Wie der HSV in Mainz versucht, eine völlig missratene Saison doch noch mit einem vorläufigen Happy End abzuschließen

Mainz/Hamburg. Das Hyatt Regency ist ein exklusiver Ort, direkt am Rhein gelegen und eine gelungene architektonische Symbiose aus einem Neubau und der 1843 gebauten Festung Fort Malakoff. Die deutsche Nationalmannschaft wird dort vor dem Länderspiel gegen Armenien (6. Juni) logieren – genau wie der HSV, der an diesem Sonnabend beim FSV Mainz 05 (15.30 Uhr, live bei abendblatt.de) seinen Platz in der Bundesliga verteidigen will.

Carl Jarchow wird erst am Vormittag nach Frankfurt fliegen. Der Aberglaube. In Augsburg und Hannover reiste er mit der Mannschaft am Vortag an, es setzte Niederlagen. Der 59-Jährige sitzt am Donnerstag in seinem Büro im Bauch der Osttribüne und trinkt am ovalen Konferenztisch Kaffee. Er erzählt mit ruhigem Tonfall, wie sich die Spannung vor jedem Bundesligaspiel nur langsam aufbaut. Auch deshalb, weil es ja so viel zu tun gibt, was dankbarer Weise für Ablenkung sorgt.

Auch in diesen Tagen gilt es, die Mitgliederversammlung am 25. Mai vorzubereiten. Aktuell wichtiger ist es, die Auflagen zur Spielberechtigung für die Bundesliga und die Zweite Liga zu erfüllen. „Wir werden die Lizenz bekommen“, ist sich der HSV-Chef sicher. Zehn Millionen Euro bei Klassenerhalt und 20 Millionen Euro im Abstiegsfall, so heißt es, soll der Verein nachweisen müssen. Jarchow lächelt nur, sein Blick sagt: Die Summen sind viel zu hoch.

Von Jarchow kennt die Öffentlichkeit keine großen emotionalen Ausschläge, ein typischer Hanseat nach dem gängigen Klischee eben. Wenn der HSV-Vorsitzende, wie jüngst im ZDF- „Sportstudio“, den drohenden Abstieg seines Vereins kommentiert, wirkt er wie ein Nachrichtensprecher.

Doch dann geht sein Gedanke Richtung Sonnabend, 15.30 Uhr, Mainz. „Diese 90 Minuten sind das Schlimmste für mich“, sagt er plötzlich. Jene 90 Minuten, in denen er ohnmächtig hoffen muss, dass seine Spieler nicht am Druck zerbrechen. Schlimm ist diese Phase für ihn sowieso jedes Wochenende. Aber dieses Mal geht es um die Zukunft des Clubs. Ums Überleben.

„Hektik und Überreaktionen helfen in dieser Situation nicht“, sagt er. Wie Trainer Mirko Slomka war der Vorsitzende bemüht, für die Spieler ein Wohlfühlklima zu erzeugen. Kein Kurztrainingslager, kein Abschotten. Stattdessen setzte man auf den Zusammenschluss mit den Fans, auf zusätzliche Energie, notfalls auch durch den beim Abschlusstraining am Freitag ebenfalls anwesenden Energetiker Joseph Kuhnert. Dass die Einheit kurzfristig auf einen Außenplatz der Arena verlegt wurde, lag aber wohl eher am Starkregen – der Rasen musste wegen des anstehenden Länderspiels geschont werden. Ob es ein kleiner Wink des Fußballgotts war, dass der Guss genau in dem Moment nachließ, als die Spieler zum 45-minütigen Üben erschienen?

Die wichtigste Botschaft des unaufgeregten Trainings: Pierre-Michel Lasogga mischte ebenso mit wie Dennis Diekmeier und Marcell Jansen, Slomka stehen personelle Alternativen zur Verfügung. Der HSV-Trainer sieht sich aber nicht nur als Fußballtrainer gefordert, sondern auch als Stimmungsmacher, als Motivator. „Die Mannschaft soll sich gut fühlen, wohl behütet“, sagt Slomka, der darauf hofft, dass sein schlimmer Auswärtsfluch endlich gebrochen wird.

