Die Analyse der Pleitenserie zeigt, dass der HSV-Trainer vor allem die läuferischen Defizite und die Anfälligkeit bei Kontern beheben muss. Doch zunächst ist Slomka wohl eher als Psychologe und Motivator gefragt.

Hamburg. Mit einem energischen Pfiff unterbricht Mirko Slomka das Trainingsspiel, als Dennis Diekmeier den Ball erobert und sofort zurückpasst. „Spiel nach vorne“, ermahnt ihn der neue HSV-Coach. Viele Cheftrainer in der Bundesliga beschränken sich im Training lieber aufs Beobachten und lassen die eigentliche Arbeit ihre Co-Trainer machen. Doch Slomka ist selbst voller Eifer dabei, greift aktiv ein, weist auf Fehler hin, lobt und kritisiert.

Der Fußballlehrer hat schließlich nicht mal eine Woche Zeit, um seine Profis für das Spiel gegen Borussia Dortmund am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) wieder konkurrenzfähig zu machen – und um dieses Ziel zu erreichen, gibt es viel zu tun. „Ich hatte das Gefühl, dass die Spieler ihre Konzentration in Hochphasen haben schleifen lassen. Das fordere ich jetzt bei jedem Fünfmeterpass ein“, sagt Slomka.

Beim HSV zeigen sich derart viele Baustellen, dass Slomka aufpassen muss, nicht den Überblick zu verlieren. Für jeden sofort ersichtlich ist die unfassbare Flut an Gegentoren. 51 nach 21 Spielen sind ein bisher unerreichter Höchstwert in der HSV-Historie, in den letzten sieben Partien waren es sogar 3,4 im Schnitt – das ist nicht bundesligatauglich. Der neue Coach ging dieses Problem bereits an, beorderte die Angreifer im Training zu seinem Assistenten Nestor el Maestro und kümmerte sich eigenhändig um die Abstimmung seines Defensivverbundes. Dieser könnte mit Johan Djourou und Slobodan Rajkovic zentral erneut ein neues Pärchen bekommen. Möglicherweise wird einer der ausgebildeten Innenverteidiger ins defensive Mittelfeld vorgezogen, um für mehr Stabilität zu sorgen. Dieser könnte dort neben Milan Badelj agieren, der nach seinem Bänderanriss am Donnerstag nach nur zwölf Tagen ins Teamtraining zurückkehrte und für das BVB-Spiel eine Alternative ist.

Doch unabhängig vom auserwählten Spielerpersonal: In den Analysen der sportlichen Leitung nach den Niederlagen in dieser Saison wurde immer wieder von „individuellen Patzern“ geredet. Doch ganz so einfach ist es wohl nicht. Die Autoren der Seite „spielverlagerung.de“ beschäftigen sich intensiv mit Formationen, taktischem Verhalten und Spielzügen der Bundesligaclubs.

Beim HSV haben sie erkannt, dass der Hälfte der Gegentreffer aus dem Spiel heraus in diesem Kalenderjahr eine Spielverlagerung des Gegners vorausging und Gegenspieler zu spät oder gar nicht übergeben wurden. „Das war auch für uns sehr erstaunlich, eigentlich ist das taktische Verschieben ja Grundstoff für Fußballprofis“, sagt Tobias Escher, Mitbegründer der Internetseite. „Immer wenn der Gegner schnell spielt, scheint es für den HSV Probleme zu geben.“ Viel offensichtlicher noch und durch Zahlen belegt ist die Anfälligkeit bei Kontern. Neun Gegentore musste der HSV auf diese Art bereits hinnehmen, das ist mit Abstand der Höchstwert in der laufenden Saison, wie die Castrol Edge Analyse ergab.

Doch auch die Offensive krankt im Jahr 2014 erheblich. Nach der Winterpause hatte der HSV genau eine einzige Großchance zu verzeichnen – der Ligaschnitt liegt bei über neun. Auch Slomka ist sich bewusst, dass die Anfang der Saison noch so erfolgreiche Abteilung Angriff ebenfalls zur Baustelle geworden ist. „Die Mannschaft hat offensiv ohne Frage eine hohe Qualität, doch gewinnbringende Abläufe müssen wir uns wieder gemeinsam erarbeiten. Es ist meine Aufgabe, den Spielern durch ständiges Wiederholen Lösungsvorschläge an die Hand zu geben.“ Einen weiteren interessanten Fakt zeigt die Analyse von „spielverlagerung.de“: Die Qualität der abgegebenen Torschüsse liegt weit unter dem Ligaschnitt. Demnach haben 47 Prozent der Schüsse der Hamburger eine Torwahrscheinlichkeit von unter fünf Prozent, werden demnach also aus nicht optimalen Positionen abgegeben.

Zudem hat die Mannschaft in der Rückrunde Probleme bei Standardsituationen sowie läuferische Defizite. „Da sind wir ein bisschen hintendran“, gibt Slomka zu. Auch Linksverteidiger Marcell Jansen hat erkannt, dass „wir bei Sprints und intensiven Läufen nicht so aufgestellt sind wie unsere Gegner“. Das liege laut Slomka jedoch nicht an der mangelnden Grundfitness, sondern vielmehr am Willen, diese auf dem Platz abzurufen. So sei die Leistungsbereitschaft der Profis in den vergangenen Begegnungen nicht optimal gewesen.

Demnach wäre Slomka zunächst wohl eher als Psychologe und Motivator gefragt, ehe er sich intensiv den restlichen Problemen widmen sollte. Dass er eine völlig verunsicherte Mannschaft wieder aufbauen kann, zeigte der heute 46-Jährige nach dem Selbstmord von Robert Enke bei Hannover 96 im Jahr 2009: Slomka verlor zwar die ersten sechs Spiele, schaffte mit Siegen an den letzten beiden Spieltagen aber doch noch den Klassenerhalt.