Im 101. Nordderby gegen Werder Bremen stehen besonders die HSV-Verpflichtungen im Fokus. Bisher überzeugte nur Valon Behrami

Hamburg. Keine andere Begegnung fand in der Bundesliga so häufig statt wie das Duell zwischen dem HSV und Werder Bremen. Das 101. Nordderby am Sonntag (15.30 Uhr/Liveticker auf abendblatt.de) elektrisiert die Massen. Obwohl es noch nie einen Vergleich der beiden Teams auf solch niedrigem Tabellenniveau gab, ist die Partie bereits seit einigen Tagen ausverkauft. Dem Verlierer des Duells zwischen dem Tabellen-17. mit dem 16. droht der Absturz auf den letzten Tabellenrang. „Das werden nicht wir sein. Der Gegner kommt nach den letzten Siegen unter Viktor Skripnik zwar mit breiter Brust, doch mithilfe unserer Fans werden wir Werder schlagen“, prognostiziert HSV-Trainer Joe Zinnbauer.

Dass es nach dem Fast-Abstieg in der vergangenen Saison erneut zu solch einer bedrohlichen Situation kommen würde, war nicht abzusehen. Die Verantwortlichen um Vorstandsboss Dietmar Beiersdorfer hatten im Sommer mit einer wahren Transferoffensive auf den desolaten Zustand des Teams reagiert. Insgesamt neun Neuzugänge wurden verpflichtet, um dem Bundesliga-Dino ein anderes Gesicht zu geben. Rund 27 Millionen Euro investierten die Hamburger in Lewis Holtby, Valon Behrami, Nicolai Müller, Cléber, Matthias Ostrzolek, Zoltán Stieber, Julian Green sowie die zuvor ausgeliehenen Pierre-Michel Lasogga und Johan Djourou. Der Lizenzspieleretat erhöhte sich auf fast 50 Millionen Euro, anstatt diesen, wie mal avisiert, auf unter 40 Millionen gesundzuschrumpfen.

Doch rentiert haben sich die Aktivitäten auf dem Transfermarkt bisher kaum. Vor allem Drei-Millionen-Mann Cléber konnte seine Ablöse bisher noch überhaupt nicht rechtfertigen, fand sich zeitweise nur auf der Tribüne wieder. Auch Julian Green zeigte in seinen vier Kurzeinsätzen kaum einmal, warum er unter Nationaltrainer Jürgen Klinsmann in der Auswahl der USA bereits viermal Berücksichtigung fand. Und auch Zoltan Stieber kommt über Kurzeinsätze selten hinaus.

Doch sogar die Zugänge, die Woche für Woche neue Chancen bekommen, sich zu beweisen, konnten die hohen Erwartungen an sie nicht erfüllen. In einem wochenlangen Tauziehen mit dem FC Augsburg hatte der HSV im Sommer um Matthias Ostrzolek gekämpft und war am Ende bereit, rund 2,75 Millionen Euro für den Linksverteidiger auszugeben. 113 Flanken hatte er bei den Schwaben geschlagen, die zweitmeisten ligaweit, auf diese Weise acht Treffer vorbereitet. So einer würde dem HSV guttun, da waren sich alle einig. Doch im Volkspark scheint Woche für Woche ein anderer Ostrzolek aufzulaufen. Schon der frühere Trainer Mirko Slomka war erst gar nicht angetan von den Trainingsleistungen des 24-Jährigen und verzichtete anfangs auf ihn. Doch auch in den neun Partien, die er von Beginn an bestritt, sorgte Ostrzolek kaum für Impulse. Nach einem Drittel der Saison gehen erst 21 Flanken auf sein Konto, von denen ganze zwei einen Torabschluss zur Folge hatten. Einen Assist kann er bis dato nicht vorweisen.

Auch Nicolai Müller hinkt den Erwartungen weit hinterher. So ziemlich jeder hatte Beiersdorfer zu der Verpflichtung gratuliert, Müller sollte vor allem für Geschwindigkeit in der lahmenden HSV-Offensive sorgen. Doch der ehemalige Mainzer konnte sein Vorjahresniveau nicht halten. Bei seinem Ex-Club war jeder vierte Schuss ein Tor, in Hamburg ist seine Bilanz mit einem Treffer und einer Vorlage ausbaufähig. Auffällig ist vor allem die hohe Fehlpassquote von fast 42 Prozent. Auch seine große Stärke, die Tempo-Dribblings, brachte Müller nur in 38 Prozent der Fälle erfolgreich zu Ende (in Mainz fast 50 Prozent).

„Ich möchte keine Einzelkritik vornehmen, weiß aber, dass sich die meisten unserer Neuzugänge auch mehr von sich selbst versprochen haben“, bestätigte der Direktor Profifußball Peter Knäbel, der nicht ausschloss, im Winter noch „Anpassungen am Kader“ vorzunehmen, sollten sich seine Schützlinge nicht deutlich steigern. In diese Riege fällt auch Lewis Holtby, der zwar teilweise überzeugen konnte, doch noch lange nicht so effektiv auftritt wie zu Schalker Zeiten vor zwei Jahren. Dort absolvierte der Offensivmann 19 Partien, bevor er nach England ging, und war an elf Toren beteiligt. In den neun Einsätzen beim HSV steht ein Scorer-Punkt zu Buche. Holtby hatte noch keine Großchance und legte auch erst eine Top-Möglichkeit für einen Mitspieler auf. Auch bei ihm ist die Fehlpassquote doppelt so hoch wie noch in seiner letzten Bundesliga-Saison.

Somit bleibt lediglich Valon Behrami, der sich beim HSV von den wirklich Neuen als unverzichtbar erwiesen hat. Der Schweizer bestreitet die meisten Zweikämpfe aller Hamburger, gewinnt die Mehrzahl dieser und ist mit seinen Defensivqualitäten mitverantwortlich dafür, dass sein Team deutlich besser verteidigt als in der vergangenen Serie.

Welche elf Spieler den HSV gegen Werder nun aus dem Tabellenkeller schießen sollen, wollte Zinnbauer noch nicht preisgeben. Alternativen für Marcell Jansen (Muskelfaserriss) sind reichlich vorhanden: neben Green, Stieber und Holtby noch Ivo Ilicevic, Petr Jiracek. Sogar U23-Spieler Mohamed Gouaida könnte dort auflaufen, der am Freitag im Training genauso das Stammleibchen trug wie Linksverteidiger Ronny Marcos. Das hat bei Zinnbauer jedoch nicht viel zu sagen.. „Ich werde beim Training genau hinschauen, wer gegen Werder unbedingt gewinnen will“, sagte Zinnbauer, der Schiedsrichter Zwayer um Objektivität bat: „Aussagen über unser angeblich zu hartes Spiel sollten ihn nicht verunsichern.“

Ansonsten spricht vieles dafür, dass der HSV-Coach zunächst weiter seinem Stamm vertraut, der in den bisherigen neun Pflichtspielen unter seiner Leitung mal mehr, mal weniger überzeugte – inklusive der erwähnten Neuverpflichtungen. Gegen Bremen müssen diese nun endlich liefern, sonst könnte es länger dauern, bis das nächste Nordderby in Hamburg auf Bundesligaebene erneut die Massen in seinen Bann zieht.