Der HSV sollte die Wochen der Wahrheit mit fünf Duellen gegen direkte Abstiegskonkurrenz nutzen. Andernfalls droht der Sturz in die Zweitklassigkeit und ein finanzielles Desaster. Neue Aogo-Details.

Hamburg. Dem Monat März wurde in der Vergangenheit nur selten eine besonders herausragende Stellung im Fußballkalender eingeräumt. Noch nie ist im März jemand Welt-, Europa- oder Sonstwasmeister geworden, es hat noch kein Champions-League- oder Europa-League-Finale im März gegeben und noch nicht mal ein Absteiger oder ein deutscher Meister in der Bundesliga stand im dritten Monat des Kalenderjahrs fest. Letzteres könnte in dieser Saison nun erstmals die bajuwarische Übermannschaft aus München ändern. Und auch aus Hamburger Sicht darf der März in diesem Jahr mit Fug und Recht als Monat der Wahrheit betitelt werden.

Angefangen mit dem 100. Nordderby am kommenden Sonnabend, dem 1. März, trifft der HSV (16. Platz/19 Punkte) in fünf aufeinanderfolgenden Duellen mit Werder Bremen (14./22), Eintracht Frankfurt (13./22), dem 1. FC Nürnberg (12./23), dem VfB Stuttgart (15./19) und dem SC Freiburg (17./18) auf direkte Konkurrenten um den Klassenerhalt. „Man kann die Bedeutung dieser Spiele nicht leugnen. Gegen die direkten Tabellennachbarn muss man einfach punkten“, sagt HSV-Chef Carl Jarchow, der um die Brisanz der kommenden Wochen weiß. „Im März wird sich wohl viel entscheiden.“

Sportlich bieten die fünf Duelle die von vielen nicht mehr für möglich gehaltene Chance, sich innerhalb nur eines Monats nach einer Pleiten-, Pech- und Pannensaison aus eigener Kraft zu retten. Nach dem überraschenden 3:0-Sieg gegen Dortmund scheint es fast so, als ob der Verein mit Neu-Trainer Mirko Slomka vor den Wochen der Wahrheit gerade noch rechtzeitig die Wende geschafft hat. Abgesehen von den Nürnbergern, die bereits Ende Oktober erfolgreich die Notbremse betätigten und mit Bundesliga-Neuling Gertjan Verbeek in der Rückrunde von Erfolg zu Erfolg eilen, stecken alle anderen HSV-Gegner in einer Krise. Besonders in Bremen (fünf Spiele in Folge ohne Sieg) und Stuttgart (sieben Niederlagen in Folge) gilt der Trainer vor dem Wochenende in akuter Gefahr.

Die wahrscheinlich wichtigsten Termine des Monats aus HSV-Sicht haben allerdings nur mittelbar mit dem sportlichen Geschehen zu tun. Aus wirtschaftlicher Sicht sind der 15. und der 31. März die möglicherweise entscheidenden Tage des März. Bis dahin muss der HSV seine Lizenzunterlagen für die Erste und anschließend auch für die Zweite Bundesliga bei der DFL eingereicht haben – und besonders die Lizenz für den Fall des Abstiegs gilt zumindest als gefährdet. „Natürlich wären unsere Planungen für die Zweite Liga grundverschieden von den Planungen der Ersten Liga“, sagt Jarchow, der einräumt: „Im Falle eines Abstiegs müssten wir mit Auflagen rechnen.“ Ein existenzbedrohendes Szenario, wie von vielen befürchtet, sieht der Vorstandsvorsitzende aber nicht: „Große Probleme werden nicht auf uns zukommen, da wir Spielerwerte entgegenzusetzen hätten. Unser Problem wäre aber, dass wir Profis verkaufen müssten und uns somit sportlich schwächen würden.“

