Am 24. August 1963 bestritt der HSV sein erstes Spiel bei Preußen Münster. Die Hamburger reisten erst am Vormittag mit der Eisenbahn an. Am Sonnabend ist der HSV 50 Jahre in der ersten Bundesliga.

Die Bundesliga – nichts weiter als ein moderner Zirkus? Ein Massenvergnügungsmittel unserer Zeit? Ein Ablegeplatz für Herdenkomplexe und verirrte Gefühle? Oder ein Tummelplatz für Sensationslüsterne?“ Die Skepsis vor dem ersten Spieltag war groß, wie dieser Originalkommentar im Fernsehen beweist. Die Spieler des HSV interessiert das reichlich wenig, als sie am Sonnabend, 24. August 1963, um 10 Uhr in die Eisenbahn Richtung Münster einsteigen. Wie schon zu Oberliga-Zeiten bilden sich schnell Gruppen, um Klabberjass zu spielen. „Wir fürchten die Preußen nicht“, wird Uwe Seeler im Abendblatt zitiert.

Es ist der Premierentag des deutschen Profifußballs. Der Bundeskanzler heißt noch Konrad Adenauer, gerade haben die Beatles ihre Single „She loves you“ veröffentlicht, den Mercedes SL 190 gibt es noch als Neuwagen. Ab sofort dürfen die Spieler zwischen 250 und 1200 Mark Grundgehalt kassieren, inklusive Prämien bis zu 1200 Mark brutto. Nationalspieler können, mit Zustimmung des Finanzamtes, auf 2000 Mark kommen.

Stolze 700.000 Mark beträgt der Jahresetat der Hamburger, den vor allem die Zuschauer mit ihren Eintrittskarten aufbringen müssen. 2,50 Mark kostet ein Stehplatz im Volkspark, zehn Mark ein Sitzplatz. Von den Einnahmen müssen 10 Prozent „Lustbarkeitssteuer“ abgeführt werden – die Vergnügungssteuer. 46 Vereine hatten sich für die 16 Bundesligaplätze beworben, die von einer fünfköpfigen Verbandskommission vergeben wurden. Kriterien waren die wirtschaftliche Situation, die Bilanz der vergangenen zwölf Jahre in der Oberliga und die Platzierung in der Vorsaison.

Die Hamburger, die sich nach der Ankunft in Münster noch für eineinhalb Stunden aufs Ohr legen dürfen, gehen als Favorit in die Partie und können die gleiche Startformation aufbieten wie zehn Tage zuvor beim 3:0 über Dortmund im Finale des DFB-Pokals. „Wir hatten zehn Hamburger in der Aufstellung und einen Ausländer“, erinnert sich später Gert „Charly“ Dörfel, „denn Jürgen Kurbjuhn wuchs ja in Buxtehude auf.“ Was ein wenig hingeschummelt war, denn Willi Giesemann stammte aus Braunschweig, Fritz Boyens’ Geburtsort hieß Berlin.

„Als es in Münster zum Stadion ging, merkten wir sehr schnell, dass etwas Besonderes in der Luft lag“, sagt Uwe Seeler, „die halbe Stadt schien auf den Beinen zu sein.“ Offiziell betrug das Fassungsvermögen des Münsteraner Stadions 37.500, doch als die Partie um 17 Uhr angepfiffen wird, hocken Hunderte Menschen auf der Aschenbahn und stehen bis fast direkt an den Spielfeldrand. Seeler: „Einige hingen in halsbrecherischer Haltung in den Bäumen, in den Flutlichtmasten oder standen auf dem Tribünendach. Andere hatten sich Stehleitern oder Holzbänkchen mitgebracht, um aus der letzten Reihe noch etwas zu sehen. Sensationell!“ Über 40.000 Fußballfans drängeln sich bei Regenwetter in die Arena.

Das Spiel verläuft für den HSV nicht nach Plan. „Die aufkommende Sonne stellte die engen Spielzüge der Hamburger in den Schatten des Münsteraner Zweckfußballs“, wird der TV-Kommentator in der Zusammenfassung mit dem Namen „Sportübertragung“ sagen, die an jenem Sonnabend aber erst um 22.15 Uhr beginnt – nach dem Wort zum Sonntag. „Wollen Sie wieder die kleinen bunten Männchen auf dem grünen Rasen zeigen? Sie machen noch unser ganzes Programmschema kaputt“, erinnerte sich Ernst Huberty kürzlich in einer ARD-Dokumentation über die ablehnende Haltung seines Sendechefs. Drei Kameras fangen das Geschehen auf dem Platz ein, aber das komplette Spiel wird damals noch nicht aufgezeichnet. Die 18-Uhr-Sportschau gibt es erst ab 1965.

Der HSV hat Glück, dass Torwart Horst Schnoor glänzend hält. Die „Bild“-Zeitung wählt ihn prompt in die „Nationalelf der Woche“, das Sportmagazin verleiht ihm die Traumnote eins. Doch das 0:1 durch Falk Dörr nach 70 Minuten kann auch Schnoor nicht verhindern. Die erste Bundesliga-Niederlage gleich im ersten Spiel droht, bis Dörfel kurz vor dem Abpfiff doch noch das 1:1 gelingt (86.). „Der lange HSV-Stürmer Ernst Kreuz, dem an diesem regnerischen Tag überhaupt nichts gelingen wollte, trat einen Eckball mit einem Bogenschuss so raffiniert, dass neben einigen Preußen auch deren Torwart Eiteljörge am Ball vorbeigriff, aber Linksaußen Dörfel daraus mit einem Kopfball das 1:1 erreichte“, schreibt der Abendblatt-Reporter Jupp Wolff. Dörfel scherzt: „Es war ein Nickerchen.“

Am Sonnabend um 17 Uhr wird die Stadionuhr auf 50 Jahre, 00 Monate, 000 Tage, 00 Stunden, 00 Minuten und 00 Sekunden umspringen. So lange spielt der Verein schon in der Bundesliga, hat in 1698 Spielen 701-mal gewonnen, 538-mal verloren, 459-mal Unentschieden gespielt, 2763 Tore erzielt und 2385 hinnehmen müssen. Der HSV hat die Spieler von einst ins Fanrestaurant Die Raute eingeladen, um das Jubiläum gemeinsam zu feiern. Danach wird man gemeinsam schauen, ob die Darbietungen beim Spiel gegen Hertha BSC dem Jubiläum gerecht werden.