Ein Gespräch mit dem DFB- und HSV-Torhüter René Adler über das urdeutsche Wort Mannschaftsgeist – und wie schon ein Pizzaessen helfen kann.

München. An diesem Montag reist die Nationalmannschaft um 10.20 Uhr mit dem Charterflieger auf die Färöer. Bevor der Flieger aber abhebt, kam DFB- und HSV-Torhüter René Adler zum großen Abendblatt-Gespräch ins Hotel The Charles über die Entstehung eines Mannschaftsgefüges.

Hamburger Abendblatt: Herr Adler, was fällt Ihnen spontan bei dem urdeutschen Wort „Mannschaftsgeist“ ein?

René Adler: Ich glaube nicht, dass es da eine für alle gültige Definition gibt. Für mich ist Mannschaftsgeist mehr ein Gefühl, das unabdingbar für den Erfolg im Fußball ist. Man sollte eine verschworene Gemeinschaft bilden, ohne dass das bedeutet, dass man unbedingt die besten Freunde sein muss.

Thomas Müller hat mal im Abendblatt gesagt, dass er nach der Karriere kaum mit anderen Fußballern eng befreundet sein würde. Wie ist das bei Ihnen?

Adler: Ich finde Thomas Müllers Aussagen sehr richtig. Auch ich habe viele nette Bekannte und Kollegen, aber echte Freunde unter Fußballern habe ich nicht. Meinen besten Freund kenne ich schon seit der fünften Klasse aus Leipzig, mit ihm spreche ich täglich. Er hat sogar mal ein halbes Jahr bei mir in Leverkusen gewohnt, als er einen neuen Job in Düsseldorf angefangen hat. So eine intensive Freundschaft ist aber im Profifußball nur sehr schwer möglich.

Der abgedroschene Satz „Elf Freunde müsst ihr sein“ ist also Blödsinn?

Adler: Es ist utopisch, dass alle elf Spieler auf dem Platz eng befreundet sind. Ein Verein ist doch heutzutage wie ein Unternehmen – und da sind doch auch nicht alle Kollegen gut befreundet. Aber man kann und sollte trotzdem einen guten Geist in der Mannschaft haben.

Wie ist das im Bundesligaalltag?

Adler: Es gibt leider kein Patentrezept für ein funktionierendes Mannschaftsgefüge. Aber jeder muss sich eben um einen guten Geist im Team bemühen, gerade weil wir beim HSV nicht solche herausragenden Fußballer wie Bayern oder Dortmund haben. Wir haben keine überragenden Individualisten, aber wir haben viele gute Spieler. Und aus diesen guten Spielern müssen wir eben ein überragendes Team formen.

Muss ein Mannschaftsgeist von den Spielern entwickelt werden oder ist der Trainer dafür verantwortlich?

Adler: Das kann man so pauschal nicht beantworten. Der Trainer gibt einen gewissen Rahmen vor, der von den Spielern entsprechend ausgefüllt werden sollte. Man kann sich natürlich nicht in die Kneipe setzen und sagen, so, jetzt haben wir einen ganz tollen Mannschaftsgeist. Aber man kann schon mit Aktionen den Stein ins Rollen bringen. Nach einer Niederlage kann man sich auch mal schützend vor einen Kollegen stellen, der es dann vielleicht im nächsten Spiel dankt, indem er den einen Schritt mehr läuft, der weh tut, aber der dir dann auf gut Deutsch den Hintern rettet.

Beim HSV haben Sie nach dem 1:5-Debakel gegen Hoffenheim sämtliche Defensivspieler zu sich nach Hause zum Pizzaessen eingeladen. Worüber haben Sie da gesprochen?

Adler: Ich will da eigentlich keine große Sache draus machen. Wir haben Pizza bestellt, meine Freundin hat Tiramisu gemacht, und dann haben wir uns eben mal so richtig unterhalten. Ich habe ja einen Großteil der Vorbereitung verpasst, deswegen hatte ich auch keine große Möglichkeit, die Neuen mal so richtig kennenzulernen. An so einem Abend konnte ich dann erstmals Lasse Sobiech oder Kerem Demirbay etwas besser kennenlernen, was auch für das Miteinander auf dem Platz wichtig ist.

