsel zur SpVgg Greuther Fürth (da oben).

In Fürth war es auch, wo Stieber erstmals dem früheren HSV-Sportchef Oliver Kreuzer auffiel. „Zoltán war spielerisch unheimlich gut, sehr sicher am Ball, wendig und auf dem Feld extrem diszipliniert“, erinnert sich Kreuzer, der den Mittelfeldspieler in der vergangenen Saison mehrfach beobachten ließ. In 32 Zweitligaspielen erzielte der ungarische Wirbelwind neun Tore selbst, zehn weitere Treffer bereitete er vor. Kreuzer selbst wollte aber auf Nummer sicher gehen, überzeugte sich bei Fürths Partien gegen St. Pauli und gegen Karlsruhe von Stiebers Qualitäten. Nach den beiden Relegationsspielen, als Stieber die gesamte HSV-Hintermannschaft mehrfach in Bedrängnis brachte, hatte Kreuzer endgültige Gewissheit. „Ich wusste, dass Zoltán uns weiterhelfen könnte.“

Doch hier begannen die Probleme. Denn beim HSV hatte man längst die Gewissheit, dass Oliver Kreuzer der gerade erst gegründeten HSV AG nicht weiterhelfen würde. Und folglich war der neue AG-Aufsichtsrat auch mit dem von Kreuzer initiierten 1,3-Millionen-Euro-Transfer Stiebers nicht einverstanden. „Es ist richtig, dass der Deal mit Stieber von unserer Seite aus so nicht eingefädelt worden wäre“, sagte im vergangenen Juni Neu-Aufsichtsratschef Karl Gernandt in einer Deutlichkeit, die kaum Spielraum für Interpretationen übrig ließ. Stieber? Ein Zweitligaspieler?? Aus Fürth??? So sollte nicht der von langer Hand geplante Neuaufbau des HSV aussehen. „Eigentlich will ich darüber nicht mehr reden. Aber das war natürlich nicht optimal“, sagt Stieber, der bereits vor dem ersten Spiel für den HSV wieder da war, wo er auf keinen Fall mehr hin wollte: ganz unten.

Zum Glück gab es aber immer noch Papa József. Stieber senior hatte auch in dieser Phase nie den Glauben an Stieber junior verloren, ihm Mut zugesprochen und ihn Stück für Stück wieder aufgebaut. „Natürlich hatte ich mir meine Gedanken gemacht“, sagt Stieber, der aber erst nach dem Wintertrainingslager in Dubai durchstarten sollte.

In den Emiraten bat Trainer Joe Zinnbauer den Ungarn zu einem Vieraugengespräch und fragte, ob sich der eigentlich als Flügelflitzer verpflichtete Mittelfeldmann auch die Rolle in der Zentrale zutrauen würde. „Zoltán ist für das Mittelfeldzentrum prädestiniert. Er ist wendig und hat eine hohe spielerische Intelligenz. Wenn ein Spieler eine neue Position dann akzeptiert, dann kann man entsprechend Leistung bringen. Ein Problem hat man nur, wenn er sie nicht akzeptiert“, sagt Zinnbauer. Und Stieber, der akzeptierte.

Dabei ist es natürlich nur ein Zufall, dass es ausgerechnet im Wüstentest gegen Eintracht Frankfurt, dem kommenden Gegner am Sonnabend (18.30 Uhr), war, als Flügelstürmer Stieber erstmals im Mittelfeldzentrum sein Glück versuchte. Der HSV siegte 3:2, Stieber überzeugte in neuer Rolle und traf sogar zum zwischenzeitlichen 2:0. „Mir ist eigentlich egal, auf welcher Position ich spiele“, sagt Stieber. Die Mannschaft. Wir. Das Team. Und dass er damals gemeinsam mit Petr Jiracek und Gojko Kacar das Mittelfeld ordnete, also dem gleichen Triumvirat wie gegen Gladbach, ist natürlich auch nur Zufall.

Stieber ist also wieder da, wo er immer hinwollte: oben. Und dort will er vorerst auch bleiben. „Ich habe immer an mich geglaubt“, sagt Stieber, der ganz genau weiß, dass es da noch jemanden gibt, der nie den Glauben an ihn verloren hat: Papa József. In Szombathely.