HSV-Profi Lasse Sobiech und HSV-Anhänger Jens Kuzel von den Volksparkjunxx sprechen über Homophobie im Fußball

Hamburg. An diesem Sonnabend (18.30 Uhr/Sky) spielt Hamburgs Lasse Sobiech, 22, mit dem HSV in seiner alten Heimat bei Borussia Dortmund. Da würde es natürlich naheliegen, mit dem Ex-Dortmunder über seine alte Heimat zu sprechen – haben wir aber nicht. Stattdessen bat das Abendblatt Sobiech und Jens Kuzel, 37, vom schwulen und lesbischen Fanclub Volksparkjunxx an einen Tisch, um über Homophobie im Fußball zu sprechen. Das liegt zwar nicht nahe, ist aber trotzdem wichtig.

Hamburger Abendblatt:

Herr Sobiech, wir wollen heute über Homophobie im Fußball sprechen. Mussten Sie lange überlegen, beim Interview zuzusagen?

Lasse Sobiech:

Ich muss schon zugeben, dass ich über diese Anfrage nachdenken musste. Aber dann habe ich mir gedacht, dass es ein wichtiges Thema ist, bei dem man ruhig seine Meinung vertreten kann und sollte.

Hatten Sie die Sorge, dass Sie negative Reaktionen bekommen könnten?

Sobiech:

Vor irgendwelchen Reaktionen von den Fans hatte ich keine Sorge. Und trotzdem muss man ja konstatieren, dass Homophobie im Fußball auch heutzutage noch ein heikles Thema ist. Die Gesellschaft scheint da weiter als Teile der Fußballfamilie zu sein.

Herr Kuzel, dieses Interview wird am Sonnabend, also am Tag des Spiels zwischen Borussia Dortmund und dem HSV, im Abendblatt erscheinen. Drohen Lasse Sobiech wegen des Interviews aus Ihrer Sicht negative Reaktionen an alter Wirkungsstätte?

Jens Kuzel:

Das glaube ich nicht. Natürlich gibt es im Stadion auch den einen oder anderen mit längst überholten Ressentiments, aber im Großen und Ganzen sind die Fußballfans doch sehr viel toleranter und offener als noch vor vielen Jahren. Mittlerweile gibt es bei fast jedem Bundesligaclub schwule und lesbische Fanclubs, die ihre Kurven entsprechend sensibilisiert haben. Was allerdings nicht bedeutet, dass schwulenfeindliche Gesänge der Vergangenheit angehören.

Wir leben im 21. Jahrhundert. Warum ist Homosexualität im Fußball überhaupt noch ein Tabuthema?

Kuzel:

Ich glaube nicht, dass Homosexualität im Fußball wirklich noch ein Tabuthema ist. Es ist vielmehr so, dass manche Fans einfach ungewollt beleidigen. Wenn der Schiedsrichter schlecht pfeift, ist er häufig gleich eine „schwule Sau“. Oft wird dabei gar nicht reflektiert, was man da gerade gesagt hat.

Wie reagieren andere Fans, die Sie als schwule HSV-Fans erkennen?

Kuzel:

Überwiegend positiv. Besonders beim HSV ist das nur selten ein Thema. Gerade die Ultras der Chosen Few und von Poptown sind sehr viel toleranter, als man es ihnen zutrauen würde.

Es gibt also keine Zwischenfälle?

Kuzel:

Natürlich gibt es immer mal wieder kleinere Dinge, die nerven, über die ich mir aber einfach keinen Kopf mache. Einmal hat ein anderer Fan alle paar Minuten gebrüllt, dass alles Mögliche schwul sei. Der Schiri war schwul, der Pass war schwul, der Torschuss war schwul, alles war schwul. Da bin ich dann zu ihm hingegangen und habe ihm gesagt, dass er sich mal was etwas anderes einfallen lassen sollte. Darauf fragte er, ob ich etwa schwul sei. Als ich ihm dann antwortete, dass ich in der Tat schwul bin, wusste er plötzlich nicht mehr, was er noch sagen sollte.

