HSV-Trainer Bert van Marwijk zieht nach acht Wochen eine positive Bilanz – und schwärmt von Top-Stürmer und Hertha-Leihgabe Pierre-Michel Lasogga. „Weil er unterschätzt wird“, so der Coach.

Hamburg. Es gibt Termine, die Bert van Marwijk nur äußerst ungern wahrnimmt. Dazu gehören Vorstellungen bei Aufsichtsräten. Aber als sich der neue HSV-Trainer in Hamburg den Kontrolleuren präsentierte, erlebte er eine angenehme Überraschung. „In Dortmund hatte ich in der Sitzung plötzlich erfahren, dass der Verein 120 Millionen Euro Schulden hat“, erinnert sich van Marwijk an die Saison 2004/2005 zurück. „Das ist hier zum Glück anders.“ In Hamburg sind es nur rund neun Millionen Minus im abgelaufenen Geschäftsjahr – mit einer angekündigten Tendenz zur schwarzen Null. „Das ist doch mal eine ganz andere Perspektive“, freut sich der Niederländer.

Das gilt auch für die sportliche Situation. In Dortmund hatte der Niederländer damals, 2004/2005, nur eines der ersten sechs Spiele verloren, allerdings auch nur eins gewonnen. Zwei Siege, zwei Niederlagen und zwei Remis beim HSV sind so gesehen schon eine Verbesserung. Aber kann man damit wirklich zufrieden sein? „Ja“, sagt er. „Und das, obwohl wir die letzten beiden Spiele verloren haben, aber nicht hätten verlieren müssen. Aber ich habe gesehen, dass wir jetzt schon weiter sind, als ich gedacht hätte.“

Trotz des bescheidenen 14. Tabellenplatzes fällt van Marwijks erstes Fazit nach nunmehr acht Wochen als HSV-Trainer positiv aus: „Weil wir besser spielen, als ich es zu diesem Zeitpunkt erwartet hätte.“ Die Niederlage gegen Mönchengladbach sei mit den individuellen Fehlern Lasse Sobiechs schnell erklärt. Das 3:5 in Leverkusen dagegen habe ihn richtig wütend gemacht. Zum ersten Mal bemängelte er den Verlust seiner taktischen Vorgaben auf dem Platz. „Das war schlecht“, sagte er im Rückblick. „Nach dem 2:2 wollten wir zu viel. Wir sind übermütig geworden und haben es Leverkusen leicht gemacht. Da hätten die älteren Spieler eingreifen müssen.“

Weitere harsche Reaktionen müssen die angesprochenen älteren Spieler jedoch nicht erwarten. Im Gegenteil, van Marwijk kann aus diesem 3:5 noch überwiegend positive Schlüsse ziehen. „Wir haben dort verloren, weil wir übermütig waren – aber das ist immer noch besser, als wenn wir ängstlich sind und auseinanderbrechen. Wir sind nach einem 0:2 wieder zurückgekommen und wollten dann zu viel. Wir waren zu offensiv und haben letztlich bei einer Spitzenmannschaft fünf Kontergegentore bekommen. Das sagt doch alles.“

Zumindest lassen diese Eindrücke van Marwijk zuversichtlich auf die nächsten Spiele blicken. Die Tatsache, dass er mitten in der Saison eine fertig zusammengestellte Mannschaft übernommen hat, kommentiert er nicht. „Das wäre, als würde ich Ausreden suchen“, sagt der Niederländer, der stattdessen lieber etwas Druck auf sich nimmt. „Ich habe gelernt, dass positiver Druck leistungsfördernd ist.“ Die von HSV-Vorstand Carl Jarchow am Mittwoch erneut formulierte Zielvorgabe, einen internationalen Wettbewerb zu erreichen, zählt er nicht dazu: „Ich kann jetzt noch nicht sagen, ob wir am Ende Fünfter, Zehnter oder 15. werden.“

Dafür van Marwijk schon viel gelernt im Umgang mit seinen Spielern, ganz besonders dann, wenn sie unter Druck stehen. Einen Gewinner hat der Trainer beim HSV jedenfalls schon ausgemacht: Pierre-Michel Lasogga. Der Toptorschütze (acht Treffer in acht Spielen) begeistert auch ihn. „Weil er unterschätzt wird“, sagt van Marwijk, „Pierre ist ein viel besserer Fußballer, als behauptet wird. Er ist zwar kein Mario Götze, aber er ist ein viel kompletterer Angreifer, als die meisten denken.“

Bert van Marwijk rangiert mit dem HSV nach zwölf Spieltagen acht Plätze hinter der internen Vorgabe. Dennoch macht der 61-Jährige, der in Hamburg nach wie vor im Hotel wohnt, den Eindruck eines zufriedenen Mannes. Zwar wolle er sich in den nächsten Wochen mit Sportchef Oliver Kreuzer in Sachen Kadergestaltung austauschen, sagt aber schon jetzt: „Ich fordere keine Neuen. Ich gehe davon aus, dass ich mit derselben Mannschaft in die Rückrunde gehe.“ Der Niederländer nimmt sich lieber selbst in die Pflicht: „Ich wusste, was mich erwartet. Und ich weiß, was ich will: Ich will die einzelnen Spieler besser machen, weil dann auch die Mannschaft besser wird.“

Wie damals in Dortmund. „Da haben wir die bis dahin beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gespielt.“ Und plötzlich wird klar, warum van Marwijk an seinem neuen Arbeitsplatz in Hamburg noch so gelassen ist: Als 14. der Hinrunde verlor er damals in der Rückrunde nur noch zwei Spiele und holte mit dem BVB 37 Zähler. Der Klassenerhalt war geschafft – und der Sprung auf den siebten Tabellenplatz.