Die HSV-Stürmer Maximilian Beister und Uwe Seeler trafen sich zum Gespräch über Tore, das Glück des Schützen und über Gestern und Heute.

Hamburg. Maximilian Beister war überpünktlich zum verabredeten Treffen erschienen. Und bestens vorbereitet. „404 Tore“, wusste der 23-Jährige, hat Uwe Seeler in seiner Karriere für den Hamburger SV geschossen und ein Millionenangebot von Inter Mailand abgelehnt. Dass Seeler neben seiner Karriere immer auch als Handelsvertreter für Adidas gearbeitet hat, wusste Beister nicht und konnte es kaum glauben: „Wie oft haben Sie trainiert, wie haben Sie das geschafft?“

„Moin, Moin zum Schützenfest“ lautet das Motto beim „Tag der Legenden“ am Sonntag. Das Abendblatt bat deshalb zwei HSV-Stürmer aus zwei Generationen zum Gespräch über Tore, Torjäger und das besondere Gefühl, wenn der Ball „drin“ ist. Der junge Mann aus Lüneburg, der als HSV-Fan aufgewachsen ist, freute sich offensichtlich, das größte Vereinsidol persönlich kennenzulernen. Seeler, der fast jedes HSV-Spiel im Stadion verfolgt, nahm seinen Nachfolger gleich freundschaftlich in den Arm.

Uwe Seeler: Wir Stürmer sind ja verpflichtet, Tore zu schießen …

Maximilian Beister: Irgendwo misst man uns vor allem daran.

Seeler: Wenn man nicht weiß, wohin mit dem Ball – reinhauen. Ist so.

Die Chemie stimmte sofort.

Hamburger Abendblatt: Herr Beister, wann haben Sie zum ersten Mal von Uwe Seeler gehört?

Beister: Schwer zu sagen. Irgendwann hört man ja immer von Herrn Seeler, wenn man das erste Mal vom HSV hört. Aber wann das war, weiß ich nicht mehr. Meine Oma hat mir immer von den tollen HSVern um Uwe Seeler erzählt.

Haben Sie mal alte Aufnahmen mit Toren von Uwe Seeler gesehen, und erinnern Sie sich an eines ganz besonders?

Beister: Ja, klar. Aber nicht im HSV-Trikot, sondern mit der Nationalmannschaft. Ich glaube, das war 1970 in Mexiko bei der WM.

Seeler: Ach, das Hinterkopftor.

Beister: Ja, genau. Gegen England, oder? Im Viertelfinale?

Seeler: Ja. Das war zwar spektakulär, aber es war im Grunde gar nicht so mein Tor. Ich habe ja mehr Fallrückzieher und Flugkopfbälle gemacht. Das hier war im Rückwärtslaufen. Dass der sich dann so reinsenkt, war natürlich glücklich. Aber es war ein sehr wichtiges Tor. Zum 2:2, wir haben dann 3:2 gewonnen, nach 0:2.

Schaut man sich denn von diesen alten Aktionen auch etwas ab, oder sagt man, das ist eine andere Zeit, das interessiert mich nicht mehr?

Beister: Ich glaube, dass man sich aus der alten Zeit immer etwas abschauen kann. Der Sport bleibt ja der gleiche. Und wenn man solche Tore sieht, dann guckt man schon: Was haben die damals wie gemacht, um das Tor zu erzielen?

Wie hat sich herausgestellt, dass Sie Stürmer sind? War das immer klar?

Beister: Nein, ich habe hinten angefangen. Hinten links, dann linkes Mittelfeld. Dann war ich irgendwann Stürmer. In der Jugend beim HSV habe ich nur im Sturm gespielt. Das erste Jahr bei den Amateuren habe ich auf Links- und Rechtsaußen angefangen. Irgendwann hatte ich dann das Toreschießen im Blut.

Seeler: Verteidiger kann er immer noch machen, wenn er älter wird. Wenn man vorne gespielt hat, weiß man, wie die Stürmer funktionieren. Ich bin ja nur vorne gewesen. Mich haben sie gar nicht nach hinten gelassen. Das ist auch ein bisschen Talent, vielleicht auch das gute Auge. Obwohl ich klein war, habe ich ein sehr gutes Kopfballspiel gehabt, war schnell, antrittsschnell aus dem Stand. Das ist das Wichtigste, dass du aus dem Stand schnell weg bist.

Beister: Das habe ich auch ein bisschen, glaube ich.

Seeler: Was gefällt dir denn am besten? Das ist ja viel wichtiger: lieber vorne oder lieber hinten?

Beister: Das kommt schon auf das System an. Gegen Braunschweig haben wir ja Raute gespielt, mit zwei Stürmern. Das ist schon eine Position, wo ich sage, die gefällt mir richtig gut. Ich kann tief gehen, ich kann die Bälle erlaufen. Das passt für mich schon sehr gut. Das hat man gegen Braunschweig gesehen. Waren Sie da?

Seeler: Ich war da. Ich glaube, zu Hause müsst ihr auch so spielen.

Beister: Druck machen …

Seeler: Klar, wenn du zu Hause wartest, machst du den Gegner stark.