Zweitligaverträge wären ein Desaster

Ganz so einfach scheint die Milchmädchenrechnung allerdings nicht zu sein. Nach intensiver Überprüfung aller Spielerverträge mussten die HSV-Verantwortlichen in diesen Tagen erfahren, dass tatsächlich alle Profiverträge für die Erste und Zweite Liga gelten. Doch was zunächst nach einer guten Nachricht klingt, könnte sich in Wahrheit zu einem finanziellen Desaster entwickeln. Das Kernproblem: Sämtliche Verträge würden in der Zweiten Liga zu gleichen Konditionen weiterlaufen – und anders als beispielsweise in der Saison 2006/07, als sich der HSV schon einmal in akuter Abstiegsgefahr befand, sind die aktuellen Arbeitspapiere der Profis nicht mit Ausstiegsklauseln für den Verein versehen.

In der Theorie wäre der HSV durch die fehlenden Klauseln bei einem Abstieg in der Vertragsfalle der Spieler. Denn selbst bei Angeboten anderer Vereine könnten die Profis auf ihre laufenden Verträge bestehen, was dramatische Folgen für den Verein hätte. Eine angestrebte – und von der DFL sicherlich auch auferlegte – Reduzierung des Gehaltsetats um mindestens 40 Prozent wäre kaum möglich, sollten gleich mehrere Top-Verdiener auf ihren laufenden Vertrag pochen.

Beim HSV setzt man allerdings darauf, dass der Großteil der Top-Stars sich die Zweite Liga nicht antun will. Einen Verbleib der Besserverdiener wie Rafael van der Vaart, René Adler, Marcell Jansen, Heiko Westermann oder Slobodan Rajkovic zu gleichen Konditionen könnte sich der Verein in keinem Fall in der Zweiten Liga leisten. Eine Weiterbeschäftigung der Leihspieler Johan Djourou, Ola John und Ouasim Bouy ist ohnehin nicht angedacht, Herthas ausgeliehener Pierre-Michel Lasogga dürfte weder in Liga Eins noch in Liga Zwei zu halten sein. Viel mehr haben sich die Verantwortlichen in den längst besprochenen Planspielen darauf geeinigt, auf bezahlbare Youngster wie Hakan Calhanoglu, Jonathan Tah oder Tolgay Arslan zu setzen, zudem ist angedacht, dass für den Fall der Fälle Jaroslav Drobny Nationaltorhüter Adler ersetzen könnte.

Volle Aogo-Ablöse noch nicht sicher

Wie angespannt die aktuelle Finanzlage ist, zeigt auch der Verkauf Dennis Aogos, den der HSV nach dessen Kreuzbandverletzung regelrecht verscherbeln musste. Anders als immer angenommen haben die Hamburger nach Abendblatt-Informationen sehr viel weniger als die kolportierten 2,9 Millionen Euro für den früheren Nationalspieler erhalten. So hatte Schalke zunächst die Kaufoption über 3,5 Millionen Euro verstreichen lassen, ehe sich 04-Manager Horst Heldt mit HSV-Sportchef Oliver Kreuzer auf eine Ablöse von nur zwei Millionen Euro einigte.

Nur wenn sich Aogo nach überstandener Verletzung einen Stammplatz auf Schalke erkämpfen kann und für die Königsblauen eine bestimmte Anzahl von Spielen bestreitet, kann der HSV doch noch die zunächst geforderten 2,9 Millionen Euro erhalten. Viel wichtiger als die genaue Ablöse war aber zunächst die Gewissheit, dass das Gehalt von Spitzenverdiener Aogo, der beim HSV mehr als drei Millionen Euro verdient haben soll, den Profietat in der kommenden Saison nicht mehr belastet.

Sämtliche Gedankenspiele rund um die Zweite Liga klingen gespenstisch, können aber durch einen simplen Trick umgangen werden: Die Wochen der Wahrheit im März müssen ganz einfach ähnlich erfolgreich verlaufen wie das vergangene Wochenende. Aus Hamburger Sicht wäre das Ende aller Abstiegssorgen dann fast schon wie ein Champions-League-Titel – mitten im März.