Beim 0:1 in Stuttgart gingen nicht nur drei Punkte verloren, sondern auch Hakan Calhanoglu – Lasogga vor Rückkehr. Ganze sechs Torschüsse brachten die passiven, im Spielaufbau behäbigen Hamburger zustande.

Stuttgart/Hamburg. Gut fünf Stunden dauerte eine Zugfahrt am späten Sonnabend von Stuttgart nach Hamburg. Genug Zeit also für die HSV-Fans, den Frust über das 0:1 beim VfB zu verdünnen und nach vorn zu blicken. Die Schlachtrufe „Wir steigen niemals ab, wir steigen niemals ab“ klangen wie gesungene Mantras, allerdings mit einer überraschenden Pointe am Schluss. „Wir steigen niemals ab, wir steigen niemals ab, wir wechseln bloß die Liga, wir steigen niemals ab.“ Da sage noch einer, HSV-Anhänger hätten trotz der dramatischen Lage ihren Humor verloren.

Die Fakten sind alarmierend. Nach vier Spielen gegen die Konkurrenz aus Bremen (0:1) Frankfurt (1:1), Nürnberg (2:1) und nun Stuttgart stehen gerade mal vier Punkte auf der Habenseite. Da nützt es wenig, dass der HSV stabiler agiert: Unterm Strich ist das viel zu wenig, um die Ergebniskrise zu beenden. Gelingt am Mittwoch (20 Uhr) gegen den SC Freiburg, der zwei Siege in Folge feiern konnte und mit 25 Punkten am HSV vorbeizog, kein Sieg, droht die Mission Klassenerhalt zu scheitern.

Vor allem eine Szene in der 53. Minute war es, die den HSV wieder zittern lässt. Ausgerechnet Hakan Calhanoglu, zuletzt bester Offensivspieler, musste mit Gelb-Rot vom Platz. Bereits früh nach einem Foul an Moritz Leitner (8.) mit Gelb belastet, ließ er sich im Mittelfeld bei einem Stuttgarter Konter zu einem Trikotzupfer an Christian Gentner hinreißen. Eine jugendliche Dummheit des 20-Jährigen, die Schiedsrichter Felix Brych mit Gelb-Rot ahndete.

„Komplett überflüssig“, war Sportchef Oliver Kreuzer außer sich vor Wut, „wenn Brych so in Brasilien pfeift, wird er sofort von der WM ausgeschlossen.“ Differenzierter äußerte sich Mirko Slomka, der das berühmte Fingerspitzengefühl vermisste, eine solch existenzielle Partie nicht so zu beeinflussen. Und Calhanoglu selbst? Er nahm am Sonntag alle Schuld auf sich: „Ich habe das Team im Stich gelassen, habe ein schlechtes Gewissen.“ Und ja, die Gelbe Karte konnte man geben, obwohl er den Eindruck hatte, dass „Brych mich ein bisschen auf dem Kieker hatte“.

So also nahm das Unheil aus HSV-Sicht seinen Lauf. Huub Stevens wechselte Offensivmann Alexandru Maxim ein, der denn auch den Siegtreffer erzielen konnte (69.), begünstigt allerdings durch einen Fehler von Heiko Westermann, dessen missglückter Kopfballabwehrversuch Ibrahima Traoré zu der Torvorlage nutzen konnte.

Zwar musste Brych nach dem Abpfiff als Sündenbock herhalten (Westermann: „Bis zum Gelb-Rot haben wir das super gemacht“), doch auch vor der Hinausstellung bewegte sich das Niveau häufig Richtung Nulllinie. Ein 0:0 wäre deshalb das einzig gerechte Ergebnis gewesen. „Es waren gute Momente dabei, aber auch Momente, da war es Kreisliga“, urteilte Stevens treffend. Die Taktik des HSV, auf den einen Fehler beim völlig verunsicherten Gegner zu lauern und selbst keine Räume zu bieten, ging nicht auf.

Ganze sechs Torschüsse brachten die passiven, im Spielaufbau behäbigen Hamburger zustande, gegen die Nürnberger waren es noch 26 gewesen. Strahlte das Team vor einer Woche den unbedingten Siegeswillen aus, so war der Gedanke, nur nicht verlieren zu wollen, wie so oft ein schlechter Ratgeber. Die Ereignisarmut vor beiden Toren war allerdings auch dem Umstand geschuldet, dass Neu-Trainer Stevens seinem Team eine Defensivkur verabreicht hatte. Selten stand eine Heimmannschaft so tief wie die Stuttgarter, die nach zehn sieglosen Partien, davon acht Niederlagen, wieder jubeln durfte.

Beim HSV wird nun weiter gerechnet: Das 0:1 war bereits die sechste Auswärtsniederlage seit dem letzten Erfolg in der Fremde (3:0 am 27. Oktober in Freiburg), unterbrochen nur durch ein 1:1 in Wolfsburg. Und auch Slomka, der bereits mit Hannover seine letzten neun Gastspiele verloren hatte, muss auf das Ende seiner persönlichen schwarzen Serie warten. Kein Wunder, dass alle Beteiligten schnell den Fokus auf das bedeutsame Heimspiel gegen Freiburg richten wollten. Dann droht allerdings neben dem gesperrten Calhanoglu auch Ivo Ilicevic auszufallen. Der Kroate klagte nach einem Schlag aufs Knie am Sonntag über Schmerzen.

Als Mutmacher musste am Sonntag deshalb Pierre-Michel Lasogga herhalten. Der in den vergangenen Partien vermisste Torjäger steigerte sein Trainingspensum ohne Probleme. „Klar haben wir die Hoffnung, dass er uns zur Verfügung steht“, sagte Slomka. Die Frage ist nur, wer, wenn Calhanoglu und Ilicevic fehlen, für die Vorlagen sorgen soll. Schließlich resultiert die Ergebniskrise auch aus der Offensivschwäche: Erst acht Tore gelangen dem HSV in der Rückrunde. Wie formulierte es Tolgay Arslan doch so richtig: „Wir haben gefühlt ein bisschen mehr Pech als die anderen Teams, die unten drinstehen.“