Der HSV erspielt sich pro Partie gerade einmal vier Möglichkeiten – gegen den 1. FC Nürnberg soll die Wende gelingen

Hamburg. Eines kann den HSV-Profis in dieser Saison unter keinen Umständen vorgeworfen werden: Dass sie ihr Passspiel nicht ausreichend trainieren würden. Schon unter Trainer Thorsten Fink hatten Ballstafetten in den Übungseinheiten einen hohen Stellenwert, sein Nachfolger Bert van Marwijk trainierte kaum etwas anderes. Und auch Mirko Slomka legt viel Wert auf die spielerische Komponente. Der Ball läuft ja auch ganz gut durch die eigenen Reihen, die Passquote ist beim HSV oftmals gleich um zehn Prozent höher als beim Gegner. Doch aussagekräftig scheint diese Statistik nicht zu sein. Denn es mangelt ganz offensichtlich an der nötigen Effektivität.

Diese ist im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) fraglos vonnöten. Denn die besondere Tabellensituation macht deutlich, dass ein Remis wie im letzten Spiel gegen Eintracht Frankfurt niemanden beim HSV zufriedenstellen kann. Mit einem dreifachen Punktgewinn würden die Hamburger den Kontrahenten hinter sich lassen und nach diesem 25. Spieltag damit mindestens auf Platz 15 rangieren. „Ein außerordentlich bedeutsames Spiel, und das wird man auch auf dem Platz sehen“, kündigte Slomka an. Es wäre zweifelsfrei ein gutes Gefühl, dem Abstieg in den restlichen Begegnungen aus eigener Kraft entgehen zu können.

Doch dafür muss der HSV zulegen – vor allem im Offensivspiel. Gegen Frankfurt konnte der Bundesliga-Dino nur vier Torchancen verzeichnen – in 90 Minuten, in einem Heimspiel, gegen ein Team aus unteren Tabellenregionen, wohlgemerkt. In der Partie zuvor in Bremen kamen die Slomka-Schützlinge gerade mal auf eine Tormöglichkeit. Der 3:0-Sieg gegen Dortmund entsprang in erster Linie der Konsequenz einer guten Chancenverwertung als eines Offensivfeuerwerks der Hamburger, aber natürlich war der erste Auftritt unter Slomka eine taktische Meisterleistung.

In den Spielen vor dem letzten Trainerwechsel waren Torchancen teilweise sogar noch seltener. Und wenn es doch mal gefährlich wurde, ging oft eine Standardsituation voraus. In den vergangenen elf Partien kam der HSV im Schnitt auf 3,9 Tormöglichkeiten pro Spiel. Wenn man von einer Verwertungsquote von 15 bis 25 Prozent ausgeht, wie sie in der Bundesliga üblich ist, darf sich niemand wundern, warum der Erfolg so lange ausblieb. Die letzte Partie, in der sich die Hamburger eine höhere Anzahl an Chancen herausgespielt hatten als der Gegner, fand Mitte November statt, beim 3:1-Sieg über Hannover 96 – damals übrigens von Slomka trainiert.

Doch der heutige HSV-Coach ist sich bewusst, dass sein Team im kreativen Bereich zulegen muss. „Es wäre natürlich schön, wenn wir eine größere Auswahl an Stürmern hätten“, sagte Slomka, der aber aufgrund der guten Form Ivo Ilicevics, vor allem aber durch die Rückkehr seines Kapitäns dennoch optimistisch gestimmt ist. „Rafael van der Vaart kann mit seiner Technik den Unterschied vor dem Tor ausmachen. Nicht nur im Abschluss, sondern auch mit seiner Art, den Ball anzunehmen, ihn weiterzuleiten und mit Doppelpässen Torchancen zu kreieren.“

Da fragt sich der eine oder andere Fan sicherlich, warum der Niederländer das in der Vergangenheit so selten gezeigt hat. Slomka verweist zwar darauf, dass van der Vaart unter seiner Ägide verletzungs- und krankheitsbedingt erst eine Halbzeit gespielt hat und er sich sicher sei, dass der Regisseur unter ihm zu alter Stärke zurückfinden werde, wenn er denn absolut fit ist.

Doch der HSV-Coach will ihn auch anders einsetzen, als seine Vorgänger das oft taten. „Rafael gehört in die Spitze oder etwas dahinter. Er soll sich seine Bälle nicht im defensiven Mittelfeld abholen. Genauso sollen sich die defensiven Mittelfeldspieler nicht zwischen die Verteidiger fallen lassen, um das Spiel aufzubauen. Das können die Abwehrspieler selbst“, erklärt Slomka sein taktisches Vorhaben.

Ob die technisch überwiegend limitierten Verteidiger des HSV das wirklich selber können, sei dahingestellt. Fakt ist aber, das ein Thorsten Fink etwa genau das immer wieder propagiert hat, was Slomka nun infrage stellt. Doch durch dieses strikte Festhalten an den Positionen will Slomka für mehr Gefahr aus dem Spiel heraus sorgen. Seine technisch begabten, zentralen Mittelfeldspieler Tolgay Arslan und Milan Badelj hatte der 46-Jährige unlängst als „Waffe“ bezeichnet, die bisher jedoch recht stumpf geblieben ist. Und auch Hakan Calhanoglu müsste mit seinen Anlagen eigentlich prädestiniert sein, viel mehr Torraumszenen zu initiieren. „Wir sind in dieser Woche als Mannschaft nochmal ein Stück vorangekommen, konnten mit der Formation trainieren, mit der wir auch spielen wollen. Ich bin mir sicher, dass wir an unsere gute zweite Halbzeit aus dem Frankfurt-Spiel anknüpfen werden“, befand Slomka.

Im Trainingsspiel Stammelf gegen Reservisten plus Amateure über den ganzen Platz konnte die mutmaßliche Formation für das Nürnberg-Spiel am Freitag allerdings kaum spielerische Akzente setzen. Sie gewann zwar mit 2:1, doch beide Tore resultieren aus – genau, Standardsituationen. Und die „Clubberer“ sind sicherlich nicht schlechter als die Hamburger B-Elf.

Als „extrem laufstark in allen Bereichen“, schätzt Slomka den Gegner ein, dessen letzte zwei Niederlagen jedoch zu einer „kleinen Unsicherheit“ geführt haben könnten. Vielleicht sollten sich die HSV-Profis das Hinspiel noch einmal zu Gemüte führen. Der 5:0-Sieg hätte sogar noch höher ausfallen können, das Chancenverhältnis lautete am Ende 9:2. Am Sonntagabend aber wäre wohl jeder Hamburger auch mit einem glücklichen 1:0-Sieg zufrieden.

Denn: Gegen wen, wenn nicht gegen die Franken, will der HSV ansonsten die nötigen Erfolge erzielen? Vier Siege und ein Remis, so dürfte die Mindestanforderung für die restlichen Spiele lauten. Nach den Partien gegen die direkten Konkurrenten Stuttgart (22. März) und Freiburg (26. März) stehen vornehmlich Aufgaben gegen Clubs aus den oberen Tabellenregionen an: in Mönchengladbach, gegen Leverkusen, in Hannover, gegen Wolfsburg, in Augsburg, gegen Bayern München und am letzten Spieltag in Mainz.