Der HSV-Trainer hält Badelj für einen überragenden Techniker. Spielern wie Tesche will er einen Wechsel in der Winterpause nahelegen.

Porto Alegre. Der Ort hätte nicht passender gewählt sein können. Im Park der Harmonie, im Zentrum Porto Alegres, liegt das Galpão Crioulo, ein touristisch angehauchtes Steakhaus, in dem man nicht nur alle erdenklichen Fleischsorten an Spießen serviert bekommt, sondern auch reichlich Folklore der "Gauchos", wie die Nachkommen von Indios und iberischen Einwanderern sowie die Bewohner des Bundesstaates Rio Grande do Sul genannt werden.

Zum Abschluss der Brasilien-Reise hatte der HSV am Sonntagabend diesen kulinarisch-kulturellen Ausflug organisiert. Und vor allem Tomas Rincon sollte auf seine Kosten kommen. Nachdem erst die Musikkapelle gespielt hatte und die sechs Tänzerinnen und Tänzer ihre gekonnten Drehungen vollführt hatten, begann die "Show de boleadeiras", bei der ein Mann an langen Seilen befestigte Bälle kunstvoll durch die Luft fliegen lässt. Der auf die Bühne geholte Rincon musste unter dem Beifall der Kollegen als Opfer dienen und ließ sich von den umhersausenden Bällen den Scheitel kämmen. Niemand fehlte, obwohl Reise-Organisator Nicolas MacGowan noch sechs VIP-Tickets für ein Madonna-Konzert organisiert hatte.

Boleadeiras statt Madonna - spätestens hier wurde deutlich, dass die durchaus stressige, aber einträgliche Brasilien-Reise (825.000 Euro Gewinn) auch den positiven Nebeneffekt einer teambildenden Maßnahme erfüllte und womöglich wertvoller ist als eine Einheit vor dem abschließenden Hinrundenspiel in Leverkusen. Die These, dass beim HSV immer mehr etwas zusammenwächst, gewissermaßen ein Haufen HSV-Gauchos, hatten die Spieler in etlichen Bundesligapartien dieser Saison gestützt, besonders in den jüngsten Spielen ohne den verletzten Rafael van der Vaart.

"In den vergangenen Wochen hat sich einiges entwickelt", bestätigt Thorsten Fink. Der Trainer saß vor dem Rückflug nach Hamburg am Montagmittag in der Lobby des Hotels Deville und freute sich, dass die Mannschaft auch ohne ihren niederländischen Leader beweisen konnte, dass sie funktioniert - indem sie zusammenrückte.

Dass der HSV nach dem missratenen Start in die Saison bereits 24 Punkte auf der Habenseite sammeln konnte, sei nicht zu erwarten gewesen, so Fink, der aber nicht in die Falle tappt, nun die Saisonziele zu korrigieren, weil der Kontakt zu den Europacup-Plätzen wieder hergestellt ist. "Wir haben sicher die Chance, solch einen Platz zu erreichen, aber wir würden das nicht als Ziel ausgeben", betont der HSV-Coach. Was zählt, sei, sich zwölf Punkte vom Relegationsplatz 16 abgesetzt zu haben: "Ein gesicherter Mittelfeldplatz bleibt das Ziel." Die Botschaft von Finks Worten ist aber eindeutig: Sollten Konkurrenten wie Bremen, Hannover, Mainz oder Freiburg schwächeln, wird sich der HSV gern nach oben schleichen.

Viel wichtiger als die Momentaufnahme der Tabelle nach dem 16. Spieltag ist Fink die Leistungssteigerung vieler seiner Spieler. Ob bei Tolgay Arslan, Maximilian Beister, Michael Mancienne, Heung Min Son, Dennis Diekmeier, Zhi Gin Lam, Artjoms Rudnevs - stets fällt bei seinen Bewertungen das Wort "Entwicklung". Von Milan Badelj, auch erst 23, ganz zu schweigen: "Bei ihm hat man uns schon vor seiner Verpflichtung gewarnt, dass er nicht lange bei uns sein wird. Technisch ist er einfach eine Bombe." Und weiter geht es: "Dennis Aogo ist im Mittelfeld nicht mehr wegzudenken, und auch ein Per Skjelbred hat seine Chance genutzt. Und er ist ein Teamplayer. Ich liebe Teamplayer."

Fink hat in seinem ersten Jahr allerdings registriert, wie anfällig und brüchig das Vertrauen in dieses Team noch ist. Nach dem schlimmen Düsseldorf-Spiel (0:2) musste er sich Fragen gefallen lassen, wie es um die Weiterentwicklung seiner Spieler bestellt sei, die zuvor noch gerühmt worden war - und zuletzt wieder zum Vorschein kam. "Wir haben sechsmal zu null gespielt, die Abwehr hat sich stabilisiert", sagt der Trainer nicht ohne Stolz, aber konstante Höchstleistungen dürfe man eben von seinen Spielern auch noch nicht einfordern, auch wenn noch einiges von der Mannschaft mit ihrem Potenzial zu erwarten sei. "Die Balance muss besser werden, aber so etwas wächst auch. Wenn ich zurückdenke: Vor gut einem Jahr war beim HSV noch alles negativ, als ich anfing."

Sich selbst bezieht Fink bei seiner Analyse nach 14-monatiger Amtszeit ausdrücklich mit ein. "Auch ein Trainer entwickelt sich mit dem Team", so der 45-Jährige, der glaubt, mit dem neuen System (4-4-2 mit Raute im Mittelfeld) die richtige Formation für diese Mannschaft gefunden zu haben. "Auch nach der Rückkehr von van der Vaart werden wir bei diesem System bleiben."

Zu seinen Aufgaben zählt es Fink aber offenbar auch, seinen Spielern ehrlich ihre Perspektive aufzuzeigen. So kündigte er in Brasilien an, Gespräche mit Ivo Ilicevic und Robert Tesche zu führen. Dem Kroaten muss Fink erklären, warum er nach seiner Verletzung zunächst nicht mehr erste Wahl ist, für Tesche sei es wichtig, ihm seine Situation zu erläutern. Logisch: Er wird ihm einen Wechsel in der Winterpause nahelegen, genau wie Slobodan Rajkovic und Jaroslav Drobny.

Klingt alles fast schon wie ein Hinrundenfazit. Doch Fink ist weit entfernt davon, das letzte Spiel in Leverkusen am Sonnabend (15.30 Uhr) als chancenlos einzustufen. "Wir wollen Bayer ärgern und frech aufspielen, auch wenn wir Außenseiter sind", kündigt er an. Wohlwissend, dass der "Gaucho-Geist" die Reisestrapazen und die reduzierte Vorbereitung auf das Bundesligaspiel durchaus kompensieren könnte.