Der Ablauf ist wie immer. Um 17 Uhr der Abflug nach Frankfurt, Weiterfahrt nach Mainz. Am Abend Einzelgespräche, taktische Einweisungen. Mit HSV-Köchin Johanna Vogt hat das Hotel den Speiseplan abgestimmt. Abends können die Spieler in der Festungs-Bar entspannen, umgeben von saniertem Sandstein und von Minifenstern, die früher Schießscharten waren. Wenn das keine Symbolik für den Abstiegskampf ist. Am Morgen um neun Uhr steht dann ein gemeinsames Frühstück auf dem Plan, gefolgt vom Spaziergang am Rhein, dem Mittagessen (zwölf Uhr) und anschließender Besprechung. Um 14.15 Uhr soll der Bus die nur sieben Kilometer lange Strecke zurückgelegt haben und vor dem Stadion parken. 5000 HSV-Fans sollen sich Karten für das Spiel besorgt haben – und auch einige St.-Pauli-Fans, die darauf hoffen, die letzten Sekunden des Lokalrivalen herunterzählen zu können.

Ja, er könne gut schlafen, berichtet Slomka, der Stressabbau mit Sport betreibt. Er weiß, wie es ist, in solch ein Entscheidungsspiel zu gehen. 2010 glückte ihm mit Hannover in Bochum erst am letzten Spieltag der Klassenerhalt. Die Strategie des HSV-Trainers in diesen Tagen lautet: positiv denken. Am Donnerstag wies Slomka darauf hin, dass Rafael van der Vaart in Mainz seinen letzten von bisher sieben Treffern erzielt hat. Die gestiegene Anzahl der intensiven Läufe sei ein klarer Hinweis, dass sein Team bereit sei für das Endspiel. Und ja, natürlich wäre das Erreichen der Relegationsspiele nur ein Zwischenziel, eine Etappenankunft.

Und auch Jarchow kennt diese Drucksituation aus der Saison 2011/12, als man erst mit einem Sieg in Kaiserslautern die Rettung einleitete. „Die Konzentration auf das Tagesgeschäft hilft.“ Was passiert, wenn der sportliche GAU eintrifft, weiß in Hamburg mangels Erfahrung niemand. Mit den wichtigsten Ultragruppierungen liegt der Vorstand im heftigen Clinch (Abendblatt berichtete). Um 20 Uhr fliegt der HSV aus Frankfurt zurück nach Hamburg. Ob einzelne Fans im Abstiegsfall den Spielern einen unschönen Empfang bereiten werden?

Jarchow wird sich in jedem Fall stellen, ob am Abend oder am Sonntag. „Verstecken ist keine Option für mich, ich werde mich nicht aus der Gesamtverantwortung stehlen.“ Ob er als Konsequenz auch schon an Rücktritt gedacht hat? „Nein.“ Sein Vertrag läuft noch ein Jahr, er fühlt sich dem Club verpflichtet. Seine Aufgabe ist es, die Ausgliederung zu organisieren. Wie seine Rolle in der HSVPlus-Struktur aussehen wird, ist völlig offen.

Aber das interessiert Jarchow jetzt nicht wirklich. Um zehn Uhr ist am Sonntag das nächste Training angesetzt. Als Vorbereitung auf die Relegationsspiele.

Mainz: Karius – Pospech, Bell, Noveski, Diaz – Geis, Soto – Moritz, Malli, Choupo-Moting – Okazaki.

HSV: Adler – Diekmeier, Djourou, Mancienne, Westermann – Badelj, Tesche – Rincon (Ilicevic), van der Vaart, Calhanoglu – Lasogga.

Schiedsrichter: Kinhöfer (Herne).