Es heißt ja immer, ein Stürmer soll dahin gehen, wo es wehtut …

Seeler: Ich habe ja immer gegen Doppelstopper gespielt. Da habe ich ordentlich auf die Socken gekriegt. Gegen den HSV haben sie besonders gekesselt. Die haben versucht, mich durch hartes Spiel einzuschüchtern. Ich habe denen gesagt: Du kannst machen, was du willst, ich komme immer wieder. Zu meiner Zeit war es ja auch so, dass im Torraum nicht abgepfiffen wurde, wenn der Torwart die Knie anzog. Auch von hinten reingrätschen ist nicht abgepfiffen worden. Wenn die an den Ball wollten, sind die nur in die Beine. Guck dir mal meine Fersen an. Ich hab nichts am Knie, sondern unten drin.

Beister: Am Knöchel … Da gab’s ja auch noch keine Gelben Karten.

Seeler: Wenn einer von der Seite kam und versuchte, den Ball zu spielen, da habe ich noch Verständnis für, aber von hinten, da muss er meine Füße mit wegfegen.

Beister: Heute sieht man alles wegen der TV-Kameras. Damals war das, glaube ich, viel extremer. Damals konnte man als Verteidiger noch viel mehr machen.

Seeler: Heute ist ja alles festgehalten. Die Spieler müssen wissen, dass sie nicht mehr unbeobachtet foulen können. Das wäre bei uns auch schön gewesen, aber es waren ja höchstens zwei Kameras da, wenn überhaupt.

Es heißt auch, Stürmer müssten egoistisch sein. Stimmt das?

Seeler: Wenn einer besser steht und man es sieht, dann sollte man rüberspielen. Aber man muss auch von sich überzeugt sein: Den haue ich rein! Du musst ab und zu egoistisch sein. Doch, das gehört dazu.

Beister: Du brauchst einen gewissen Egoismus. Du musst als Stürmer den Willen haben, ein Tor zu machen. Da muss man auch mal schießen, wenn einer vielleicht ein Tickchen besser steht. Sonst schießt du ja nie ein Tor, wenn du immer nur deine Mitspieler bedienst.

Wie ist denn das Gefühl, wenn der Ball im Tor ist? Kann man das beschreiben? Der Brasilianer Ailton hat mal gesagt, das sei schöner als Sex?

Beister: Ja, ha!

Seeler: Das ist ein bisschen so.

Beister: Völlig egal wie, Hauptsache, der Ball ist im Netz.

Seeler: So sieht das aus. Ich finde, das schönste Tor ist immer, wenn er gerade hinter der Linie liegen bleibt. Wenn der Torwart so krabbelt und versucht, noch zu greifen.

Seeler: Du machst ja nicht nur dich glücklich, sondern auch 50.000 im Stadion. Dieses Gefühl, ein Tor zu schießen, ist schon ein ganz besonderes.

Herr Seeler, eine Ihrer großen Stärken war immer, den Ball volley aus der Luft zu nehmen. Woher kommt das Talent? War das von Kindheit an da?

Seeler: Ja. Ich habe das ja schon als kleiner Buttje so gemacht. Auf der Straße. Das Gefühl dafür, wie der Ball fliegt, hatte ich immer. Aber ich bleibe ja auch gerne etwas altmodisch. Ich bin der Meinung, das Kopfballpendel hilft sehr. Ich habe da immer am Rothenbaum Extraschichten gemacht. Aber das ist ja heute nicht mehr so in Mode.

Beister: Doch, wir haben so was.

Seeler: Ich würde dir dringend raten, das regelmäßig zu machen. Das ist gut für dein Kopfballspiel. Nur locker und leicht springen.

Beister: Für die Bewegung.

Seeler: Ja – und du kriegst einen Blick für den Ball. Und was ich auch immer gemacht habe, waren seitliche Schüsse. Du musst den Ball immer nur locker treffen. Links, rechts. Man kriegt ein unheimliches Gefühl für den Ball. Das ist so. Genauso ist es bei Flanken. Du musst ja den Gegenspieler wegziehen. Dann in den Ball reingehen. Das ist wichtig als Stürmer, damit du Freiräume bekommst. Wenn du nur auf den Ball wartest, kannst du lange warten.

Beister: Mich würde mal interessieren, wenn es damals geregnet hat und dieser Lederball pitschnass war …

Seeler: Betonkugeln waren das. Beim Köpfen musstest du aufpassen, dass dein Genick nicht wegknickt. Schultern anspannen. Aber was man nicht kennt und was es nicht gab, das vermisst man nicht. Es gab nichts anderes. Wenn du unsere Fußballschuhe tragen würdest, wette ich, in fünf Minuten hast du Blasen rundum.

Beister: Herr Seeler, was halten Sie eigentlich von Torlinientechnik?

Seeler: Ich halte das für sehr gut. Es gibt die Technik ja jetzt. 1966 in Wembley hätte uns das geholfen … Aber sonst bin ich für Tatsachenentscheidungen. Technik nur bei Toren. Nicht bei Abseits. Das ist alles Quatsch. Die sollen aber das passive Abseits abschaffen.

Beister: Abseits ist Abseits, oder? Wenn einer nicht rauskommt, hat er Pech gehabt.

Seeler: Ja. Wir brauchen klare Verhältnisse. Abseits ist Abseits. Fertig, aus.