Haben Sie Trainer Thorsten Fink über das Treffen vorab informiert?

Adler: Klar habe ich ihn informiert. Es spricht ja nichts dagegen, dass man sich auch mal privat trifft, er fand das auch sehr gut. Ich wollte, dass meine Mitspieler auch mal wissen, wo und wie ich wohne, dass sie meine Freundin und meinen Hund kennenlernen. Ich lasse die Jungs an meinem Leben teilhaben, und dadurch entwickelt man doch auch ein Vertrauensverhältnis.

Die Nationalmannschaft ist nur selten zusammen. Wie kann hier der Mannschaftsgeist gefördert werden?

Adler: Gerade während der Turniere macht unser Trainerteam sehr viel, damit niemandem langweilig wird. Es werden beispielsweise Persönlichkeiten aus anderen Bereichen eingeladen, wie jetzt gerade bei der USA-Reise der Footballspieler Björn Werner. Es war auch schon mal ein Banker da, der ein bisschen über seinen Alltag erzählt hat. Für unsere mannschaftliche Entwicklung kann es nur gut sein, auch mal andere Bereiche kennenzulernen. Das ist möglicherweise nicht für jeden interessant, aber es ist ja auch nur ein Angebot.

Sie haben lange in Leverkusen, in der Nationalmannschaft und nun eben beim HSV gespielt. Wo war der Mannschaftsgeist am meisten ausgeprägt?

Adler: Sie werden jetzt vielleicht lachen, aber den besten Mannschaftsgeist überhaupt hatten wir in der B-Jugend in Leipzig. Wir waren keine besonders gute Mannschaft, aber damals ist jeder für den anderen durchs Feuer gegangen. Wenn da einer eine Egonummer geschoben hat, dann wurde das von der Mannschaft knallhart sanktioniert. Gewisse Dinge braucht kein Trainer zu wissen oder zu regeln, die kann eine funktionierende Mannschaft auch selbst regeln.

Beim HSV sind Sie als unumstrittener Führungsspieler mitverantwortlich für den Mannschaftsgeist. Wie ist das als Nummer zwei bei der Nationalmannschaft? Müssen Sie sich da zügeln?

Adler: Ganz im Gegenteil. Gerade als Nummer zwei hat man eine große Verantwortung für ein gutes Mannschaftsklima. Jeder will doch unbedingt spielen, aber wenn eben ein anderer spielt, dann muss man seinen Kollegen entsprechend unterstützen. Pepe Reina ist ein gutes Beispiel. Er ist auch nur Ersatztorhüter in Spanien, ist aber für die Stimmung in der Mannschaft der wichtigste Mann.

Haben Sie einen Mannschaftsgeist gespürt, als Sie zu Ihrer Leverkusener Zeit so schwer verletzt waren?

Adler: Als verletzter Spieler fühlt man sich natürlich immer ein bisschen wie das fünfte Rad am Wagen, man fühlt sich nicht gebraucht. Ich denke, dass es eine Aufgabe der Mannschaft, aber selbstverständlich auch des Verletzten selbst ist, dass man aktiv in Kontakt bleibt. Mir ist das damals gar nicht so leicht gefallen.

Ist die junge Generation heute anders als zu der Zeit, in der Sie noch 20 oder 21 Jahre alt waren?

Adler: Fußballerisch ist sie vor allem besser. Die Jungs sind mittlerweile ganz früh schon top ausgebildet, sind dementsprechend aber auch sehr selbstbewusst.

Sie waren nicht überproportional selbstbewusst?

Adler: Natürlich war ich selbstbewusst – und trotzdem bin ich im Nachhinein froh, dass ich erfahrene Spieler wie Jens Nowotny oder Carsten Ramelow an meiner Seite hatte. Ich hatte da einen natürlichen Respekt, habe mich nicht getraut zu widersprechen. Umgekehrt wusste ich, dass ich mich in Drucksituationen auf die Alten verlassen konnte, ich hatte ein Urvertrauen.

Gibt es so eine natürliche Hierarchie heute auch noch?

Adler: Sie ist nicht so selbstverständlich wie früher. Mir hat es jedenfalls nicht geschadet, mich auch ein wenig hochzudienen. Am Ende entsteht dann ganz natürlich ein Mannschaftsgeist.