Die Wirtschaftsprofessoren Henning Vöpel und Stefan Prigge analysieren für das Abendblatt die Modelle der Strukturreform beim HSV.

Hamburg. Seit Wochen wird beim HSV über die Zukunft des Vereins debattiert. Das Abendblatt will diese Diskussion bis zur Mitgliederversammlung in allen Facetten abbilden und gibt Befürwortern und Gegnern einer Strukturreform ein Forum. In dieser Woche kommen Henning Vöpel, Professor am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) für das Themenfeld Sport und Wirtschaft, und Stefan Prigge, Professor an der HSBA Hamburg School of Business Administration, zu Wort. Gemeinsam arbeiten sie an einem Forschungsprojekt zum Thema Corporate Governance in Fußballvereinen. Die Wirtschaftsexperten überprüfen, inwieweit die Struktur eines Proficlubs für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich ist.

Hamburger Abendblatt: Herr Prigge, Herr Vöpel, in Ihrem viel beachteten Meinungsbeitrag zur Strukturdiskussion beim HSV mit dem Titel „Mehr Kapital oder mehr Kompetenz?“, den Sie vor Kurzem im Internet veröffentlicht haben, haben Sie sehr anschaulich den Istzustand beim HSV skizziert. Offen blieb nur, ob Sie nun eine Strukturreform beim HSV begrüßen würden oder eben nicht.

Stefan Prigge: Die Frage, die sich die Verantwortlichen des HSV stellen müssen, ist, was sie eigentlich mit einer Strukturreform erreichen wollen. Geht es ihnen primär um die Finanzen, geht es um die Risikoabschirmung, oder geht es um die Verbesserung der Kompetenzen in den Gremien?

Henning Vöpel: Zudem muss man betonen, dass Strukturen an sich kein Allheilmittel sind. Die Ursachen für Erfolg und Misserfolg sind vielschichtig. Gute Strukturen können aber natürlich helfen, mehr Kompetenz in die Gremien und Entscheidungsorgane zu bringen.

Gibt es beim HSV also keine optimale Besetzung der Gremien?

Vöpel: Der HSV gehörte in den vergangenen 30 Jahren immer zu den Vereinen, die in der Bundesliga das meiste Geld für ihre Mannschaft ausgegeben haben. Dieser Befund legt den Schluss nahe, dass nicht fehlendes Geld die Ursache für die relative Erfolglosigkeit des HSV gewesen ist. Das bedeutet folglich, dass es bei einer Strukturreform nicht primär darum gehen sollte, mehr Kapital zu beschaffen, sondern darum, für mehr Kompetenz in sportlichen und strategischen Entscheidungen zu sorgen. Dabei stellt sich dann natürlich die Frage, ob dafür tatsächlich eine Ausgliederung der Profiabteilung vonnöten ist.

Und? Ist sie?

Vöpel: Nach meiner Einschätzung ist eine vollständige Ausgliederung nicht notwendig. Man könnte die gewünschten Erfolge auch mit kleineren strukturellen Zwischenschritten wie zum Beispiel einer Verkleinerung des Aufsichtsrats erwirken – kleinere Gruppen entwickeln mehr Vertrauen und mehr Disziplin.

Prigge: Ein weiterer Zwischenschritt wäre, dass der Aufsichtsrat nicht mehr alle Entscheidungen mit einem Finanzvolumen von mehr als 500.000 Euro absegnen müsste. Dieser zustimmungspflichtige Betrag ist bei den Summen, die heutzutage im Profifußball bewegt werden, viel zu niedrig angesetzt. Es ist einer der Hauptgründe, warum in der aktuellen Struktur der Aufsichtsrat und damit auch die Mitgliederversammlung, die das Kontrollgremium ja wählt, sehr dicht und möglicherweise zu dicht am operativen Geschäft dran sind. Zudem ist die Hürde, sich in der aktuellen HSV-Struktur als Aufsichtsrat wählen zu lassen, sehr niedrig. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Inkompetenz.

Wäre die Wahrscheinlichkeit der Inkompetenz nach der vorgeschlagenen Strukturreform HSVPlus verringert?

Prigge: Durch den Beirat und Wahlausschuss, der zentraler Bestandteil des Konzeptes HSVPlus ist, wären die Hürden für den Aufsichtsrat jedenfalls sehr viel höher. Gleichzeitig muss man auch betonen, dass die Bedeutung der Mitgliederversammlung und damit der direkten Demokratie erheblich sinkt.

Könnte dieser Beirat, der aus dem Ehrenratsvorsitzenden, dem Amateurvorstand, dem Supporterschef sowie vier weiteren, selbst zu suchenden Ehrenmitgliedern besteht, auch eine Gefahr darstellen?

