Unter Slomka-Nachfolger Joe Zinnbauer kam beim 0:0 des HSV gegen Bayern die Leidenschaft zurück. Unter den Youngstern des HSV kursiert ein Handyvideo, das zeigt, wie Zinnbauer seine Mannschaft anfeuert.

Es war wohl nett gemeint, als HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer am Morgen nach dem Überraschungsremis gegen Bayern München Neu-Trainer Joe Zinnbauer gönnerhaft „einen entspannten Sonntagnachmittag mit der Familie“ wünschte. Vor und nach dem 0:0 gegen den Rekordmeister sei ja viel auf den Nachfolger von Mirko Slomka eingeprasselt, sodass dieser am Sonntag einfach mal abschalten sollte. Dass sich Zinnbauer nur kurze Zeit später auf den Weg nach Köln machte, um den kommenden Gegner Borussia Mönchengladbach unter die Lupe zu nehmen, wusste Vorgesetzter Beiersdorfer offenbar nicht. Wirklich überrascht haben dürfte es ihn allerdings nicht.

„Joe hat seine Aufgabe mit 100 Prozent Einsatz und 100 Prozent Identifikation aufgenommen“, lobte Beiersdorfer, nur eine Woche nachdem Aufsichtsratschef Karl Gernandt noch davon gesprochen hatte, dass der am Dienstag beurlaubte Slomka zu 120 Prozent gegen München auf der Bank sitzen würde. Bekanntlich kam es anders. Und es gehört wohl zu den irrationalen Besonderheiten des Fußballs, dass 100-Prozent-Zinnbauer nur drei Trainingseinheiten brauchte, um aus dem Tabellenletzten von 120-Prozent-Slomka ein Team zu formen, das sich ernsthaft mit Bayern München messen konnte. „Das war das erste Spiel seit Ewigkeiten, in dem wir als Mannschaft aufgetreten sind“, sagte Heiko Westermann.

Nur wie Zinnbauer das eigentlich gemacht hat, konnte auch am Sonntag niemand so richtig beantworten.

Unglaublich emotionale Ansprache

„Der Trainer hat uns das Vertrauen zurückgegeben“, versuchte sich Westermanns Abwehrnebenmann Johan Djourou mit einem Erklärungsansatz – und sprach dabei offenbar genau den entscheidenden Punkt an. So waren sich nach dem 94-minütigen Kampf gegen die vermeintliche bajuwarische Übermacht nahezu alle Profis darin einig, dass besonders Zinnbauers „unglaublich emotionale Ansprache vor dem Spiel“ (Djourou) Wunder bewirkt habe. „Der Trainer hat uns brutal heißgemacht. Wer nach dieser Ansprache nicht motiviert ist, dem ist auch nicht zu helfen“, sagte Lewis Holtby, während Tolgay Arslan von „einer echten Gänsehautatmosphäre“ unmittelbar vor dem Spiel sprach: „Wir sind ganz anders aus der Kabine gekommen als sonst.“

Keineswegs verwundert darüber ist Tolgays Namensvetter Ahmet Arslan, der Zinnbauers Motivationstricks bestens von den ersten acht Saisonsiegen mit der U23 kennt. „Ich wusste ganz genau, dass auch die Profis von Joe gepackt werden und nach dem Spiel davon sprechen, dass sie eine Gänsehaut haben. Dieser Trainer ist unglaublich, er ist nicht für die Regionalliga bestimmt“, sagt Arslan, der betont, niemals zuvor eine ähnlich fesselnde Kabinenansprache gehört zu haben. „Als Spieler will man nur noch raus und den Gegner weghauen. Man brennt so richtig, könnte dann auch 180 Minuten spielen.“

Wenn Zinnbauer in den fünf Minuten vor dem Anpfiff zur Mannschaft spreche, würde sich niemand mehr die Schuhe zubinden oder etwas trinken. „Man bekommt durch ihn diesen Tunnelblick, dass alles außerhalb des Spiels unwichtig wird“, sagt Arslan, der sich noch bestens daran erinnert, wie Zinnbauer alle Spieler vor dem Regionalligaspiel gegen Weiche Flensburg in der Kabine auf die Bänke hat steigen lassen. „Er wollte uns verdeutlichen, dass wir größer sind als der Gegner. Wir sollten mit breiter Brust auf den Rasen gehen und den Flensburgern schon vor dem Anpfiff das Gefühl geben, dass sie gegen uns an diesem Tag keine Chance haben werden.“ Der Trick funktionierte, die Hamburger gewannen 3:1.

Wie eine neuseeländische Rugbymannschaft

Nun ist der ETSV Weiche Flensburg nicht Bayern München, doch das Prinzip scheint das Gleiche zu bleiben. „Dieser Trainer verbraucht sich nicht. Er findet immer wieder was Neues“, sagt Ahmet Arslan. So kursiert auch ein Handyvideo bei den U23-Fußballern, das sie gemeinsam mit Zinnbauer singend wie eine neuseeländische Rugbymannschaft in der Kabine zeigt. Gerade mal fünf Minuten würden dem Coach schon reichen, dann bilden die Spieler noch einen Kreis, in dem sich die Fußballer gegenseitig heißmachen. Genauso hat es Zinnbauer auch vor dem Spiel gegen die Bayern gemacht. „Bei uns wurde der Teamgedanke im Kreis betont“, verriet Holtby später, „man hat dann im Spiel den absoluten Willen gesehen. Wichtig ist nun, dass wir jetzt mit Demut genauso weitermachen.“

Der Hinweis ist berechtigt. „Leider hatten wir oft nach einem sehr guten Spiel ein überhaupt nicht gutes Spiel“, mahnte Tolgay Arslan, der an der Seite des starken Valon Behrami das defensive Mittelfeld ordnete. Dabei rückte Arslan immer wieder aus dem Mittelfeld heraus, um beim vorher akribisch einstudierten Pressing Weltmeister Philipp Lahm im Mittelfeld schon beim Spielaufbau zu stören.

Das klappte vor allem deshalb so gut, weil auch die Offensivkräfte Lewis Holtby (12,91 Kilometer), Zoltan Stieber (12,25 Kilometer) und Nicolai Müller (11,38 Kilometer) unermüdlich liefen und so die Räume eng machten. Dabei ehrte es Bundesligadebütant Zinnbauer, dass er die Komplimente an seinem kurzfristigen Wirken an Vorgänger Mirko Slomka weiterreichte: „Was wir gelaufen sind, war unglaublich. Mirko hat die Mannschaft in einem Top-Fitness-Zustand hinterlassen.“

Doch auch Zinnbauer weiß, dass all die Euphorie um den überraschenden Punktgewinn schnell verflogen ist, wenn seiner neuen Mannschaft nicht bald auch das erste Tor gelingen will. Noch immer ist der HSV Vorletzter, hat noch kein Spiel gewonnen. Grund genug also für ihn, gleich den ersten freien Sonntagnachmittag als Profitrainer zu opfern.