Bei einer Niederlage gegen Mainz 05 droht dem HSV die zweitschlechteste Halbserie seit Einführung der Dreipunkteregel – und der Abstiegskampf.

Hamburg. Es war bereits dunkel, als HSV-Trainer Bert van Marwijk das 75-minütige Abschlusstraining am Freitagnachmittag beenden wollte. Doch in die Kabine gehen durften die Profis noch nicht: Ein von Jacques Zoua im hohen Bogen über den Zaun geschossener Ball fehlte. Als sich schließlich die ganze Mannschaft auf den Weg zum Tatort machen sollte, hatte Hakan Calhanoglu doch noch den rettenden und zeitsparenden Einfall. Im Sprint lief der Deutschtürke auf ein paar kichernde Teenager zu, die sich hinter dem Zaun versteckten und hofften, den verloren gegangenen Ball als Trophäe behalten zu dürfen. Durften sie aber nicht. Calhanoglu hingegen wurde mit Applaus von dem Rest seiner Kollegen empfangen, die wohl nur wenig Lust verspürten, sich im Dunkeln auf die Suche zu begeben. Es gab und gibt an diesem Wochenende schließlich noch Wichtigeres zu tun.

„Ich muss den Spielern nicht erzählen, wie wichtig Mainz für uns ist“, sagte van Marwijk, der ganz genau um die Brisanz der letzten Partie der Hinrunde an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) weiß. Gewinnt der HSV, wäre es zwar weiterhin keine gute Halbserie, aber man würde trotzdem mehr als nur ein gutes Gefühl mit in die Rückrundenvorbereitung nehmen. Mit dann ausbaufähigen 19 Punkten müssten sich Trainer und Verantwortliche in der Pause wohl keine ernsthaften Gedanken um einen weiterhin drohenden Abstiegskampf machen. Das ursprünglich ausgegebene Ziel der Qualifikation zur Europa League wäre zwar noch immer in weiter Ferne, aber eine positive Entwicklung in der Rückrunde wäre zumindest möglich. Verlieren die Hamburger aber, könnte der Abstand zu den Abstiegsrängen bis auf zwei Punkte schmelzen. Ein vor Saisonbeginn nicht für nicht möglich gehaltener Abstiegskampf in der zweiten Halbserie wäre die logische Konsequenz – auch wenn das noch niemand beim HSV wahrhaben will.

„Wir spielen diese Saison besseren Fußball als in der vergangenen Saison. Ein Sieg würde uns regelrecht befreien, dann könnte man sogar ein wenig nach oben schielen“, sagte Mittelfeldmann Tolgay Arslan, der das Worst-Case-Szenario dann aber doch benannte: „Bei einer Niederlage müsste der Blick klar nach unten gehen. Das wird aber nicht passieren, denn ich habe jedenfalls keine Lust, in den kommenden vier Wochen nur Fragen zu beantworten, warum wir so weit unten sind.“

Ob Arslan aber überhaupt im Spiel gegen Mainz auf dem Platz helfen darf, scheint ungewiss. Im Training verbannte van Marwijk den Deutschtürken bereits am Donnerstag in die B-Mannschaft und ließ stattdessen überraschend Petr Jiracek mit einem neonorangen Leibchen der A-Auswahl trainieren. „Es war keine gute Hinrunde von uns, besonders die ersten Spiele waren ganz schlecht – auch von mir“, sagte Arslan, der aber trotzdem weiter auf seinen Einsatz gegen Mainz hofft.

Doch bekanntlich ist des einen Leid des anderen Freud. „Natürlich würde ich mich freuen, wenn ich mal wieder von Anfang an spielen dürfte“, sagte Jiracek, der in dieser Spielzeit erst zweimal in der Startelf stand. Der Tscheche gilt als die etwas defensivere Variante im zentralen Mittelfeld. „Mir ist eigentlich egal, auf welcher Position ich spielen soll, solange ich spielen darf“, sagte der Mittelfeld-Allrounder, dem auch nicht entgangen war, dass ein Erfolg gegen Mainz Pflicht ist: „Insgesamt haben wir uns natürlich in der Hinrunde mehr Punkte gewünscht. Umso wichtiger ist ein Sieg im letzten Spiel.“

Unabhängig vom Ergebnis hat van Marwijk kurzfristig für den Sonntag ein Regenerationstraining angesetzt, das er wohl auch zu einem kritischen Zwischenfazit nutzen will. Damit kürzte er den Weihnachtsurlaub der Profis um einen Tag, was nicht bei allen Spielern mit Begeisterung aufgenommen worden sein dürfte. Bereits gebuchte Flüge mussten umgebucht, Reisen in die Heimat verschoben werden. „Ich habe schon Sachen geändert. Ich will noch mehr ändern. Das hat auch mit Disziplin zu tun“, hatte der Niederländer bereits in der vergangenen Woche gesagt.

Hintergrund der Urlaubskürzung dürften aber auch die schlechten Erfahrung der Verantwortlichen in der vergangenen Saison sein. Damals hatte Ex-Trainer Thorsten Fink den Profis erlaubt, mit Urlaubsgepäck zum Hinrundenfinale in Leverkusen anzureisen und direkt nach dem Schlusspfiff in die Heimat zu fahren. Nachdem die Partie 0:3 verloren ging und Fink sich im Anschluss auch noch über die angeblich beschwerliche Anreise per Bahn beschwert hatte, sollen besonders die Vorstände Joachim Hilke und Carl Jarchow extrem verärgert gewesen sein. Die Spieler sollten sich mehr mit ihrem Weihnachtsurlaub als mit der Partie beschäftigt haben, so der damalige Vorwurf, und genau das soll sich in diesem Jahr keinesfalls wiederholen.

„Das Spiel gegen Mainz ist enorm wichtig, damit wir in der Winterpause ein bisschen durchatmen können“, sagte Arslan, der sich zudem bei den Fans bedanken will, „die uns selbst nach all den Misserfolgen die Treue gehalten haben“. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, wird bereits beim schleppenden Vorverkauf für das Mainz-Spiel deutlich. Lediglich 48.150 Karten wurden bis Freitagnachmittag verkauft, was unmittelbar mit der schwachen Hinrunde zusammenhängen dürfte. Tatsächlich war der HSV seit Einführung der Dreipunkteregelung nur ein einziges Mal noch schlechter: In der Saison 2005/2006 holten die Hamburger gerade mal 13 Punkte bis zur Winterpause (siehe Tabelle). Ex-Trainer Thomas Doll durfte trotzdem bleiben – musste dann aber nach zwei sieglosen Spielen in der Rückrunde seine Koffer packen.

Die Koffer will auch van Marwijk packen – allerdings nur für den Weihnachtsurlaub. Statt in der Heimat würde er „im Ausland“ feiern, verriet der Coach etwas nebulös. Kein Geheimnis machte van Marwijk dagegen daraus, dass ihm ein erneutes Pfeifkonzert wie nach dem vergangenen Heimspiel gegen Augsburg ein schönes Weihnachtsfest vermiesen könnte: „So etwas will ich nicht noch einmal hören.“

Das passt gut, denn die Zuschauer wollen das nicht noch einmal sehen.