Trainer Thorsten Fink hatte mangelnde Klasse im Kader moniert. Ex-Coach Willi Reimann analysiert die Schwachstellen beim HSV.

Hamburg. Trainer Thorsten Fink ist ein Optimist. Sagt er über sich selbst. Seit seiner Amtsübernahme im Oktober 2011 setzte er alles daran, seine Mannschaft vor Kritik und zu großer Erwartungshaltung zu schützen. Nach dem neuerlich verpassten Sprung auf die internationalen Plätze scheint aber auch seine Geduld erschöpft. "Es ist am Ende auch eine Frage der Qualität", gestand Fink nach dem 1:4 auf Schalke ein. Für ganz vorn reiche es mit diesem Kader nicht. So sieht es auch der ehemalige HSV-Trainer Willi Reimann (1987-1990). In seiner aktiven Karriere gewann der Stürmer 1977 mit dem HSV den Europapokal der Pokalsieger, 1979 die deutsche Meisterschaft.

Die Torhüter: Die einzige Position im Kader, bei der es offenkundig keiner Nachbesserung bedarf. René Adler ist bei europäischen Topclubs auf dem Zettel - und er hält entsprechend. Zuletzt bewahrte er den HSV auf Schalke vor einer noch höheren Niederlage. Jaroslav Drobny hat seine Qualität als Vertreter bereits bewiesen. Dennoch wundert sich Reimann: "Bei unserer Nummer drei, die Sven Neuhaus mit seinen 34 Lenzen besetzt, frage ich mich, warum der HSV hier nichts aus dem eigenen Nachwuchs hat. Gibt es kein Talent beim HSV, das diese Rolle einnehmen kann? Hier könnte man sicher ein paar Euro für andere Positionen sparen."

Die Abwehr: Marcell Jansen hat sich als Linksverteidiger wieder in die Nationalelf gespielt, spielt konstant. Dennis Diekmeier ebenso. "Außen geht es. Jansen macht das gut, Diekmeier funktioniert, wenn er geführt wird", befindet Reimann, dem ein echter Abwehrchef fehlt. "In der Innenverteidigung hat der HSV sein größtes Manko. Die bereitet nur noch den Gegnern Freude. Hier fehlt Führung, hier fehlt fußballerisch Qualität. Heiko Westermann und seine wechselnden Nebenleute produzieren zu viele Fehlpässe und sorgen für Gefahr vor dem eigenen Tor." Auch deshalb ist der HSV bereits um Verstärkungen bemüht. Zuletzt gab es Gerüchte um Dortmunds Felipe Santana. Reimann: "Hier muss viel passieren. Ansonsten bleibt es die Achillesferse."

Das Mittelfeld: Rafael van der Vaart wurde als Führungsspieler verpflichtet. Zuletzt wurde diese Rolle von Fink mit der Beförderung van der Vaarts zum Kapitän noch mal unterstrichen. Und obwohl der Niederländer selbst nicht vollends zu überzeugen wusste, sieht Reimann in ihm den einzigen Mittelfeldspieler, der internationalen Maßstäben genügt. "Aber um ihn herum sehe ich weit und breit nichts", so Reimann. "Da wird viel gewechselt, alle spielen mal gut - und dann wieder nicht." Selbst ein Milan Badelj in guter Verfassung reiche nicht. "Badelj ist ein guter Arbeiter, das war es. Er hat zu wenig offensive Kreativität und ist nicht torgefährlich. Er läuft viel - aber langsam. Er kann nur defensiv ein wichtiger Faktor werden." Den offensiven Part müsse der HSV neu besetzen - oder auf einen Leistungsschub bei Tolgay Arslan hoffen. "Arslan hat großes Entwicklungspotenzial", lobt Reimann, "aber nur in einer intakten Mannschaft. In dieser Mannschaft ist die Gefahr groß, dass er sich verliert." Reimanns Schluss: "Entweder die Verantwortlichen setzen auf die Entwicklung des vorhandenen Spielermaterials und gehen Risiko - oder es wird deutlich nachgebessert. Denn selbst die zweifellos bessere, linke Seite, reicht so nicht. Da sollte Aogo wieder hin, den erkenne ich zentral gar nicht wieder."

Der Angriff: Hier ist der Fall für Reimann klar: "Drei Stürmer sind zu wenig. Zumal Marcus Berg seine Eignung noch nicht beweisen konnte. Und ein Artjoms Rudnevs ist sicher ein toller Profi, der fußballerisch nicht immer dabei ist, der aber trifft. Auch ein Heung Min Son hat sehr viel Potenzial. Der trifft, der spielt auch mal überragend - aber dann taucht er auch wieder drei Wochen ab. Sollte er zu halten sein, muss es der Verein versuchen. Sollte es viel Geld für ihn geben, muss aber auch überlegt werden, ob er nicht zu ersetzen wäre und das Geld für die anderen mindestens vier, fünf Verbesserungen gebraucht wird."

Reimanns Fazit: "So gern ich mich irren würde, mehr als Platz acht ist leider nicht drin. Auch wenn der HSV die Chance immer wieder geschenkt bekommt." Reimanns sieht vor allem Sportchef Frank Arnesen in der Verantwortung: "Er muss in seiner Position die nötigen Verbindungen haben, bei dem viel zu großen Kader Quantität gegen Qualität zu tauschen. Denn die fehlt leider auf zu vielen Positionen."

Dennis Diekmeier wird von Hannover 96 umworben. "Ich habe davon gehört", so der Rechtsverteidiger, den der HSV gern länger binden würde und dessen Berater gerade die Gespräche mit dem HSV aufgenommen hat. "Aber für mich zählt nur der HSV. Ich kann mir sehr gut vorstellen, hier zu verlängern", sagt Diekmeier, dessen Vertrag 2014 ausläuft.