Der HSV-Sportchef spricht vor dem Abstiegsendspiel an diesem Mittwoch gegen Freiburg über Wege zum Klassenerhalt und erklärt, wie man den Profis helfen kann, nicht zu verkrampfen und ihre optimale Leistung abzurufen.

Hamburg. Die Vorzeichen sind klar: Nur ein Sieg gegen den Konkurrenten SC Freiburg (20 Uhr, Liveticker abendblatt.de) verschafft dem HSV im Abstiegskampf etwas Luft. Wie man den Profis helfen kann, nicht zu verkrampfen und ihre optimale Leistung abzurufen, sagt Sportchef Oliver Kreuzer.

Hamburger Abendblatt: Wie ruhig oder unruhig schläft ein HSV-Sportchef vor der so wichtigen Aufgabe gegen Freiburg?
Kreuzer: Ich schlafe vor Spielen eigentlich immer ruhig. Die Anspannung steigt am Spieltag, ist aber mit dem Anpfiff vorbei. Es ist wichtig, dass wir in dieser Phase die nötige Ruhe und Gelassenheit vorleben.

Gehen Sie vor dem Spiel in die Kabine?
Kreuzer: Ich bin vor jedem Spiel immer im Kabinentrakt. Aber da gibt es von meiner Seite nichts mehr zu sagen. Da hat nur der Trainer das Wort.

Uli Hoeneß hat ja bei den Bayern früher auch mal in absolut brenzligen Situationen das Wort ergriffen.
Kreuzer: Aber nie vor einem Spiel in der Kabine! Es gab mal Gefühlsausbrüche während der Halbzeit, nach einer Begegnung oder während der Woche. Aber Uli Hoeneß hätte sich nie angemaßt, vor dem Spiel zu reden.

Wie oft haben Sie schon eingegriffen?
Kreuzer: Wenn ich das Gespür hatte, dass sich Dinge falsch entwickeln. Dann muss ich auch das Recht haben, zur Mannschaft zu sprechen. Aber es muss dosiert bleiben. Es macht keinen Sinn, alle zwei Wochen einen flammenden Appell an die Mannschaft zu richten.

Wann dämmerte Ihnen das erste Mal, dass es diese Saison eng werden könnte?
Kreuzer: Daran gezweifelt, dass wir die Klasse halten, habe ich zu keinem Zeitpunkt. Aber nach dem Hertha-Spiel kam der Gedanke, dass wir bis zum Ende unten drin sein könnten.

Was hat sich im Vergleich zu diesem Spiel seitdem geändert? Die Mentalität im Team scheint eine andere zu sein.
Kreuzer: Mag sein, dass dem einen oder anderen Spieler die Situation bewusster geworden ist. Aber Mentalität ist ein dehnbarer Begriff, dafür gibt es keinen Parameter. Mirko Slomka hat einige Stellschrauben gedreht, taktische Veränderungen vorgenommen. Wir stehen defensiv viel stabiler, sind nicht mehr so anfällig. Nur vier Gegentore in fünf Spielen sprechen für sich. Mit dieser wiedergewonnenen Sicherheit wächst das Vertrauen der Mannschaft in ihre Stärke. Die Spieler wissen, dass sie mithalten können mit allen Teams.

Wie empfinden Sie die Stimmung in der Stadt? Bekommen Sie beim Bäcker die Angst vor dem Abstieg zu spüren?
Kreuzer: Nein, selten. Eher im Gegenteil die Solidarität und den Glauben: Herr Kreuzer, wir schaffen das!

Was ist entscheidend dafür, dass die Spieler den hohen Druck positiv annehmen und ihre Leistung abrufen können?
Kreuzer: Vor allem ist es wenig sinnvoll, Hochrechnungen anzustellen, das bringt nichts. Außerdem bin ich überzeugt, dass es noch einige Überraschungen gibt. Unsere Hauptaufgabe ist es, den Spielern Vertrauen zu geben, sie müssen spüren, dass wir absolut vom Klassenerhalt überzeugt sind.

Inwieweit kann man am Spieltag überhaupt noch auf die Profis einwirken?
Kreuzer: Am Vormittag ist ein leichtes Training angesetzt, danach folgt die klassische Vorbereitung, in der ein Trainer individuell einige taktische Dinge anspricht, aber das sind keine Motivationsgespräche, wenn Sie darauf zielen.

Und auf Mentaltrainer ...
Kreuzer: ... ich weiß, einige Spieler haben auch einen Mentaltrainer, aber nicht aufgrund der aktuellen Situation. Das ist ja ein Prozess. Es kann ja nicht heißen: Wir haben verloren, jetzt brauche ich einen Mentaltrainer. Und nach einem Sieg sage ich dann: Jetzt brauche ich keinen mehr. Am Spieltag können Sie auf dieser Ebene nicht mehr groß auf einen Spieler einwirken. In der Besprechung mit dem Trainer geht es konkret um Freiburg, um den Matchplan, um Details wie Standards. Und dann heißt es: Achtung, fertig, los!

