Entspannung für Thorsten Fink: Solange es so läuft wie auf Schalke, brauchen die Hamburger keinen neuen Stürmer. Aber wo bleiben die eigenen Talente?

Hamburg. Ein Stürmer oder kein Stürmer, das ist hier die Frage. Seit der HSV am vergangenen Sonntag ohne echte Sturmspitze drei Tore auf Schalke erzielt hat, rätselt nicht nur der Anhang der Rothosen, ob man auch weiterhin auf einen Angreifer verzichten könnte. Auch Trainer Thorsten Fink überlegt noch. Wahrscheinlich bis zum Vormittag des ersten Saison-Heimspiels am Sonnabend gegen Hoffenheim.

Er steht offenbar vor einem Luxusproblem. Wer in Gelsenkirchen ohne nominellen Sturm dreimal trifft, der müsste in Hamburg, ob nun mit oder ohne Spitze, gegen Hoffenheim doch mindestens viermal… oder nicht? Ganz so einfach allerdings dürfte diese Rechnung dann doch nicht aufgehen.

Gut, Spaniens Nationalelf ist ohne Stürmer Welt- und Europameister geworden, der FC Barcelona hat ohne Spitze alles gewonnen, was es im Vereins-Fußball zu gewinnen gibt. Tiki-Taka haben die Spanier diese Art des Spiels genannt. Lange Ballstafetten vor des Gegners Strafraum, und dann löst sich ein Spieler aus dem Mittelfeld, geht in die Spitze und schießt, so der Plan, ein Tor.

So oder so ähnlich lief die Geschichte für den HSV auch auf Schalke. Und so könnte es jetzt auch weitergehen. Wenn es da nicht einen Spieler namens Artjoms Rudnevs gäbe. Soll der Lette, der in der vergangenen, seiner ersten Bundesliga-Saison, immerhin zwölf Tore schoss, künftig immer auf der Bank schmoren und nur noch bei Bedarf – also bei einem Rückstand – auf den Rasen dürfen?

Die Entscheidung trifft Thorsten Fink. Und der wollte eigentlich bis zum Schließen des Transferfensters am 31. August noch einen neuen Stürmer nach Hamburg lotsen. Jetzt hat sich die Situation aber plötzlich total verändert. Fink ließ ohne Stürmer spielen – und es funktionierte. Braucht man jetzt noch – neben Rudnevs – einen neuen Mann?

Zumal es mit Maximilian Beister einen „Ersatz“-Stürmer gäbe, sollte Rudnevs tatsächlich einmal ausfallen. Und eventuell könnte ja auch Jacques Zoua, der angeblich Heung Min Son ersetzen soll, auch eines Tages noch eine wertvolle Spitze werden.

Der HSV hat sich in der jüngeren Vergangenheit nicht gerade üppig beim Toreschießen hervorgetan. Zuletzt waren es 42 Treffer, in der Saison 2011/12 gab es mit nur 35 Toren in 34 Spielen sogar den Tiefstand in diesem Jahrtausend.

In acht Spielzeiten seit dem Jahr 2000 schoss der HSV jeweils weniger als 50 Tore, fünfmal gab es mehr als 50 Treffer, nur einmal, in der Saison 1999/2000 waren es 63 Tore – und Platz drei. In allen diesen Spielzeiten stand dabei immer mindestens ein HSV-Stürmer auf dem Rasen. Und jetzt keiner mehr?

Es klingt einfach wie logisch: Wenn es immer so laufen würde wie auf Schalke, bräuchte der HSV keine „echten“ Angreifer mehr. Dann müsste der notorisch klamme Club jetzt auch keinen zusätzlichen Stürmer mehr verpflichten. Das Geld, das der HSV gar nicht hätte, wäre unnütz ausgegeben.

So hat sich Thorsten Fink mit seiner „neuen“ Taktik, die aus der Not heraus entstanden war, weil Rudnevs erkrankt ausfiel, selbst keinen Gefallen getan. Der HSV wurde zwar ob des Punktgewinns in Gelsenkirchen als Überraschungsteam gepriesen und für sein gutes Spiel von Freund und Feind gelobt, aber für die Verpflichtung eines weiteren Stürmers war das 3:3 eher kontraproduktiv.

Sehen wir Finks Notbehelf als Chance. Denn vielleicht schafft es der HSV ja auch in der näheren Zukunft einmal wieder, den einen oder anderen Stürmer aus den eigenen Reihen bis in die Bundesliga zu führen. So wie es zuletzt mit Son geklappt hat oder auch mit Beister. Nur müsste es davon noch viele Jungs mehr geben. Da wären dann vor allem die Scouts gefragt, die im Nachwuchsbereich Talente sichten.

Noch besser wäre es, wenn die jungen Spieler, die jetzt schon beim HSV sind, so emsig gefördert und gefordert werden, dass sie den Sprung nach ganz oben schaffen. Das Potenzial von Spielern wie Valmir Nafiu, Nils Brüning und zum Beispiel dem schnellen Josef Shirdel darf der Club einfach nicht links liegen lassen.

Sollte sich der HSV eines Tages auf die Ausbildung von jungen Stürmern spezialisieren, könnte er viel Geld sparen. Dann gäbe es stürmende Eigengewächse, die jederzeit von der Bank kommen könnten, wenn es einmal doch nicht ohne echte Spitze gehen sollte.