Nach KSC-Aufstieg, U19-EM-Qualifikation und U20-WM soll Neuzugang Hakan Calhanoglu auch noch die U19-EM spielen. Der HSV protestiert

Hamburg/Istanbul. Obwohl der letzte Arbeitstag Hakan Calhanoglus in Karlsruhe mehr als einen Monat her ist, erinnert man sich beim KSC noch gerne an den Tatendrang des nimmermüden HSV-Neuzugangs. Am beliebtesten ist dabei die Calhanoglu-Anekdote von der Aufstiegsfeier nach dem entscheidenden Punktgewinn gegen Hansa Rostock am vorletzten Spieltag. Gerade als die Stimmung auf den Höhepunkt zusteuerte, verabschiedete sich der noch nüchterne Deutschtürke bei seinen längst angeheiterten Mitspielern. Er wolle am nächsten Morgen mit der KSC-U19 den Klassenerhalt in der Bundesliga Süd/Südwest schaffen, entschuldigte er sich. Und tatsächlich erschien der 19-Jährige am nächsten Tag pünktlich um 9 Uhr beim Treffpunkt, legte im Spiel gegen Nürnberg den Siegtreffer zum überlebenswichtigen 1:0-Erfolg auf und hatte anschließend doppelten Grund zum Feiern: Aufstieg mit den Profis in die Zweite Liga und Klassenerhalt mit den Junioren – und das alles an einem Wochenende.

„Vom Kicken kann ich gar nicht genug bekommen“, sagt Calhanoglu, der seine Worte in diesen Tagen eindrucksvoll unter Beweis stellt: Kein anderer HSV-Profi ist in diesem Sommer so oft im Einsatz wie Hamburgs neuer Hoffnungsträger. EM-Qualifikation mit der türkischen U19, U20-WM in der Türkei und möglicherweise auch noch U19-EM-Endrunde in Litauen (20. Juli bis 1. August). Türkeis Trainer Feyyaz Ucar rechnet jedenfalls fest mit dem Einsatz des Dauerspielers, der im Anschluss an die U20-WM aber zunächst mit Trainer Thorsten Fink und Sportchef Oliver Kreuzer sprechen möchte. „Wir müssen aufpassen, dass Hakan nicht verheizt wird. Ich hoffe, dass wir eine Regelung finden“, sagt Fink, der auf ein Gespräch mit dem Verband setzt. „Wenn die Türkei auf ihr Recht besteht, haben wir keine Chance. Aber ich hoffe auf ein Einsehen im Sinne des Junges“, ergänzt Kreuzer, der sein Veto einlegen will.

Wirklich böse wäre Calhanoglu ihm nicht. „Natürlich bin ich auch ein bisschen traurig, weil ich nahezu die komplette Vorbereitung beim HSV verpasse“, sagt der Mittelfeld-Allrounder im Gespräch mit dem Abendblatt. Dabei macht sich der Youngster weniger um seinen körperlichen Zustand sorgen, als vielmehr um sein seelisches Wohlbefinden: „Ich will so schnell wie möglich meine neuen Kollegen kennenlernen. Ich bin ein Typ, der die Unterstützung der anderen braucht.“ In Karlsruhe habe er nur deswegen so erfolgreich gespielt, weil er so viele Freunde in der Mannschaft hatte, sich wie in einer echten Familie gefühlt habe: „Für mich sind Freundschaften außerhalb des Platzes auch auf dem Platz ganz wichtig.“

Um beim HSV einigermaßen auf dem Laufenden zu sein, schaut Calhanoglu auch im fernen Istanbul, wo er sich derzeit auf die Heim-WM mit der U20 vorbereitet, in jeder freien Minute auf sein Smartphone: „Ich habe mir auch schon die HSV-App runtergeladen“, sagt der gebürtige Mannheimer, der im Heimatland seines Vaters wie ein Popstar gefeiert wird: „Das Interesse der Leute und Medien ist schon ziemlich stark.“ Dabei hat sich der Deutschtürke noch gar nicht entschieden, ob er später für die türkische oder deutsche A-Nationalmannschaft spielen will.

Wie es in der fußballverrückten Türkei so zugeht, erlebt Calhanoglu, der mit dem U20 auf dem abgeschotteten Trainingsgelände von Besiktas Istanbul residiert, schon jetzt. Der tägliche Ablauf lässt nur wenig Raum für Freizeit: 9.30 Uhr Frühstück, 10.30Uhr Interviews, 11.30 Uhr Training, anschließend Mittagessen und Ruhepause. Um 17.30 Uhr steht erneut Training, Abendessen und zwischen 21 Uhr und 23 Uhr doch noch Freizeit auf dem Programm.

Der monotone Tagesablauf hat aber natürlich einen Grund: bei der Heim-WM wird von der Türkei nicht mehr und nicht weniger als der Titel erwartet. „Wir haben ein ziemlich starkes Team, gehören mit Spanien und Frankreich auf jeden Fall zu den Favoriten“, sagt Calhanoglu, der mit seinem Team bei dem am 21. Juni startenden Turnier in der Vorrunde zunächst auf El Salvador, Kolumbien und Australien trifft.

Selbstverständlich weiß auch Calhanoglu, dass die bedeutenden Turniere der Jugendnationalmannschaften längst zum Sprungbrett für die große Bühne des Fußballs geworden sind. „Bei U20-Weltmeisterschaften wurden schon Weltstars wie Messi oder Iniesta entdeckt. Da muss man heiß sein“, hatte der Nachwuchsstar bereits beim letzten Gespräch mit dem Abendblatt gesagt. Und obwohl es für den zukünftigen Hamburger bei der WM nicht darum geht, sich für einen neuen Verein zu empfehlen, will er trotzdem die Chance nutzen, nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. Denn wenn Calhanoglu, der von Adidas zum neuen Werbeaushängeschild des HSV aufgebaut werden soll, schon nahezu die komplette Vorbereitung verpasst, hofft er doch darauf, sich durch gute WM-Leistungen bei seinem neuen Club zu empfehlen.

Sollte der Türkei allerdings tatsächlich der Finaleinzug bei der WM gelingen, könnte Calhanoglu selbst bei einem EM-Verzicht frühestens zwei Wochen nach dem WM-Endspiel am 13. Juli nach Hamburg kommen. Muss das Talent tatsächlich auch bei der EM spielen, wäre er frühestens Mitte August zurück. Denn 14 Tage Zwangsurlaub hat Sportchef Kreuzer seinem Dauerspieler verordnet – Einspruch zwecklos.