Ist es für Sie denkbar anzuordnen, Zwischenergebnisse in anderen Stadien nicht mehr einzublenden?
Kreuzer: Wir werden in den letzten Partien sicher ein Auge darauf werfen, ob es Sinn macht. Ich bin eher jemand, der sagt: Lasst uns unser Spiel spielen.

Mit Michael Mancienne und Robert Tesche sind zwei Spieler im Kader, die eigentlich gehen sollten. Ein Problem?
Kreuzer: Nein. Michael hat hervorragend gespielt, sein Vertrag läuft noch bis 2015. Roberts Vertrag läuft bekanntlich aus. Entweder er will sich bei uns oder für einen neuen Verein empfehlen. Wo soll also das Problem sein?

Denken Sie nicht manchmal zurück und müssen sich kneifen? Unter Thorsten Fink spielten Tesche, Mancienne und Slobodan Rajkovic gar keine Rolle mehr.
Kreuzer: Im Fußball sind eben nicht alle Dinge zu kalkulieren. Wie würden Sie denn handeln, wenn Ihnen ein Trainer sagt: Dieser Spieler läuft bei mir nie mehr auf? Ich sage es Ihnen: Dann schauen Sie auf Ihr Budget, die geplanten Einkürzungen und beschließen, zum Beispiel bei Rajkovic: Boban, unser Ziel ist, eine Trennung zu erreichen. Sie hätten wohl auch nicht im vergangenen Sommer vorausgesagt, dass wir im März den dritten Trainer der Saison haben. Oder hätte ich Thorsten etwa sagen sollen: Der Rajkovic spielt in acht Monaten stark gegen Dortmund und in Bremen, den müssen wir halten? Im Nachgang die Dinge zu bewerten ist immer einfach. Aber es gibt ja Gründe, warum man Entscheidungen trifft.

Wie im Winter bei Artjoms Rudnevs, dem heute viele nachtrauern.
Kreuzer: Er spielte unter Bert van Marwijk keine Rolle mehr, der Trainer sagte mir, dass er eher Hakan Calhanoglu in die Spitze vorziehen würde, bevor er mit Rudi spielt. Noch mal: Wenn Sie mir im Winter hätten sagen können: Moment, Sportchef, in acht Wochen holen Sie doch den Mirko Slomka als Trainer.... Aber im Ernst: Das sind Dinge, die man nicht voraussehen kann. Rudi kam im Trainingslager jeden Tag und sagte: Lass mich bitte gehen.

Ist man unterm Strich doch als Club abhängig vom Trainer? Es heißt häufig, der Verein müsse eine Philosophie vorgeben, nach der sich ein Trainer zu richten habe.
Kreuzer: Das macht doch kein Verein, abgesehen von Barcelona und Ajax Amsterdam. Auch beim FC Bayern sagt ein Jupp Heynckes, er will Luca Toni. Oder Pep Guardiola fordert Thiago. Sie müssen einen Trainer mit einbeziehen. Ganz klar: Der Trainer des HSV bestimmt nicht die Personalpolitik, aber idealerweise werden Entscheidungen im Einklang getroffen. Sonst beginnen Sie immer wieder von vorne, wenn Trainer oder Sportchef getauscht werden.

Unter den Fans wird auch die Verpflichtung von Ola John diskutiert.
Kreuzer: Es bringt ja nichts, wenn ich in dieser speziellen Transferperiode einen unbekannten Spieler hole, von dem ich mir gerade mal ein Video oder eine Statistik anschauen kann. Voraussetzung im Winter ist es doch, dass der Sportchef oder der Trainer ihn sehr gut kennt. Van Marwijk hatte ihn ja als Nationaltrainer berufen, und er hat noch mal mit dem niederländischen U21-Trainer und Olas Ex-Trainern von ehemaligen Vereinen gesprochen. Wenn Ihnen dann van Marwijk sagt: Diese Qualität haben wir nicht – dann mache ich das doch, es sei denn, ich habe eine bessere Alternative. Wer weiß, vielleicht wird Ola gegen Freiburg eingewechselt und macht zwei Tore.

Macht es Ihnen auch Hoffnung, dass jetzt wieder ein Heimspiel ansteht?
Kreuzer: Mag sein, dass wir auswärts noch nicht so gefestigt sind. Aber ich habe das Stuttgart-Spiel besser gesehen als Sie. Im Übrigen interessieren mich solche Statistiken herzlich wenig. Mich interessieren die Punkte. Wann und wo wir sie holen, ist mir egal.