Vöpel: Dem Vorschlag liegt zumindest die Annahme zugrunde, dass diese sieben Mitglieder systematisch bessere Entscheidungen treffen als die Mitgliederversammlung. Das ist zunächst einmal eine unbewiesene These.

Prigge: Man muss sich dessen bewusst sein, dass hier eine Machtverlagerung stattfinden würde. Während bislang immer die Wahl des Aufsichtsrats hohe Wellen geschlagen hat, würden bei der HSVPlus-Struktur die Wahlen der Vorsitzenden des Ehrenrats, der Amateure und der Supporters eine größere Bedeutung bekommen. Diese drei dürften ja nicht nur vier weitere Mitglieder für den Beirat und geeignete Kandidaten für das Präsidium aussuchen, sie dürften zudem fünf der acht Mitglieder der Hauptversammlung bestimmen, die wiederum für die Bestellung des Aufsichtsrats zuständig ist. Der Beirat wäre das neue Machtzentrum des HSV…

Vöpel: … der nicht zwingend kompetenter, aber in seinen Entscheidungen weniger kontrolliert ist. Wenn Leute wie Rummenigge und Hoeneß darin sitzen, funktioniert das vielleicht. Was aber, wenn nicht? Sich nur die erfolgreichen Beispiele einer bestimmten Struktur anzugucken kann zu gefährlichen Fehlschlüssen führen.

Wichtiger Teil des Modells HSVPlus soll die Möglichkeit sein, einen strategischen Partner an der HSV AG zu beteiligen.

Vöpel: Dabei wird aber gerne vergessen, dass es sich bei dem Verkauf von Anteilen um einen Einmaleffekt handelt. Durch das „Financial Fairplay“ der Uefa wäre ein stetiger Zufluss eines Anteilseigners oder eines Mäzens wie Kühne ohnehin bald nicht mehr möglich.

Waren Sie eigentlich überrascht, dass bei dem vorliegenden Modell 24,9 Prozent der HSV-Anteile ohne weitere Absprachen im Alleingang durch den Vorstand veräußert werden dürfen?

Prigge: Das ist tatsächlich ein interessanter Punkt, der mir aber sehr bewusst gewählt scheint. Während die bisherige Vereinsform den Vorstand an der kurzen Leine führt, wäre die AG-Form eine sehr lange Leine. Die Mitglieder hätten dann keine Einflussnahme mehr, wenn der Vorstand irgendwann auf die Idee käme, bis zu 24,9 Prozent der Anteile an Herrn Kühne, einen Oligarchen oder einen Scheich zu verkaufen.

Vöpel: Interessant wäre auch die Frage, was eigentlich passiert, wenn beispielsweise Herr Kühne nach ein paar Jahren kein Interesse mehr an seinen 24,9 Prozent der Anteile hat und diese an einen Scheich verkaufen wollte. Das Thema „Geld gegen Einfluss“ ist auf jeden Fall ein kritischer Punkt.

Prigge: Hier gibt es interessante Parallelen zu Familienunternehmen, die familienfremde Gesellschafter aufnehmen: Wie die „Vereinsfamilie“ möchte die Familie möglichst wenig Kontrolle an die Familienfremden abgeben.

Beim ebenfalls vorgeschlagenen Hunke-Modell wird auch auf eine Art Ausgliederung gesetzt, aber sich gegen Privatinvestoren ausgesprochen. Wie beurteilen Sie das Alternativkonzept?

Vöpel: Beim Hunke-Vorschlag bleibt deutlich mehr Einflussnahme bei den Mitgliedern, dafür ist die „Filterfunktion“ geringer. Insgesamt scheint mir der Gegensatz Ausgliederung versus Tradition etwas konstruiert.

Prigge: Bei aller Rivalität zwischen den Konzepten sollte man eine wichtige Gemeinsamkeit nicht übersehen: Beide Vorschläge scheinen in ihrer Analyse zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die aktuell sehr große Nähe der Mitgliederversammlung zum operativen Geschäft ein Problem darstellt.

Nun haben wir lange über Pro und Kontra einer Ausgliederung gesprochen. Zum Ende des Gesprächs müssen wir noch einmal auf die Eingangsfrage zurückkommen: Sagen Sie nun Ja oder Nein zur Strukturreform beim HSV?

Vöpel: Meines Erachtens sind noch wesentliche Fragen unbeantwortet, um ein eindeutiges Votum abzugeben. Klar ist aber: Das moderne Fußballgeschäft macht strukturelle Anpassungen beim HSV grundsätzlich erforderlich.

Prigge: Operativ agiert ein Profifußballclub längst wie ein mittelständisches Unternehmen und nicht wie ein klassischer Verein. Der HSV ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen, was den Verdacht nach sich zieht, dass die Struktur da nicht Schritt halten konnte.