Jetzt kümmert sich Thorsten Fink um die Kinder, das Haus – und wartet auf einen neuen Job. „Die Entlassung hat mir wehgetan, das ist doch klar“, sagt der 46-Jährige.

München. Um kurz nach halb zwölf ruft Thorsten Fink an. Wo genau auf dem Marienplatz man sich denn treffen wolle, fragt der vor knapp zwei Monaten beim HSV entlassene Fußballtrainer, er sei mit seiner Frau Silke genau in der Mitte. Ein paar Sekunden später taucht er dann aus dem Gewühl von japanischen Touristen auf. „Ciao, wie geht’s?“, fragt Fink, unverschämt braun für einen Novembertag. Dubai, Herbstferien mit den Kindern. Ein bisschen planschen am Strand, erklärt er. Dafür habe er ja nun Zeit – genauso wie für einen Herbstspaziergang mittags durch München.

Etwas mehr als sieben Wochen ist es her, dass auch Oliver Kreuzer den Weg nach München auf sich genommen hatte. Am 16. September traf sich der HSV-Sportchef mit Fink in der Innenstadt und erklärte dem Trainer, dass er beurlaubt sei. „Die Entlassung hat mir wehgetan, das ist doch klar“, sagt der 46-Jährige, der keinen Hehl daraus machen will, dass ihm von einem auf den anderen Moment der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. „Direkt danach war es für mich sehr schwierig. Mir hat die tägliche Arbeit mit der Mannschaft gefehlt, die tägliche Aufgabe.“ Insgesamt 25 Spiele hat Fink mit dem HSV verloren, aber die persönliche Niederlage, entlassen zu werden, hat Spuren hinterlassen. Im Profifußball gibt es keinen Raum für Sentimentalitäten. Doch dass ausgerechnet er, der es doch als Chef immer gewohnt war, den Weg vorzugeben, plötzlich ohne Team war, musste er erst mal verkraften: „Ich war immer Teil einer Gemeinschaft.“

Fink schlägt das Punto de Vino für einen Imbiss vor. Man müsse ein Stück laufen, aber die frische Luft schade ja nicht. Das Mobiltelefon klingelt. „Der Thorsten lebt ja schon in seinem Handy“, sagt Silke Fink, braune Haare, freundliches Gesicht, wache Augen, und lacht. In der Sendlinger Straße geht es über den Rindermarkt am Alten Hackerhaus und der Asamkirche vorbei in Richtung Sendlinger Tor. „Der Bauleiter hat sich heute ein wenig verspätet“, sagt sie entschuldigend, während er immer noch telefoniert. In ihrem neuen Familiendomizil in München-Grünwald seien noch immer jeden Tag die Handwerker, eine große Baustelle sei das neue Haus, aber so langsam fühlten sie sich wohl, sagt sie, es gebe aber immer noch jede Menge zu tun. „Ciao“, sagt er, und beendet sein Telefonat.

Fink ist Fußballtrainer, und als Profitrainer wird man auch mal beurlaubt, so ist nun mal das Geschäft. „Statistisch gesehen wird alle zwei Jahre der Trainer bei einem Bundesligisten entlassen. Da war ich wohl fällig“, sagt der gebürtige Dortmunder, der sich trotzdem erst daran gewöhnen muss, beim Online-Portal transfermarkt.de als einer von 916 arbeitslosen Fußballlehrern gelistet zu sein. In den vergangenen sechs Jahren war er zuvor nur einen Monat mal ohne Job. Nach der Entlassung in Ingolstadt dauerte es 30 Tage, ehe er beim FC Basel unterschrieb, wo er auf Anhieb 2010 und 2011 Schweizer Meister wurde. „Die Beurlaubung in Hamburg hat mich mehr mitgenommen als die Entlassung in Ingolstadt“, sagt er.

Silke verabschiedet sich. Ein bisschen Shopping, die Männer könnten so ungestört reden. „Meine Frau behauptet, dass ich gerade unausstehlich bin“, sagt Fink, als seine Silke abgebogen ist, „ich meckere wohl ein bisschen zu viel.“ Noch ein paar Meter, dann ist das Punto de Vino erreicht, wo Inhaber Adam Hauer Fink wie einen alten Freund begrüßt: „Thorsten, du bist viel zu lange nicht mehr hier gewesen.“ Dem früheren Stammgast, der schon als Spieler von Bayern München gerne auf ein paar Nudeln vorbeigekommen ist, wird ein Tisch im Weinkeller angeboten: „Da habt ihr eure Ruhe.“

Noch drei Wochen vor seiner Beurlaubung hatte sich Fink in einer gerade erst bezogenen Wohnung in der Heilwigstraße in Eppendorf bei den Nachbarn vorgestellt. Der Vorgänger Bert van Marwijks hatte das Apartment bezogen, nachdem Silke und die Kinder zurück nach München gezogen waren, wo das Familiendomizil auch bleiben soll. Dass ihm seine Familie in Hamburg zu sehr gefehlt habe und dass das der Anfang vom Ende beim HSV gewesen sein soll, wie einige hinter vorgehaltener Hand behaupteten, ärgert ihn: „Meine Frau war letztes Jahr acht Wochen lang auf Mallorca. Da war ich auch nicht einsam. Was andere machen, ist mir egal. Ich bin seit 20 Jahren verheiratet.“ Glücklich verheiratet, doch dass er immer öfter Co-Trainer Patrick Rahmen, Medienchef Jörn Wolf oder auch mal Sportchef Kreuzer zu gemeinsamen Champions-League-Abenden eingeladen hat, ist auch klar. Niemand ist gerne alleine. Die Wohnung in Eppendorf ist längst wieder gekündigt.