Sicherlich haben Sie in der vergangenen Woche das Länderspiel zwischen Deutschland und Österreich im Fernsehen gesehen. Was haben Sie empfunden, als Tausende Österreicher immer wieder „Schwuler DFB“ sangen?

Sobiech:

Ich habe die Gesänge im Fernsehen gar nicht so richtig wahrgenommen, aber wahrscheinlich ist es wirklich so, wie Jens sagt: Manche Unverbesserliche rufen so etwas, ohne wirklich darüber nachzudenken, was es eigentlich bedeutet. Mich würde mal interessieren, wie es außerhalb des Stadions so ist. Fühlst Du Dich noch oft im normalen Leben diskriminiert?

Kuzel:

Glücklicherweise nur noch selten. Natürlich kommt es auch immer ein wenig darauf an, wie sehr man seine Sexualität zur Schau stellt. Ich selbst habe aber kaum negative Erfahrungen gemacht. Schwulsein scheint mir heutzutage normal.

Vor 20 Jahren war es normal, dass farbige Spieler mit Affengeräuschen bedacht wurden, heutzutage wurde Fremdenfeindlichkeit aus nahezu allen Stadien verdrängt. Wie lange wird es wohl dauern, bis auch Schwulsein im Fußball als normal akzeptiert ist?

Kuzel:

Das hängt auch ein bisschen vom Umfeld und der Region ab. In Hamburg oder Köln sind die Leute toleranter als in Dresden oder Rostock.

Hätte es ein Fußballer, der sich outet, aus Ihrer Sicht sehr schwer?

Sobiech:

Also, einfach hätte er es sicherlich nicht, das muss man leider so sehen. Im Profisport wird es immer noch brutal ausgenutzt, wenn bestimmte Leute etwas als Angriffsfläche identifizieren. Auf der einen Seite müsste der Betreffende ein sehr dickes Fell haben, auf der anderen Seite könnte er mit einem Outing auch eine Entwicklung hin zu mehr Toleranz beschleunigen. Ähnlich wie die Affengeräusche vor 20 Jahren würden dann Sprüche wie „Schwuler Schiri“ irgendwann tabu sein. Ich denke jedenfalls, dass ein Outing sehr mutig wäre, was die Akzeptanz möglicherweise erleichtern würde.

Kuzel:

Meiner Meinung nach hätte es ein Profi im Herbst seiner Karriere, der möglicherweise schon eine ganze Reihe von Bundesliga- und vielleicht auch Länderspielen auf den Buckel hat, einfacher als jemand, der noch gar keine große Leistungen gezeigt hat. Wenn sich beispielsweise ein verdienter Nationalspieler outen würde, dann würde das beweisen, dass man auch als schwuler Mann sehr ordentliche Leistung bringen kann.

Vor wem müssten sich schwule Fußballer vor einem Outing denn am meisten Sorgen machen? Vor den Fans, den Medien oder den eigenen Kollegen?

Kuzel:

Obwohl ich leider kein Fußballprofi bin, glaube ich schon, dass die eigene Mannschaftskabine die größte Hürde ist. Lasse hat es ja gesagt: Im Profisport wird alles ausgenutzt, was Angriffsfläche bietet. Allerdings hängt das wohl auch von jedem Einzelnen ab. Der eine würde sich möglicherweise vor der öffentlichen Meinung Sorgen machen, der andere hätte Angst vor der Reaktion in der Umkleide. Da der direkte Angriff normalerweise mehr weh tut als irgendeine anonyme Beleidigung, würde ich aber auch sagen, dass der größte Stressfaktor die eigenen Kollegen sein könnten. Dabei ist das eine Sorge, die ich als heterosexueller Mann in der Theorie gar nicht nachvollziehen kann. Ich kann mir beim HSV kaum vorstellen, dass irgendeiner meiner Mitspieler komisch reagiert, wenn sich einer outen würde.

