Der HSV beendet die Hinserie, wie er sie begonnen hat: mit einem 0:0. Trotz Torarmut und leerer Kassen schöpft Clubchef Beiersdorfer neue Hoffnung

Gelsenkirchen/Hamburg. Obwohl die Nacht kurz und der Schlaf wenig war, wirkte Dietmar Beiersdorfer am Sonntagmorgen unerhört frisch. Bis weit nach 2 Uhr nachts hatte der Vorstandschef des HSV mit Trainer und Mannschaft am späten Sonnabend im Stadion zusammengesessen, den ordentlichen Hinrundenabschluss mit dem 0:0 auf Schalke ausklingen lassen, Pläne geschmiedet und natürlich auch auf ein bewegtes Jahr zurückgeschaut. Als „größten vereinspolitischen Einschnitt in der Geschichte des HSV“, ordnete Beiersdorfer 2014 am Morgen nach dem letzten Spiel des Jahres ein und schien alles in allem mit sich und der Welt nicht unzufrieden. „Natürlich ist der HSV noch immer ein instabiles System. Wir wollen aber versuchen, dieses System zügig zu stabilisieren.“

Dass der HSV-Chef nur drei Tage nach Klaus-Michael Kühnes folgenschwerer Absage, sein Millionen-Darlehen nicht wie geplant in Clubanteile umzuwandeln, und fünf Tage nach dem schlechtesten Saisonspiel gegen Stuttgart, als Beiersdorfer „völlig geschockt“ war und „alles zu implodieren“ drohte, mit seinem HSV wieder im Reinen war, hatte vor allem mit den letzten 90 Minuten der Hinrunde zu tun. Die strauchelnde Mannschaft von Trainer Joe Zinnbauer hatte auf Schalke in der ersten Halbzeit leidenschaftlich verteidigt und im zweiten Durchgang sogar versucht, gegen den Champions-League-Teilnehmer sein Heil in der Offensive zu suchen. Es wäre ein „erlebnisreiches 0:0“ gewesen, hatte 04-Trainer Roberto Di Matteo richtig nach der Partie analysiert. Und so war die zehnte torlose Partie des HSV in der Hinrunde der logische Schlusspunkt einer Halbserie gewesen, die mit insgesamt nur neun erzielten Treffern geendet ist, wie sie begonnen hat: mit einem 0:0.

„Es ist schon unglaublich, dass man mit nur neun Toren doch noch 17 Punkte schaffen kann“, sagte Nicolai Müller scherzend, um die Offensivausbeute dann doch ganz ernst als das zu benennen, was sie war: „Eine Katastrophe“.

Von einer entsprechenden „Katastrophenstimmung“ war im verwaisten Volkspark am Sonntagvormittag aber nichts mehr übrig geblieben. Während Zinnbauer „stolz auf meine Mannschaft“ war (siehe auch Interview Seite 26), sprach Beiersdorfer davon, „auf einem guten Weg“ zu sein. „Wir haben beim HSV viel umgewälzt. Dass es immer wieder Rückschläge gibt, war uns bewusst“, sagte der Clubchef, der zuletzt öffentlich in etwa so präsent war wie seine Stürmer vor dem Tor.

Zumindest Letzteres soll bereits in der nun beginnenden Winterpause geändert werden. Noch vor Weihnachten wollen sich Beiersdorfer, Zinnbauer und Sportdirektor Peter Knäbel zusammensetzen und die Großwetterlage analysieren. Dabei scheint es Konsens zu sein, dass dem offensiv kränkelnden HSV ein neuer Stürmer gut zu Gesicht stehen würde. „Ich denke, unser Verein wird da etwas machen“, meinte sogar der zum Rückrundenauftakt gelbgesperrte Valon Behrami, der sich durch Zinnbauers Weihnachtswunsch („Natürlich würde ich mich freuen, wenn wir im Offensivbereich etwas tun könnten“) bestätigt fühlen durfte.

Bleibt nur die Frage nach der von Beiersdorfer verantworteten Finanzierung. Doch auch bei dieser seit Jahren delikaten Angelegenheit blieb Hamburgs Vorstandsvorsitzender gelassen. „Die Lizenz ist nicht in Gefahr. Wir müssen uns weiter konsolidieren, aber mit reiner Konsolidierung kommen wir sportlich nicht voran“, sagte der Clubchef, der Neuzugänge sogar unabhängig von möglichen Verkäufen sieht. „Es ist bekannt, dass der HSV nicht zu 100 Prozent performed hat“, so Beiersdorfer auf Neudeutsch, für den die Situation zwar nicht „superkomfortabel“ sei, aber eben doch „beherrschbar“.

Um die angespannte Finanzsituation komfortabler zu machen, hat Beiersdorfer offenbar sogar die Hoffnung auf Hilfe vom exzentrischen Edelfan Kühne nicht aufgegeben. So habe er zuletzt am Donnerstag – also am Tag, als Kühnes Verzicht auf Clubanteile bekannt wurde – mit dem Unternehmer, dem der HSV 25 Millionen Euro schuldet, telefoniert. „Herr Kühne ist weiterhin sehr positiv. Das hat er mir in unserem Gespräch versichert“, sagte Beiersdorfer, der die Enttäuschung über dessen Absage mehr oder weniger glaubhaft herunterspielte: „Unsere Rückzahlung war immer einkalkuliert. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Herr Kühne sein Darlehen zu einem späteren Zeitpunkt nicht doch in Clubanteile umwandelt.“ Und überhaupt: „Wir haben noch immer die Möglichkeit, 24,9 Prozent unserer Anteile zu verkaufen.“ An Kühne oder eben nicht an Kühne.

Das liebe Geld, sonst meist das beherrschende Thema rund um den Volkspark, verkam an diesem Wochenende ausnahmsweise mal zu einer Randerscheinung. Zu groß war die allgemeine Erleichterung, dass die Mannschaft offenbar doch nicht so schwach ist, wie sie nach dem desaströsen Auftritt gegen den VfB Stuttgart erschien. „Ich bin sehr stolz, dass wir heute so ein Spiel abgeliefert haben“, sagte Lewis Holtby, der regelrecht euphorisch von einer „Mannschaft auf dem Platz, die unbedingt etwas holen wollte“, sprach.

Geholt hat diese Mannschaft am Ende einen Punkt, wodurch die Hinrunde 2014/15 im Vergleich zur Hinrunde 2013/14 mit einem Punkt mehr, aber 24 geschossenen Toren weniger abgeschlossen wurde. So wirkt der im Sommer runderneuerte HSV ein halbes Jahr nach dem wahrscheinlich glücklichsten Klassenerhalt seit Gründung der Bundesliga noch immer wie ein Reisender, der seinen Weg erst noch suchen muss. „Wir haben unglaublich viele Änderungen vollzogen – ob im administrativen Bereich oder in der Mannschaft“, so Beiersdorfer, „diese Prozesse müssen erst noch zusammenfinden.“

Viel Zeit wollen sich die Verantwortlichen dabei nicht nehmen, auch nicht in der trainingsfreien Zeit bis zum 5. Januar. Zinnbauer sei laut Beiersdorfer ohnehin nicht der Typ, der „tagelang auf einer einsamen Insel die Füße hochlegt“. Und er selbst? Muss er nach diesem Halbjahr nicht auch erst mal runterkommen? „Ich muss nur runterfahren“, sagte Beiersdorfer, „in den Süden, zu meinen Eltern. Frohe Weihnachten.“