Der neue alte Kapitän Rafael van der Vaart will beim HSV an alte Zeiten anknüpfen. Uli Stein traut ihm das zu. Trainingsdebüt für Nicolai Müller

Hamburg. Es war genau der richtige Einstieg für Nicolai Müller, um einen Eindruck zu bekommen, wie der Hase beim HSV derzeit läuft. Bei seinem Trainingsdebüt am Montag schickte HSV-Coach Mirko Slomka das Team nach dem Warmlaufen wieder gen Arena – allerdings nur für die guten alten Treppenläufe. 15 Minuten und geschätzt 500 Stufen später durften sich die Profis dann schweißgebadet zum eigentlichen Training begeben.

Dort deutete Müller sofort an, dass die erhoffte Verstärkung sein kann. Vor allem das Zusammenspiel mit Regisseur Rafael van der Vaart klappte schon sehr gut, der auf Vorlage des Neuzugangs aus Mainz auch den ersten Treffer erzielte. „Noch mehr Zug zum Tor“, forderte Slomka zwar lautstark, doch als Tor-Butler konnte sich Müller mehrfach in Szene setzen.

Eine lange Eingewöhnungszeit darf sich der schnelle Flügelstürmer auch nicht gönnen. Sein direkter Konkurrent Zoltan Stieber machte bei der 0:2-Niederlage im Testspiel gegen Lazio Rom deutlich, dass er der HSV-Offensive derzeit nicht entscheidend weiterhelfen kann. Und nach der noch nicht absehbaren Genesung des am Sprunggelenk verletzten Stoßstürmers Pierre-Michel Lasogga benötigen die Hamburger dringend neue Impulse im Spiel nach vorn. Müller hat den Beweis dieser Qualität mit neun Toren und drei Vorlagen aus 26 Spielen in der vergangenen Saison bei Mainz 05 bereits angetreten.

Auch der alte und neue Kapitän ist sich sicher, dass Müller entscheidende Impulse setzen kann. „Er ist genau der Spieler, den wir gesucht haben, der auch mal in die Tiefe gehen kann. Ich habe die Qualität, den Ball in die Spitze zu ihm durchstecken zu können, das wird harmonieren“, glaubt van der Vaart. Diese Qualität blieb der Spielführer selbst in der vergangenen Saison jedoch schuldig. Um der Abteilung Attacke neues Leben einzuhauchen, muss auch von ihm viel mehr kommen – das hat er allerdings selbst längst eingestanden. Jetzt sieht der 31-Jährige seine Fitness eine Woche vor dem Saisonstart im DFB-Pokal bei „100 Prozent“ und ist „froh, stolz und geehrt“, die Kapitänsbinde behalten zu dürfen, die ihm Slomka erneut verliehen hatte.

Das Amt des Mannschaftskapitäns ist zwar keine Huldigung, aber es zeigt eine gewisse Wertschätzung, die sich van der Vaart durch sein Auftreten in der Vorbereitung verdient hat. Nähme man nur die vergangene Saison als Maßstab, kämen berechtigte Zweifel an der Entscheidung auf: Der Niederländer war auf und neben dem Platz viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als hätte er seine Mannschaft führen können. Andererseits: Was blieb Trainer Slomka anderes übrig? Ihn zu degradieren, hätte kurz vor dem Saisonstart erneut für Unruhe gesorgt. Zudem fehlt es an Alternativen. Torwart René Adler, der dienstälteste Profi Marcell Jansen oder auch Stellvertreter Johan Djourou waren von ihren Leistungen her ähnlich ungeeignet, um den Kameraden den Weg vorzugeben.

Sogar einer der größten Kritiker van der Vaarts ist plötzlich milde gestimmt: Der ehemalige HSV-Torwart Uli Stein kann die Entscheidung, den 109-fachen Nationalspieler wieder zum Kapitän zu machen, nachvollziehen: „Solange sein Stellenwert im Team so hoch ist, kann er auch die Binde tragen. Nur muss er dann auch auf dem Platz mit überzeugenden Leistungen vorangehen“, erklärt der Torwarttrainer der Nationalmannschaft Aserbaidschans.

Das überrascht ein wenig, schließlich hatte Stein den HSV-Regisseur zu Ende der vergangenen Saison noch als „Alibi-Fußballer“ heftigst kritisiert. „Was van der Vaart auf dem Platz abliefert, hat mit Fußball nichts zu tun. Er verlangsamt das Spiel. Mit ihm spielt der HSV regelmäßig nur mit zehn statt elf Spielern“, sagte Uli Stein damals. Doch angesichts der neu gewonnenen Fitness van der Vaarts ist der 59-Jährige jetzt überzeugt, dass der HSV in dieser Saison von dem Niederländer profitieren wird. „Ein Klasse-Fußballer war er schon immer. Nun hat Rafael ja selbst zugegeben, dass er jetzt fünf Kilo weniger wiegt und im Vorjahr nicht fit war. Wenn er selbst beim HSV bleiben möchte, sollte der Klub ihn auch nicht abgeben“, sagt Stein.

Rafael van der Vaart selbst betonte nochmals, dass es „sehr gut aussieht, dass ich beim HSV bleibe“. Und auch die Forderung nach einem weiteren Offensivspieler kann er nur bedingt nachvollziehen. „Wenn alle fit sind, haben wir genug Qualität in der Offensive und müssen eigentlich nichts mehr machen.“ Doch wann das der Fall sein wird, ist unklar. Pierre-Michel Lasogga konnte auch am Montag nur individuell trainieren und wird beim Testspiel in Erfurt am Dienstag (19 Uhr) nicht mitwirken können. Zudem mussten Per Skjelbred und Marcell Jansen mit Erkältungen pausieren.

Dafür ließ sich ein sichtlich geschaffter Nicolai Müller nach dem Training Positives entlocken: „Alles gut. Ich habe keine Probleme mehr mit meinen Adduktoren.“ Nur mit den Treppen, die er an diesem Montag ein letztes Mal erklimmen musste.