Der HSV-Aufsichtsrat hat die Entlassung des Sportchefs beschlossen. Nachdem Andreas Rettig absagte, ist nun Jörg Schmadtke neuer Favorit auf den Posten

Hamburg. Viel wollte Manfred Ertel nicht sagen, als er um 00.03 Uhr in der Nacht zum Mittwoch als letzter HSV-Aufsichtsrat den Sitzungsraum "Shanghai" im Elysée-Hotel verließ. "Der Aufsichtsrat verkündet etwas, sobald es etwas zu verkünden gibt", sagte der erschöpft wirkende Ertel, der zuvor mit acht seiner Kollegen - Ronald Wulff und Christian Strauß waren entschuldigt - sechs Stunden lang über die Zukunft von Sportchef Frank Arnesen debattiert hatte. Was Ertel nicht sagen wollte, zu diesem Zeitpunkt aber längst beschlossene Sache war: Der Aufsichtsrat hatte sich in einer Abstimmung gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Arnesen ausgesprochen, was dem Dänen am Mittwochnachmittag nach seiner Rückkehr aus Neuruppin dann auch persönlich mitgeteilt wurde. Die Abschlussfahrt der Mannschaft nach Brandenburg war so auch Arnesens persönliches Finale beim HSV.

Nun gilt es lediglich noch die Modalitäten der Entlassung zu klären. Arnesen, der einen Vertrag bis Sommer 2014 besitzt, stehen noch 1,8 Millionen Euro für die kommende Saison zu. Zudem ist unklar, was mit den zahlreichen Mitarbeitern geschehen wird, die er vor zwei Jahren vom FC Chelsea mit nach Hamburg gebracht hatte. Auch Arnesens Vertrauter Lee Congerton, der den Dänen am Dienstag noch nach Neuruppin begleitet hatte, steht vor dem Aus.

Ertels zögerlicher Informationsfluss am Vorabend dürfte auch mit einem aus seiner Sicht unerfreulichen Telefonat mit Wunschkandidat Andreas Rettig zusammenhängen. Der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) hatte am späten Dienstag in einem persönlichen Gespräch abgesagt. Rettig soll vor einer öffentlichen Hängepartie in Hamburg zurückgeschreckt sein, weswegen er - auch aus Rücksicht auf seinen derzeitigen Arbeitgeber - die Reißleine zog. "Ich habe einen bis Ende 2015 laufenden Vertrag bei der DFL. Den werde ich erfüllen. Das habe ich auch Ligapräsident Dr. Rauball mitgeteilt", ließ Rettig am Mittwochmorgen per Pressemitteilung verkünden. Für den HSV-Aufsichtsrat und dessen Chef Ertel, der weitere Kandidatennamen nicht kommentieren wollte, geht die Suche nach Arnesens Nachfolger nun unter erschwerten Bedingungen weiter.

Beste Chancen werden nach der Rettig-Absage nun Jörg Schmadtke eingeräumt, dessen erfolgreiche Arbeit in Hannover einen Großteil des Aufsichtsrats beeindruckte. Schmadtke selbst hatte bereits vor der Sitzung am Dienstag die HSV-Anfrage gegenüber dem Abendblatt bestätigt und von "einer sehr interessanten Aufgabe" gesprochen. Auch die Gespräche mit Karlsruhes Oliver Kreuzer sollen weitergeführt werden. Mit HSV-Legende Felix Magath, der im Verein bereits als Spieler, Manager und Trainer tätig war, trafen sich mehrere Räte in Eigeninitiative am vergangenen Donnerstag. Ob der Europacup-Held von 1983, der exakt vor 30 Jahren mit seinem 1:0-Treffer im Finale gegen Juventus Turin für den größten Triumph der Vereinsgeschichte sorgte, im heterogenen Kontrollgremium nach seiner nicht unumstrittenen Arbeit bei Schalke 04 aber tatsächlich mehrheitsfähig ist, bleibt zumindest fraglich.

