Nach seiner Schulteroperation fällt der Mittelfeldmann des HSV mindestens zehn Wochen aus. Darf Arslan deswegen nicht nach Istanbul?

Dubai. Das blanke Entsetzen im Mannschaftshotel des HSV war noch am Tag danach zu spüren. HSV-Vorstand Joachim Hilke, trotz fünf Tagen Sonne völlig blass, machte aus seiner Gefühlswelt kein Geheimnis, als er am frühen Morgen durch die Lobby des Meydan-Hotels eilte. Bis 4 Uhr morgens habe er im Bett wach gelegen, nachdem bereits während der Rückkehr aus Al Ain im Bus niemand ein Wort gesagt habe. Als er dann noch kurz nach dem Aufwachen erfahren musste, dass Lewis Holtby noch am gleichen Tag am gebrochenen Schlüsselbein operiert werden müsste, war der Marketingchef endgültig bedient. „Ich stehe noch immer unter Schock“, sagte Hilke, „für Lewis tut es mir einfach wahnsinnig leid.“

Passiert war es am Vorabend in der 79. Minute des eigentlich völlig bedeutungslosen 3:2-Testsieges gegen Eintracht Frankfurt. Nach einem Zweikampf mit Eintrachts Martin Lanig stürzte der 1,90 Meter große und 80 Kilogramm schwere Frankfurter auf Hamburgs bereits am Boden liegendes 70-Kilogramm-Leichtgewicht. Ein reflexartiger Griff an die linke Schulter und ein lang gezogener Schrei deuteten in einem Bruchteil einer Sekunde an, was nach einer anschließenden Röntgenuntersuchung im nahe gelegenen Al Ain Hospital noch am gleichen Abend bestätigt wurde. Klavikulafraktur – oder ganz einfach: ein glatter Bruch des linken Schlüsselbeins. Mindestens zehn Wochen muss Holtby aussetzen, im schlimmsten Fall droht sogar das Rückrundenaus.

Obwohl eine derartige Schulterverletzung gewöhnlich konservativ behandelt wird, entschied HSV-Mannschaftsarzt Götz Welsch gemeinsam mit den Ärzten aus dem Al Ain Hospital, dass Holtby bereits am Tag danach vor Ort operiert werden musste. Der Grund: Bei komplizierten Brüchen soll so die Gefahr gebannt werden, dass die Bruchstücke nicht richtig zusammenwachsen. „Operation ist gut verlaufen“, twitterte Holtby nach dem Eingriff. Er muss nun mindestens ein bis zwei Tage im Krankenhaus bleiben, ehe er vorzeitig zurück nach Hamburg darf.

Was ihn dort erwartet, dürfte kaum jemand besser einschätzen können als Maximilian Beister, der paradoxerweise der Glückspilz des Vorabends war (siehe Rand unten). Vor fast genau einem Jahr war er es, der nach einer schweren Knieverletzung den vorzeitigen Rückflug aus der Wüste antreten musste. „So eine Verletzung kann einen mental auffressen. Erst einmal fällt man in ein Loch“, sagt Beister, der noch vor Holtbys Operation seinem Kollegen per SMS alles Gute wünschte. „Lewis ist mental stabil, er wird gestärkt aus dieser Situation zurückkehren.“

Dass „diese Situation“ nicht nur für Holtby ein persönliches Drama, sondern auch für den HSV ein strategisches Desaster ist, war allen Beteiligten umgehend nach dem Vorfall klar. „Für uns ist das natürlich eine ganz bittere Geschichte. Lewis war gerade richtig gut im Training. Er hat sich so richtig reingefressen“, sagte Trainer Joe Zinnbauer, der trotz einer wechselhaften Hinserie auf Holtby als Kreativchef in der Mittelfeldzentrale gesetzt hatte. Die Position des Mittelfeldregisseurs dürfte nun wieder Rafael van der Vaart übernehmen, der eigentlich in Zinnbauers präferiertem 4-2-3-1-System als sogenannter „Achter“ als eine Art Verbindungsspieler zwischen Defensive und Offensive eingeplant war. Und diese unfreiwillige Verschiebung könnte nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf die Transferpläne des HSV ernsthafte Auswirkungen haben.

So war es auch kaum verwunderlich, dass Sportchef Peter Knäbel, der am Vorabend Holtby ins Krankenhaus begleitet hatte, Vereinschef Dietmar Beiersdorfer und Sportdirektor Bernhard Peters nur wenige Stunden nach der Schocknachricht am Freitagvormittag in der Lobby des Meydan-Hotels zusammensaßen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Der Hintergrund: Nach der erzwungenen Personalrochade könnte der ursprünglich angedachte Verkauf Tolgay Arslans in dieser Transferperiode noch platzen. Arslan, der eine Anfrage von Besiktas Istanbul vorliegen hat, ist neben den defensiveren Valon Behrami, Petr Jiracek und Gojko Kacar momentan der Einzige, der van der Vaarts Rolle als etwas offensiverer Zwischenspieler ausfüllen könnte.

Das Problem: Trainer Zinnbauer hatte Arslan, dessen Vertrag im Sommer ausläuft, nach schwachen Spiel- und Trainingseinheiten zum Ende der Rückrunde vorübergehend aussortiert. Auch bei den ersten Trainingsspielen in der Vorbereitung durfte der Deutschtürke nicht mitmachen. Gegen Frankfurt war er ebenfalls nicht dabei. Doch anders als von einigen Internetseiten behauptet, hatte Arslan am Donnerstag tatsächlich kleinere muskuläre Probleme. Zinnbauer und Knäbel müssen nun aber entscheiden, ob sie nach Holtbys Verletzung Arslan tatsächlich in die Türkei ziehen lassen oder einen Strategiewechsel vollziehen wollen.

Eine Strategie, mit diesem Schock angemessen umzugehen, braucht aber zunächst einmal vor allem Holtby. Der 24 Jahre alte Wahl-Hamburger hatte lange vor seiner Verletzung erkannt, dass ihm professionelle Hilfe auch außerhalb des Rasens guttun würde. Deswegen ist es für ihn eine Selbstverständlichkeit, neben einem Privat- und einem Yogatrainer auch einen eigenen Mentalcoach zu beschäftigen. „Da wird vieles kritisch analysiert“, hatte Holtby noch kürzlich erklärt.

Pechvogel Holtby solle sich zunächst mal auf sich selbst konzentrieren, rät Beister seinem Mitspieler. Und obwohl dem HSV nun eine wichtige Option in der Offensive fehle, glaubt der Pechvogel aus dem vergangenen Jahr fest daran, dass zumindest die Mannschaft den Schock relativ zügig verarbeiten wird: „Die Verantwortung“, so Beister, „müssen wir nun auf andere Schultern verteilen.“