Der Trainer darf nur bleiben, wenn der HSV im Abstiegsduell in Braunschweig siegt. Seine Entlassung könnte mehr als zwei Millionen Euro kosten.

Hamburg. Zumindest auf den ersten Blick war der Freitag ein normaler Arbeitstag für Bert van Marwijk. Der HSV-Trainer fuhr um 11.09 Uhr an der Arena im Volkspark vor, bereitete das Abschlusstraining für die Partie gegen Eintracht Braunschweig (Sa, 15.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt. de) vor und bat seine Mannschaft um 13.05 Uhr auf den Rasen. Der Niederländer, ganz in Schwarz, nickte den rund 50 Trainingskiebitzen kurz zu und marschierte schnell in die Mitte des Trainingsplatzes. Kurzes Warmlaufen, ein bisschen Kreisspiel, das Einstudieren von Überzahlsituationen. Nach einer Stunde und 15 Minuten war die Einheit beendet. Ein normales Training eben – zumindest auf den ersten Blick.

Erst auf den zweiten Blick wurde deutlich, dass die Einheit – möglicherweise van Marwijks letzte beim HSV – eben doch nicht so normal war. Verliert der HSV im Duell des Tabellen-17. gegen den Tabellen-18. in Braunschweig, dann ist der Holländer nicht mehr zu halten. Wohl auch deswegen verschaffte sich Ex-Aufsichtsratschef Manfred Ertel am Freitag einen eigenen Eindruck, während einige Fans vom Pay-TV-Sender Sky zur Krise befragt wurden. Wie groß denn die Enttäuschung sei, dass der als Retter angepriesene Felix Magath nun doch nicht komme, wollten die Interviewer wissen. Und Vorstand Oliver Kreuzer? „Gegen Braunschweig wird es ein echtes Endspiel“, sagte der Sportchef, der bis zuletzt van Marwijk in Schutz nahm, auf einen Trainingsbesuch diesmal aber verzichtete.

Dabei ist es kein Wunder, dass Sportchef Kreuzer bis zu diesem Wochenende ohne Wenn und Aber hinter seinem Trainer stand. Schließlich würde die hartnäckig vom Aufsichtsrat geforderte Demission van Marwijks den HSV sehr viel teurer als allgemein angenommen zu stehen kommen. Wie das Abendblatt erfuhr, ist, anders als beispielsweise bei Vorvorgänger Michael Oenning, keine Entlassungsklausel im Vertrag des Niederländers vorgesehen. Noch verheerender ist allerdings die festgeschriebene Gehaltserhöhung, die van Marwijk im Falle des Klassenerhalts im kommenden Jahr zusteht. So soll sein ohnehin schon üppiges Gehalt beim Verbleib in der Bundesliga in der Saison 2014/15 im Optimalfall auf 2,4 Millionen Euro angehoben werden. Eine vorzeitige Entlassung könnte den HSV somit weit mehr als zwei Millionen Euro kosten. Lediglich der um jeden Preis zu verhindernde Abstieg würde die Abfindung auf einen sechsstelligen Betrag reduzieren, da van Marwijks Vertrag nur für die Erste Liga gilt. Zum Vergleich: Vorgänger Thorsten Fink verdiente rund 1,2 Millionen Euro, erhielt als Abfindung 800.000 Euro.

Trotz des finanziellen Drahtseilaktes haben Kreuzer und HSV-Chef Carl Jarchow bei ihrer Lagebeschreibung am vergangenen Sonntag auf der Aufsichtsratssitzung bekräftigt, dass sie im Falle der achten Pflichtspielniederlage in Folge die Notbremse ziehen würden. Als Favorit für eine dann unvermeidliche Nachfolge van Marwijks wurde Mirko Slomka auserkoren, Back-up des früheren Hannoveraners ist der frühere HSV-Trainer Martin Jol.

Kurios: Bereits vor sechs Jahren kandidierten die beiden Fußballlehrer für das Amt des HSV-Trainers. Damals wurde Slomka als Erster von den beiden kontaktiert, als Huub Stevens im Winter angekündigt hatte, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Bei einem mehrstündigen Treffen mit den damaligen Vorständen Bernd Hoffmann, Katja Kraus und Dietmar Beiersdorfer präsentierte sich Slomka extrem gut vorbereitet, konnte neben der Mannschaft auch fundiert über die Strukturen des HSV referieren und punktete damit, dass er sich vor dem Treffen intensiv mit dem Verein beschäftigt hatte. Topfavorit Beiersdorfers blieb allerdings Fred Rutten, Hoffmann und Kraus präferierten seinerzeit Jürgen Klopp. Als man sich weder auf den einen noch auf den anderen einigen konnte und auch Slomka nicht als Kompromisslösung diente, machte überraschend Jol das Rennen.

Und auch diesmal gilt der smarte Niederländer, der den HSV 2009 ins Uefa-Cup- und ins DFB-Pokal-Halbfinale führte, zunächst nur als Außenseiter. Mit Slomka, der Mittwoch vor einer Woche in Hamburg war und in der Bullerei im Schanzenviertel zu Abend aß, hat sich Kreuzer sehr viel intensiver beschäftigt, hat mit dem 46-Jährigen bereits mehrfach telefoniert. Slomka, der noch immer in Hannover wohnt, soll seine generelle Bereitschaft signalisiert haben, im Falle einer Niederlage in Braunschweig umgehend zum HSV zu kommen. Und auch Jol, der Bekannten gegenüber offenbarte, dass der größte Fehler seiner Karriere der Wechsel vom HSV nach Amsterdam war, soll einer Rückkehr nach Hamburg mehr als aufgeschlossen gegenüberstehen.

Es ist der Komplexität und Irrationalität des Fußballs geschuldet, dass in dieser brisanten Konstellation ausgerechnet Noch-Trainer van Marwijk die besten Karten zu haben scheint. Mit nur einem Sieg in Braunschweig kann der schwer angeschlagene Trainer sämtliche Personalüberlegungen zunichtemachen. In nur 90 Minuten kann aus dem fast entlassenen van Marwijk der größte Gewinner dieser in der Vereinsgeschichte wohl einmaligen Krisenwoche werden. Gewinnt er aber nicht, dürfte die Einheit am Freitag tatsächlich sein letztes Training als HSV-Coach gewesen sein. Ein zweiter Blick wird dann nicht mehr notwendig sein.