Glauben Sie nicht, dass der eine oder andere beim Torjubel oder unter der Dusche plötzlich ins Grübeln kommen könnte?

Sobiech:

Doch, das würde sicherlich in der Anfangszeit passieren. Aber irgendwann würde man doch merken, dass eigentlich alles beim Alten ist, dass sich gar nichts verändert hat. Und dann würden sich solche Vorbehalte auch schnell wieder verflüchtigen.

Man hat manchmal den Eindruck, dass Fans und Interessierte förmlich nach dem ersten Outing gieren. Würden Sie ein Outing begrüßen?

Kuzel:

Ich wäre zumindest gespannt, wie die Öffentlichkeit reagieren würde. Aber in unserem Fanclub haben wir uns zusammengefunden, weil wir den HSV und nicht irgendeinen geouteten Spieler lieben. Gleichzeitig empfinde ich es als unsere Aufgabe in der Kurve, dass wir eine Atmosphäre schaffen, in der sich ein Spieler jederzeit trauen könnte.

Ist Schwulsein oder Nichtschwulsein in der Mannschaft genauso ein Thema wie in der Öffentlichkeit?

Sobiech:

Natürlich wird ab und an darüber geredet, genauso wie auch auf der Straße über Gerüchte getuschelt wird. Das ist doch normal. Habt ihr in der Mannschaftskabine mal über Robbie Rogers, der in den USA spielt und sich geoutet hat, gesprochen? Nicht wirklich. Ich hab das mitbekommen, aber das war kein großes Thema bei uns. Das war noch ganz anders, als ich noch ein Teenager war. Da haben dann immer ein paar Mannschaftskollegen darüber debattiert, wer nun schwul sei und wer nicht. Das hat mit der Zeit aber glücklicherweise stark abgenommen.

Liga-Präsident Reinhard Rauball rät aber immer noch vorm Outing ab. Ist das nicht auch gewissermaßen ein Armutszeugnis für die Liga?

Sobiech:

Ich bin mir sicher, dass jeder Spieler, der über ein Outing nachdenkt, sich sehr wohl bewusst darüber ist, dass es kein einfacher Schritt wäre. Gerade deswegen wäre jede Unterstützung von allen Seiten nur wünschenswert, auch von DFL und DFB. Das denke ich auch, gerade weil sich glücklicherweise exponierte Sportler wie Philipp Lahm ganz anders geäußert haben. Lahm hat gesagt, dass er das erste Outing begrüßen würde. Das zeigt mir aber auch, dass das Problem gar nicht bei den Spielern selbst oder den Fans liegt, sondern möglicherweise bei den Funktionären. Mir scheint da der eine oder andere Verantwortliche überfordert zu sein.

Ausgerechnet Louis van Gaal hat den Christopher Street Day in Amsterdam unterstützt. Wäre eine ähnliche symbolische Geste in Hamburg vom HSV nicht ein ziemlich starkes Zeichen?

Sobiech:

Das wäre auf jeden Fall zu begrüßen. Wichtig wäre aus meiner Sicht nur, dass nicht ein einzelner Spieler dort auftritt, sondern dass sich die ganze Mannschaft positionieren würde. In diesem Fall muss man als Team, als Verein oder auch als Verband mit einer gewissen Intensität dahinter stehen. So ein Zeichen der Toleranz wäre ein starkes Signal. Wobei ich auch betonen möchte, dass uns der HSV schon beim letzten CSD tatkräftig unterstützt hat – nicht mit Manpower, aber mit Materialen. Und auch unser Capo Jojo Liebnau hat unsere Gruppe beim CSD begleitet. Insgesamt muss ich mal festhalten, dass ich mich beim HSV als Fan sehr wohl fühle – unabhängig davon ob ich nun schwul oder nicht schwul bin.