Fink bestellt eine Antipasti-Platte vorweg, als Hauptgericht einen Salat mit Thunfischsteaks, dazu ein Gläschen griechischen Wein. „Ein Glas Rotwein ist gesund, entzündungshemmend und macht nicht so dick wie Weißwein“, sagt der frühere Mittelfeldzerstörer von Bayern. Er wirkt noch immer durchtrainiert, auch wenn er das verneint: „Mir fehlt der tägliche Sport. Ich merke, dass ich unbedingt wieder Sport machen muss.“ Am nächsten Tag sei er immerhin zum Golfen verabredet. „Jetzt hat man mal Zeit, mit den alten Kumpels zu golfen“, sagt Fink, Handicap 23,5, der mit Hasan Salihamidzic, Handicap 15, verabredet ist. „Wenn man im Job ist, hat man dafür natürlich keine Zeit.“

Der Faktor Zeit sei das einzige Positive an der Entlassung. „Papa ist jetzt zu Hause“, habe er zu seinen beiden Jungs gesagt, die sich über die Extra-Portion Papa natürlich gefreut hätten. „Der Familie tut es momentan ganz gut, dass ich mal zu Hause bin. Als Trainer hat man eigentlich nie Zeit für die Familie.“ Dass eine Zeitung am Ende seiner HSV-Zeit sogar kritisierte, dass er bei der Einschulung seins Sohns in München sein wollte, dabei aber nicht mal ein Training verpasst habe, hat ihn getroffen: „Ich habe die Aufregung nicht verstanden. Ich wollte bei der Einschulung dabei sein – und fertig.“ Nun bringe er Julius und Benedict morgens in die internationale Schule nach Starnberg, ohne dass darüber eine Zeile in der Zeitung steht. Nachmittags mache er gemeinsam mit den Jungs die Hausarbeiten, anschließend bringe er sie zum Fußball- oder Judotraining. Zu der Zeit hätte er normalerweise selbst auf dem Trainingsplatz neben der Arena gestanden. Die Kinder, sieben und acht Jahre alt, nahmen Papas Beurlaubung jedenfalls locker. „Letztens fragte einer auf dem Schulhof, warum ich denn nicht mehr in Hamburg bin. Da hat mein Kleiner ganz cool geantwortet: ‚Gefeuert!‘“ Fink lacht. Es ist nicht klar, ob er das wirklich witzig findet.

Nach der Entlassung brauchte er selbst erst mal eine Mini-Auszeit. Mit dem ebenfalls beurlaubten Patrick Rahmen ist er für ein paar Tage in die Türkei geflogen. „Da konnte ich dann endlich mal ein bisschen abschalten. Wenn man die ganze Zeit zu Hause rumsitzt, da hat man viel zu viel Zeit zum Nachdenken.“ Die Gespräche über seinen Auflösungsvertrag, der ihm rund 800.000 Euro einbringen soll, hat sein Berater Thomas Kroth ausgehandelt. Er selbst sei seit der Beurlaubung nicht mehr in Hamburg gewesen, habe auch nur noch sporadischen Kontakt mit Mediendirektor Wolf. „Ich habe bewusst den Kontakt gekappt. Die Spieler müssen sich ja auch auf einen neuen Trainer einstellen.“ Und? Hat er nicht auch Fehler gemacht? „Wer viel macht, der macht möglicherweise auch viele Fehler.“ Ansonsten habe er aber alle Vereinsziele immer erreicht.

Nach Pannacotta zum Nachtisch und einem Espresso geht’s über die Sendlinger Straße zurück in Richtung Marienplatz. „Ich will ein sehr, sehr guter Trainer werden. Das ist mir wichtig“, sagt Fink, der spätestens Anfang nächsten Jahres wieder voll einsteigen möchte: „Ich will viel erreichen, und ich möchte, dass andere das anerkennen.“ Solange die Perspektive stimme, könne er sich sogar ein Engagement in der Zweiten Liga vorstellen, er wolle auf keinen Fall zu lange arbeitslos bleiben. „Ich bin brandheiß, wieder etwas zu übernehmen“, sagt er, und zückt zum wiederholten Male das Telefon.

„Wo bleibst du denn?“, fragt Fink seine Frau, nachdem sie nicht am vereinbarten Treffpunkt erscheint. Ein Foto mit einem Fan hier, ein schnelles Autogramm dort, dann wird er von seiner nicht mal fünf Minuten zu spät herbeieilenden Silke erlöst. „Ciao“, sagt Fink. „Und grüß mir Hamburg.“