HSV-Trainer Bert van Marwijk steht vor dem Spiel am Sonnabend gegen Hoffenheim unter Druck. Schon für zwei seiner Vorgänger waren Duelle gegen 1899 Schicksalsspiele.

Hamburg. Die Mütze bis zu den Augenbrauen heruntergezogen, den Schal hoch bis zur Nase. HSV-Trainer Bert van Marwijk war bei den eisigen Temperaturen der letzten Tage nur an seinem typischen Gang und an der Augenpartie auf dem Trainingsplatz auszumachen. Doch abseits des Feldes wirkte der Coach zuletzt aufgetaut wie selten zuvor in seiner Zeit beim HSV. Das überrascht, schließlich könnte der Druck vor der Partie in Hoffenheim am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) für van Marwijk kaum größer sein. Eine weitere Niederlage, es wäre die fünfte in Folge, und der erstmalige Abstieg der Hamburger nähme immer konkretere Formen an. Trotz aller Treuebekenntnisse seitens des Sportchefs wird auch die Position des Trainers dann hinterfragt werden. Doch der Niederländer stellte sich in dieser Woche gleich zweimal ausführlich den Medien, zeigte Verständnis für die aufgekommene Kritik an seiner Person und war sogar zu Scherzen aufgelegt – keine Spur von Verunsicherung oder gar Resignation.

Dabei war 1899 Hoffenheim trotz seiner jungen Bundesligahistorie – es gab erst elf Duelle – schon des Öfteren ein äußerst schicksalhafter Gegner für den HSV. „Gerade als Trainer hatte das Duell zwischen Hoffenheim und Hamburg immer etwas Besonderes“, sagt etwa Thorsten Fink. Und der Vorgänger von van Marwijk weiß, wovon er spricht. Ende 2011 feierte Fink seinen ersten Sieg als HSV-Trainer gegen Hoffenheim (2:0), ein Jahr später ließ er nach einem erneuten 2:0-Sieg gar Hamburg von Europa träumen. Und auch das 4:1 beim letzten Gastspiel in Hoffenheim war etwas Besonderes. „Ich kann mich noch gut an diesen Nachmittag erinnern. Es war einer meiner schönsten Siege. Hoffenheim war nach dem Spiel quasi abgestiegen, wir hatten sogar noch Resthoffnungen auf einen internationalen Startplatz“, erinnert sich Fink. Doch schon damals galt: Meistens kommt es beim HSV anders als man denkt.

Der Club verpasste die Europa League – und Hoffenheim rettete sich mit einem Sieg gegen Borussia Dortmund in die Relegation und zum nicht mehr für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Und Hoffenheims Revanche für die 1:4-Niederlage sollte nicht lange auf sich warten. Am zweiten Spieltag der laufenden Saison kam der HSV zu Hause mit 1:5 gegen Hoffenheim unter die Räder – nach dem 0:4 in der Vorsaison bereits Finks zweite Klatsche gegen 1899. Doch diese Pleite war anders.

„Diese Niederlage kann ich bis heute nicht so richtig verstehen. Nichts hat nach dem guten Saisonstart gegen Schalke auf so einen Rückschlag hingedeutet“, sagt Fink, für den das Heimdebakel den Anfang vom Ende bedeutete. Vor allem seine Auswechslungen haben Sportchef Oliver Kreuzer damals missfallen. Er war sich schon nach dem Spiel nicht mehr sicher, ob Fink noch der Richtige sei. Bekanntlich trennte sich der HSV nur einen Monat und zwei Niederlagen später von seinem Coach.

Noch viel unmittelbarer vom Hoffenheimer Angriffswirbel betroffen war einer von Finks Vorgängern: Bruno Labbadia. Nach der 1:5-Niederlage im Kraichgau im April 2010 beschlossen die HSV-Oberen schon auf der Rückfahrt im Bus die Entlassung des Fußballlehrers. Auch der Verein erholte sich von dieser Pleite nicht. Der ersehnte Europapokalplatz war nicht mehr zu erreichen, und trotz Trainerwechsels verloren die Hamburger ebenso das folgende Spiel beim FC Fulham und schieden im Halbfinale der Europa League aus. Auch wenn es bis heute kein Spieler aus dem damaligen HSV-Kader offiziell zugeben mag: Der Auftritt der Profis hatte etwas von einem Streik, mit dem die Ablösung Labbadias vorangetrieben werden sollte. Denn das Verhältnis der Führungsspieler zu ihrem Trainer war nachhaltig gestört. Nach dem Abpfiff versammelten sich rund 100 HSV-Fans und blockierten eine halbe Stunde die Busabfahrt, beschimpften die Profis als „Scheiß Millionäre“.

Dieses Szenario wird sich an diesem Sonnabend nicht wiederholen – dessen ist sich zumindest Mittelfeldspieler Milan Badelj sicher. „Schon alleine um die Unterstützung der Fans wiederzuerlangen, müssen wir anders auftreten als gegen Schalke“, sagte der Kroate. „Den Mut dazu haben wir, das Vertrauen in uns selbst müssen wir uns in der Kabine und auf dem Trainingsplatz holen.“ Dass er und seine Kollegen dort nicht oft genug anzutreffen seien, wie es zuletzt Gegenstand der öffentlichen Diskussion war, glaubt Badelj nicht. „Ich denke, wir trainieren optimal. Einige wollen mehr, einige weniger machen. Aber das hat nichts mit unserem derzeitigen Auftreten zu tun.“

Nun steht van Marwijk vor einem ganz entscheidenden Spiel gegen Hoffenheim und in der Pflicht, dem Team wieder zu einem bundesligatauglichen Auftreten zu verhelfen. Ob Marcell Jansen dabei mitmischen kann, erscheint fraglich, denn der Linksverteidiger laboriert an einer Knieprellung. Dafür stand überraschend Zhi Gin Lam wieder auf dem Trainingsplatz, dessen Sprunggelenksverletzung aus dem Schalke-Spiel offenbar einer Blitzheilung gewichen ist. Welche elf Spieler am Sonnabend in der Startformation stehen werden, ließ der Coach auch beim Abschlusstraining nicht durchblicken – er will die Spannung offenbar so lange wie möglich hochhalten. Wenn auch diese für ihn ungewöhnliche Maßnahme nicht fruchtet, könnte Hoffenheim für van Marwijk ebenfalls zum Schicksalsspiel werden.