Ausgerechnet gegen den Nordrivalen Werder Bremen soll die Wende gelingen – Hamburger Spieler müssen sich Noten geben

Hamburg . Normalerweise können Fußballprofis den Ablauf nach einem Bundesligaspiel im Voraus in ihren privaten Terminkalender eintragen: Am Tag danach steht ein lockeres Auslauftraining an (wie am zur Stimmung passenden grau-tristen Montagvormittag), der folgende Tag dient zur Regeneration. Nach der 0:2-Niederlage des HSV in Wolfsburg bittet Trainer Joe Zinnbauer seine Spieler jedoch auch heute in die HSV-Arena. Nicht auf den Trainingsplatz, sondern zur großen Aufarbeitung. Intensive Positionsbetrachtung, Gruppenanalyse – auch die Spieler selbst sind gefordert, ihre Leistung einzuordnen. Dazu gehört, dass sich die Profis selbst Noten für ihren Auftritt geben sollen, wohlgemerkt aber vor Beginn der Analyse.

„Es wird wie immer einen Zusammenschnitt mit positiven und negativen Beispielen von unserem Analyseteam geben“, sagte Zinnbauer vor der Sitzung. „Es geht nicht darum, große Vorträge zu halten. Die Mannschaft soll auch selbst diskutieren. Natürlich werden wir auch die beiden Gegentore abarbeiten, vor allem aber einige Dinge für das Spiel gegen Bremen anzustoßen, den Spielern aufzeigen, was anders und besser gemacht werden kann.“

Und da fällt ihm sicher eine ganze Menge ein. Zum Beispiel die Anfälligkeit bei Kontern oder die Schwächen bei Standards. Vor allem aber begibt sich der HSV mit gerade mal vier Toren nach elf Spielen schon wieder auf die Jagd nach einem neuen Negativrekord. So wenig Treffer hatte zuletzt Eintracht Frankfurt in der Saison 1970/71 erzielt. Bei einer Trefferquote von nur 0,36 Toren pro Spiel ist mittlerweile der eigentlich für die Ewigkeit aufgestellte Minusrekord von Tasmania Berlin in Reichweite. Dem Verein gelangen in der Saison 1965/66 in 34 Partien am Ende 15 Treffer – 0,44 Tore im Schnitt.

Zinnbauer hat die Problematik – natürlich – längst erkennt und versucht sie intensiv zu bekämpfen. Die beiden Trainingseinheiten vor dem Wolfsburg- Spiel seien die besten unter seiner Regie gewesen, sagt er, man arbeite ja grundsätzlich sehr viel im offensiven Bereich. Die Mannschaft ziehe mit, sie höre zu: „Sie wollen, sie wollen, sie wollen. Aber sie belohnen sich nicht.“ Und fast trotzig fügt er hinzu, dass ihn die Torarmut nur bei Niederlagen störe: „Wenn wir gegen Bremen 1:0 gewinnen, haben wir drei Punkte mehr, aber auch erst fünf Tore.“

Nach dem vierten Spieltag hat Zinnbauer die Mannschaft übernommen. Er sieht Fortschritte und wies gestern mit Recht darauf hin, dass der HSV vor einer Woche nach dem Sieg gegen Leverkusen noch gefeiert wurde. Ausdrücklich lobte er die Qualität der Wolfsburger („Sie waren uns in allen Belangen überlegen“), besonders warb er aber um Geduld: „Wir haben eine Durststrecke bei den Erfolgserlebnissen und müssen in kleinen Schritten denken. Die Mannschaft ist konkurrenzfähig, das hat sie gezeigt. Aber das eben nicht der HSV der alten Zeiten.“

Nach einem Drittel der Saison muss jedoch konstatiert werden, dass die mit den Einkäufen verbundene Hoffnung auf Besserung bisher ausblieb. Zwar hatten die Hamburger Hakan Calhanoglu an Leverkusen verloren, aber für Pierre-Michel Lasogga (8,5 Millionen Euro), Nicolai Müller (4,5 Millionen Euro) und Lewis Holtby (derzeit auf Leihbasis hier, kostet im Sommer 6,5 Millionen Euro) Geld für den Offensivbereich investiert, das eigentlich gar nicht zur Verfügung steht.

Lasogga, Holtby und Müller bleiben unter den Erwartungen

Die individuellen Werte des Trios in Wolfsburg sprechen für sich: Während Lasogga (zwei Torschüsse) in Wolfsburg nahezu wirkungslos blieb, tauchte Müller (25 Ballkontakte in 79 Minuten) völlig ab, und auch Holtby (72 Prozent verlorene Zweikämpfe) ging gnadenlos unter. Hinzu kamen die offensichtlichen Abstimmungsprobleme von Holtby, Rafael van der Vaart und Valon Behrami, sodass der Spielaufbau bereits im Ansatz stockte.

Dass Sportchef Peter Knäbel am Sonntag schon mal ankündigte, sich im Winter nach weiteren Verstärkungen umzuschauen, sollten sich die Ergebnisse nicht einstellen, ist für Zinnbauer logisch: „Jeder Club wird sich seine Gedanken machen, wenn er in der Winterpause keine Punkte auf dem Konto hat. Das heißt aber nicht, dass wir Spieler brauchen, sie müssen es bloß umsetzen. Wenn die Resultate stimmen, wird sich der Verein keine Gedanken über den Trainer oder die Spieler machen.“

Mit der Partie gegen Bremen beginnt die Phase der Spiele gegen Clubs auf Augenhöhe: Danach folgen die Partien gegen Augsburg, Mainz, Freiburg und Stuttgart. Was zunächst wie ein Vorteil aussieht – die Vereine aus den Top sechs hat der HSV alle schon gespielt –, muss nicht einer sein, wie die Auftritte gegen Hertha (0:3) oder Paderborn (0:3) zeigten. Gerade gegen defensiver ausgerichtete Teams muss der HSV seine spielerischen Defizite ablegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der HSV wieder eine Zittersaison hinlegt, scheint groß, wenn nicht gegen Werder eine Trendwende gelingt.

Kurioserweise hat Zinnbauer das Derby in dieser Hinrunde schon einmal gegen seinen Kollegen Viktor Skripnik gespielt – am siebten Spieltag in der Regionalliga Nord. Mit 4:2 gewann der HSV II bei der U-23 Bremens. „Am 23. November, um 15.30 Uhr muss der Laden hier brennen, wir müssen die Fans ins Stadion bringen“, hofft Zinnbauer auf lautstarke Unterstützung, damit sich nicht die Geschichte aus der vergangenen Saison wiederholt, als der HSV beide Spiele gegen Werder verlor.

Eine positive Begleiterscheinung hat der ausbleibende Erfolg : Zinnbauer stehen in der Länderspiel-Pause die meisten Spieler zur Verfügung, es kann also nicht nur geredet, sondern auch geübt werden. Und die wenigen Reisenden werden nach ihrer Rückkehr in den Genuss einer Nachschulung kommen, was die Analyse des Wolfsburgs-Spiels betrifft.