Nicht mehr fraglich ist dagegen das Ende der Amtszeit Arnesens, das sich bereits am Sonnabend vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen angedeutet hatte. Nachdem mehrere Kontrolleure angekündigt hatten, Arnesens Vertragsvorlage für eine Verlängerung mit Jaroslav Drobny abzulehnen, hatte der Vorstand kurzfristig zu einer Krisensitzung geladen (das Abendblatt berichtete). Zur Erinnerung: Arnesen hatte Ersatztorhüter Drobny für die Verlängerung seines auslaufenden Vertrags 960.000 Euro pro Jahr bis 2015 und einen gut dotierten Anschlussvertrag als Torwarttrainer im Nachwuchsbereich angeboten. Ein Großteil der Aufsichtsräte legte sein Veto ein, was sich auch nach den Sitzungen nicht ändern sollte.

"Wir werden die Vorlage, so wie sie jetzt ist, nicht absegnen", sagte Ertel, der Vereinschef Carl Jarchow zu Nachverhandlungen aufforderte. Damit war das Misstrauen des Elfergremiums in die Arbeit Arnesens endgültig zementiert. Noch nie in der Vereinsgeschichte war ein mehrheitliches Veto der Kontrolleure gegen eine Beschlussvorlage des Vorstands öffentlich geworden. Bei Mohamed Zidan, den der frühere Sportchef Dietmar Beiersdorfer 2007 für 6,5 Millionen Euro vom FSV Mainz 05 geholt hatte, war es mit einem Abstimmungsergebnis von 6:5 Stimmen für den Transfer schon mal knapp geworden. Auch bei der 13-Millionen-Euro-Verpflichtung Rafael van der Vaarts im vergangenen Sommer hatten sich drei Kontrolleure gegen den finanziellen Kraftakt ausgesprochen. Eine Mehrheit gegen eine Entscheidung des Sportchefs hatte es aber nie zuvor gegeben.

Dabei ist das Gezanke um die Vertragsverlängerung eines Ersatztorhüters natürlich nur die Spitze des Eisbergs. Längst hatte sich im Aufsichtsrat eine Opposition gegen Arnesen formiert, dem die Räte eine verfehlte Personalpolitik, ein fehlendes Nachwuchskonzept und vor allem eine noch immer nicht ausgearbeitete Vereinsphilosophie vorwarfen. Trotz großer Finanzprobleme durfte der 56-Jährige, der nun lediglich als bestverdienender Sportchef aller Zeiten in die Vereinsgeschichte eingeht, in den vergangenen beiden Jahren mehr als 37 Millionen Euro ausgeben (siehe Tabelle), ohne dabei eine Mannschaft mit europäischem Format zu entwickeln. Der frühere Chelsea-Manager schaffte es nicht, nach monatelangen Verhandlungen mit Toptalent Heung Min-Son zu verlängern. Auch die Vertragsverlängerungen von Dennis Diekmeier und Co-Trainer Frank Heinemann sind auf Eis gelegt. Und sogar unter seinen Vorstandskollegen hatte Arnesen seit dem vergangenen Sommer, als Joachim Hilke (bei der Verpflichtung van der Vaarts) und Carl Jarchow (bei der Verpflichtung Petr Jiraceks) die Verhandlungen und somit das Kerngeschäft ihres Kollegen übernahmen, einen schweren Stand.

Dass Arnesen aber auch eine ganze Reihe erfolgreicher Entscheidungen, wie zum Beispiel die Verpflichtungen von Nationaltorwart René Adler und Toptalent Hakan Calhanoglu, getroffen hatte, werden zumindest einige HSV-Fans dem Dänen nicht vergessen. Nachdem sich bereits eine Facebook-Initiative "Pro Frank Arnesen" gegründet hatte, wurde nach dem Veto des Aufsichtsrats gegen den Sportchef in sozialen Netzwerken zum Sternmarsch gegen die Entscheidung der Kontrolleure aufgerufen, der am kommenden Mittwoch stattfinden soll. Drei Tage zuvor will der Aufsichtsrat am Sonntagnachmittag im Stadion erneut tagen, um sich auf einen Nachfolger für Arnesen zu einigen. Spätestens dann soll auch etwas verkündet werden ...