Bremens Trainer Viktor Skripnik will in Hamburg zeigen, welche Qualitäten noch in seinem Kader schlummern

Bremen. Es gebe nichts Neues vom prominenten Patienten, berichtet Thomas Eichin. Erst in der nächsten Woche, so der Geschäftsführer, werde Werder genauer sagen können, was es mit Franco Di Santos Außenbandverletzung auf sich hat und wie lange er ausfällt: „Die Mediziner arbeiten dran.“ Im Nordderby jedenfalls wird der Angreifer fehlen. So bitter diese Nachricht für die Bremer sein mag: Sie verleiht der ohnehin brisanten Partie einen zusätzlichen, einen ganz besonderen Reiz.

Di Santos Ausfall ist das größte anzunehmende Unglück. Denn der Argentinier ist Torgarant, Teamplayer und Li-La-Laune-Bär in einem. Auf dem Platz beherrscht er viele Rollen: Er ist Flügelstürmer, Ballverteiler und Regisseur, er ist Vorlagengeber wie Vollstrecker. Er übernimmt Verantwortung und ist für die Kollegen so etwas wie ein Freund und Helfer. Di Santo ist Werders einzige herausragende Figur. Er trägt viele Hoffnungen in Bremen, aber sie belasten ihn nicht. Im Gegenteil: Sogar im Abstiegskampf spaziert er locker, leicht, fast vergnügt durchs Leben. Di Santo ist kaum gleichwertig zu ersetzen, weder als Fußballer noch als Typ. Die Bremer ahnen das, aber was sagt ihr Trainer Viktor Skripnik? Er sagt: „Das ist bitter, aber es gehört einfach dazu im Leben.“ Dann fragt er: Warum sollen wir da Angst haben?“

Diese Reaktion ist mehr als eine Fußballfloskel. Sie erzählt davon, warum unter Skripnik vieles bei Werder auf wundersame Weise gut geworden ist, was vorher schlecht war. Warum plötzlich funktionierte, was vorher verfahren erschien. Skripnik macht kein Drama aus den Widrigkeiten des Alltags. Er orientiert sich an dem, was geht; nicht an dem, was nicht geht.

Viktor Skripnik kann jetzt zeigen, welche Qualitäten noch in seinem Kader schlummern. Er muss herausholen, was herauszuholen ist, sonst wird es in Hamburg schwer. Werder tritt dort nicht nur gegen einen mutmaßlich sehr emotionalen Gegner an, sondern ohne Di Santo vor allem auch gegen die eigenen Grenzen. Skripnik aber deutet das nicht als Problem, sondern als Chance. Er betont: „Wir haben genug Stürmer.“ Er lobt speziell Nils Petersen, der zuletzt gut trainiert habe und durch sein Tor im Testspiel gegen Odense ruhiger geworden sei. Er erwähnt aber auch Davie Selke, Izet Hajrovic und den früheren Hamburger Eljero Elia. Fin Bartels braucht er gar nicht zu erwähnen; der hat längst bewiesen, dass er in der Offensive auf fast jeder Position einsetzbar ist. „Wir haben Spieler, die brennen“, glaubt Mittelfeldmann Zlatko Junuzovic. Soll heißen: alles halb so wild.

Vielleicht wäre Petersen tatsächlich der beste Di-Santo-Ersatz. Im letzten Nordderby im September 2013 in Hamburg traf er bei Werders 2:0 zweimal. Das seien zwei der schönsten Momente in seiner Bundesliga-Karriere gewesen, schwärmt Petersen. Er hat sich die Tore jetzt noch einmal auf Video angeschaut, das hat ihm gutgetan – nach zuletzt tristen Zeiten. Damals ist Petersen zum Spieler des Spiels gewählt worden. Das Schild, das er dafür bekommen hat, steht noch heute zu Hause bei ihm im Flur. Der Torjäger Petersen, der die Tore zuletzt kaum noch jagen durfte, sehnt sich sehr nach einem weiteren Moment zum Erinnern, zum Anschauen, zum Vorzeigen. Innenverteidiger Sebastian Prödl sagt: „Der Nils braucht nur ein Erfolgserlebnis, dann kann er explodieren.“ Wer weiß, vielleicht wird unter Skripnik ja auch für Petersen alles gut. Vielleicht wird er, der bisher so wenig Glück hatte, nun zu einem, dem alles gelingt.