Linksverteidiger Matthias Ostrzolek kam beim HSV über gute Ansätze nicht hinaus. Nun bekommt er eine neue Chance

Hamburg. Ein markerschütternder Schrei hallte am Mittwoch durch den Volkspark, als Linksverteidiger Ronny Marcos im Training zur Grätsche ansetzte und Maximilian Beister von den Füßen holte. Dem gerade Wiedergenesenen ist zum Glück nichts passiert, doch kurze Zeit später stand Beister wieder im Mittelpunkt: Dieses Mal behakte er sich mit Marco’ Rivalen Matthias Ostrzolek, woraufhin sich beide Stirn an Stirn stehend beschimpften. Auch diese Situation ging glimpflich aus, doch es zeigt: Nach der Demütigung bei den Bayern ist Feuer in der Mannschaft, ein neuer Konkurrenzkampf entbrennt – auch auf der linken Position in der Viererkette.

Vor der Saison dachten die Verantwortlichen des HSV, sie hätten mit der Verpflichtung Ostrzoleks aus Augsburg eine Lösung gefunden, die Diskussionen gar nicht erst aufkommen lassen. Schon im November 2013 kam der erste Kontakt zustande, über acht Monate zogen sich die Verhandlungen hin. Am Ende bezahlte der Bundesliga-Dino fast drei Millionen Euro für den Emporkömmling, der sich erst bei den Schwaben zu einem stattlichen Bundesligaprofi entwickelt hatte. Acht Tore bereitete der gebürtige Bochumer in der vergangenen Saison vor, stand schon in den Notizbüchern von Bundestrainer Joachim Löw. Doch an diese Leistungen konnte Ostrzolek bis heute nicht wieder anknüpfen. Beim HSV wartet er immer noch auf seinen ersten Scorer-Punkt. „Der HSV hat sehr lange um ihn gekämpft, das zeigte das große Vertrauen, dass der Verein in Matthias gesetzt hat. Da ist es verständlich, dass es zu Irritationen geführt hat, als er dann erst einmal nicht spielte“, erklärt Ostrzoleks Berater Thomas Strunz.

Dabei ist es nicht so, dass der 24-Jährige keine Chancen bekommen hätte. Seit dem dritten Spieltag stand Ostrzolek elfmal in Folge in der Startelf – richtig überzeugt hat er eher selten. Die Zweikampfwerte und die Passquote sind für einen Außenverteidiger zwar nicht schlecht, doch eine gewisse Verunsicherung war dem Blondschopf oft anzumerken. „Wenn ein Spieler anfängt, auf dem Feld nachzudenken, und Dinge nicht mehr intuitiv macht, ist es unmöglich, Top-Leistungen abzurufen – das weiß ich aus eigener Erfahrung. Umso wichtiger ist es in der aktuellen Situation des Vereins, das Vertrauen aller Verantwortlichen zu spüren“, erklärt der ehemalige Profi Strunz.

Als die Leistung nachließ, besann sich HSV-Trainer Joe Zinnbauer auf Marcos, den er aus seiner Zeit als U23-Coach bestens kannte. Der 21-Jährige sollte mit seiner Laufstärke für mehr Geschwindigkeit auf der linken Seite sorgen, aber auch er konnte das Niveau nicht anheben. Dann kam das Bayern-Spiel. Erst kurz vor der Partie bekam Marcos von Zinnbauer den Zuschlag, währenddessen eine 57-minütige Vorführung durch seinen Gegenspieler Arjen Robben. Danach sprachen ihm viele die Bundesligatauglichkeit ab.

Eine Fehlentscheidung – meint zumindest Olaf Kortmann, Hamburger Sportpsychologe und Mentaltrainer. „Im Prinzip hat der Trainer Marcos Arjen Robben zum Fraß vorgeworfen und ist ein wenig naiv an die Situation rangegangen. Zinnbauer hat auch durch taktische Fehler an Glaubwürdigkeit eingebüßt und läuft Gefahr, zur Lame Duck zu werden, da ihm die Spieler seine Motivationsstrategie nicht mehr abnehmen“, sagt Kortmann. Macht es denn nun Sinn, weiter auf Marcos zu setzen? Für Kortmann gibt es da keinen Königsweg. „Das hängt in erster Linie von der Persönlichkeit und der mentalen Verfassung des Spielers ab. Wenn Zinnbauer merkt, dass der Spieler in seiner Rolle überfordert ist, muss er darauf Rücksicht und ihn aus der Schusslinie nehmen. Wenn er aber stark ist, nimmt er diese Situation als Erfahrung eines Profisportlers und wächst an der Aufgabe“, erklärt Kortmann weiter.

Marcos selbst reagierte in den Tagen danach souverän. „Es ist passiert, was soll ich machen. Weiter geht’s“, sagte der ehemalige Rostocker und versucht sich seitdem im Training anzubieten. Ob das reicht, ist fraglich. Vor dem Spiel gegen die Gladbacher am Sonntag (15.30 Uhr) wird der Trainer die Karten wohl neu mischen. Ostrzolek dürfte aller Voraussicht nach seine nächste Chance bekommen. Denn wenn es so etwas wie einen Gewinner aus der Bayern-Klatsche gab, war er es. Nach seiner Einwechslung präsentierte sich der HSV deutlich stabiler. Und auch im Testspiel am Mittwoch gegen Halstenbek-Rellingen überzeugte der ehemalige U21-Nationalspieler. Die Chancen für Ostrzolek sind bestens, sich mit einer guten Leistung dauerhaft zu etablieren. Strunz ist sicher, dass dies seinem Schützling auch gelingen wird. „Matthias hat seine Entscheidung, zum HSV zu wechseln, keine Sekunde bereut. Er hat auch zu Beginn seiner Karriere in Bochum schwere Phasen durchlebt und ist aus diesen gestärkt rausgekommen. Er zieht für sich die richtigen Schlüsse aus dem ersten halben Jahr in Hamburg und wird ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Zukunft des HSV sein.“ Seine Worte in Ehren – denn die Schonzeit ist, wie für alle Neuzugänge, langsam, aber sicher vorbei.