Der HSV hat mit den Neuen Müller, Ostrzolek und Stieber erheblich an Tempo gewonnen. Ob die hohe Geschwindigkeit auch im DFB-Pokal hilft, wird sich Montag zeigen.

Hamburg. Ein schriller Pfiff – und los. Vollgas über den Trainingsplatz, vorbei an aufgestellten Drahtmännchen, in den freien Raum. Festgelegte Routen, aber ohne Ball. Und immer wieder. 30 Minuten lang. Ein schriller Pfiff.

Sie haben am Freitag wieder Umschaltspiel geübt beim HSV. Hohes Tempo nach vorne. Anspielstationen schaffen, Konter kreieren. Trainer Mirko Slomka schaut zufrieden, korrigiert nur wenig. „Es geht schon gut mit dem schnellen Spiel in die Spitze“, sagte Johan Djourou, „das ist jetzt unsere Philosophie, und wir haben durch die Neuzugänge jetzt auch die Spieler dafür. Das ist sehr wichtig.“

Längst ist Tempofußball in der Bundesliga ein unverzichtbares Erfolgsrezept. Spätestens die frechen Hoffenheimer Aufsteiger von 2008 sorgten mit ihren schnellen Kombinationen in genau festgelegten Laufwegen für ein Umdenken bei vielen Trainern. Bernhard Peters, der neue HSV Direktor Sport, hatte damals Trainer Ralf Rangnick mit Spiel- und Trainingsformen aus dem Hockey mitbeeinflusst: Das Spielfeld war eingeteilt in virtuelle Zonen, in denen die Problemlösungen den Spielern im Training immer wieder eingebimst wurden. Automatismen konnten sich entwickeln, die dann in hohem Tempo abgerufen wurden.

Borussia Dortmund mit Trainer Jürgen Klopp wurde mit aggressivem Verschieben und schnellen Umschalten 2011 und 2012 deutscher Meister, und Mirko Slomka brachte Hannover 96 in diesen Jahren zweimal in Folge in die Europa League. Mit einer Mannschaft, die fußballerisch sicher nicht zu den besten der Liga gehörte, aber den schnellen Gegenangriff fast perfekt beherrschte. Die Trainer Thomas Tuchel in Mainz und Markus Weinzierl in Augsburg waren mit ihren flinken Teams im Vorjahr dem in manchen Spielen fast schon statisch wirkenden HSV auch weit überlegen.

„Es gibt im Grunde zwei Möglichkeiten, in einem Fußballspiel zuzuschlagen: bei schnellem Umschalten nach einem plötzlichen Ballgewinn, was den Deutschen bei der WM gegen Brasilien in Perfektion gelungen ist“, erklärte Slomka kürzlich. „Der zweite Aspekt ist die Rückgewinnung des Balls. Wenn ich ihn innerhalb von fünf, sechs Sekunden zurückgewinnen kann, ist die Chance sehr groß, dass sich der Gegner gerade im Vorwärtsdrang befindet und man ihn erwischen kann.“

Doch eben dafür braucht man Tempo, das sich der HSV in den neu verpflichteten Zoltan Stieber, Matthias Ostrzolek und Nicolai Müller nun besorgt hat. Im bisherigen Kader fielen allein Dennis Diekmeier (Spitzengeschwindigkeit 34,78 km/h), der verletzte Maximilian Beister (32,9 km/h) und Marcell Jansen (32,65 km/h) durch regelmäßige Sprints in hohem Tempo auf. Durchschnittlich nur 30,14 km/h betrug die Höchstgeschwindigkeit aller HSV-Spieler in der vergangenen Saison, nur vier Teams waren noch langsamer (siehe Tabelle rechts).

Der ehemalige Mainzer Müller sprintete vergangene Serie in der Spitze 32,62 km/h, Ostrzolek kam auf 33,05 km/h, und Stieber wurde mit maximal 34,49 km/h gemessen. Fast noch wichtiger aber ist die Häufigkeit, in der diese drei zu ihren Tempoläufen ansetzten. 30 Sprints pro Spiel schaffte Müller, mehr als jeder HSV-Spieler. Ostrzolek setzte 27-mal zum Sprint an, Stieber 29-mal. Beister (29) und Jansen (27) kamen als Einzige in die Nähe dieser Werte. Der HSV hat also auf jeden Fall viel Tempo gewonnen.

Denn auffällig in der vergangenen Saison war eben auch, wie selten die Hamburger überhaupt zum Sprint gestartet sind. 202-mal pro Spiel sind sie in vollem Tempo gelaufen, lediglich drei Mannschaften waren schlechter, von denen allerdings Borussia Mönchengladbach und Bayer Leverkusen unbestritten die höhere fußballerische Qualität im Kader hatten. Borussia Dortmund zeigte dagegen 241 Teamsprints pro Spiel.

Da gibt es also erheblichen Nachholbedarf, den Slomka vor Beginn der neuen Spielzeit auch mit dem frühesten Trainingsstart aller Bundesligisten und drei Trainingslagern in Glücksburg, China und Österreich gutmachen wollte. „Für den Spielstil, den wir uns vorstellen, müssen wir eine Menge Arbeit investieren“, sagte Slomka, dem ja auch nicht verborgen geblieben war, dass seine Profis meist etwa nach 70 Minuten mit den Kräften schon am Ende waren.

„Es ist immer schwierig, wenn ein Trainer erst mitten in der Saison kommt“, sagt auch der neue stellvertretende Mannschaftskapitän Djourou mit Blick auf die taktischen und konditionellen Defizite in der Vorsaison. „Jetzt hat er die Zeit zur Vorbereitung gehabt, es war sehr anstrengend, aber es war wichtig für uns. Ich finde, dass wir eine gute Vorbereitung hatten und dass die Taktik gut funktioniert.“

Den ersten echten Test, ob das auch wirklich so ist, wird es nun am Montagabend (18.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) bei Drittligist Energie Cottbus im DFB-Pokal geben. „Wir wissen alle, dass es im Pokal keine einfachen Spiele gibt“, behauptet Djourou. Dass der Zweitligaabsteiger gegen den Fastabsteiger aus der ersten Liga eine Chance wittert, ist auch klar. Denn die Frage, wie stabil die Hamburger mit neuer Taktik und Spielsystem tatsächlich sind, die ist noch unbeantwortet.

Der HSV ist ein Klasseteam mit sehr guten Neuzugängen“, sagte Cottbus-Trainer Stefan Krämer. „Wir müssen versuchen, unsere Spielidee durchzubringen und nicht die Hamburger spielen lassen.“ Der Widerstand wird ganz bestimmt größer sein als der von den Drahtmännchen am Freitag.