Die Fanbeauftragten des HSV über das Sicherheitskonzept der DFL, Pyrotechnik und die wachsende Zahl weiblicher Fußballanhänger.

Hamburg. Was wird aus dem Fußball-Fan im modernen Fußball? Nimmt die Gewalt immer mehr zu? Wie löst man das Problem der Pyrotechnik? Fragen über Fragen, die aktuell die Vereine und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) beschäftigen. Nachdem das Konzeptpapier "Sicheres Stadionerlebnis" in der Liga sehr kontrovers diskutiert wurde, stellte die DFL gestern klar, dass "keine statuarischen Vorgaben für sogenannte Vollkontrollen" (wie beim Spiel des FC Bayern gegen Frankfurt, wo ausgewählte Fans in eigens aufgebauten Zelten besonders intensiv kontrolliert wurden) geplant seien. Zudem werde der Dialog mit Fanorganisationen gesucht. Das Abendblatt sprach mit den HSV-Fanbeauftragten Joachim Ranau (Leitung), Nicole Fister und Thorsten Eikmeier.

Hamburger Abendblatt: Wissen Sie immer vorher, ob es ein Feuerwerk gibt?

Joachim Ranau: Wir haben keine Ahnung. Die Leute wissen, dass sie uns in die Bredouille bringen, wenn wir das erfahren. Pyrotechnik ist verboten, da können wir nicht wegschauen, schließlich erhält der HSV dafür empfindliche Geldstrafen. Aber es ist bundesweit damit zu rechnen, dass trotz des wiederholten Verbots wieder gezündelt wird.

Die Fans schaden damit doch dem Verein, der ihnen so wichtig ist.

Thorsten Eikmeier: Für sie ist das ein Teil ihrer Kultur, diese Fans wollen sich damit nicht erpressen lassen. Einige argumentieren, dass diese Strafen Peanuts im Vergleich dazu sind, was Vereine durch Fans verdienen.

Ranau: Pyrotechnik ist aber nur ein Teilbereich in der aktuellen Debatte, wenn auch ein für die Ultras wichtiger. Im von der DFL vorgelegten Konzeptpapier "Sicheres Stadionerlebnis" sind Bereiche berührt, die Interessen, Bedürfnisse und die Freiheit von Fans einschränken. Das ist nicht im Dialog geschehen, das muss nachgeholt werden.

Was ist das Hauptproblem?

Ranau: Offensichtlich herrscht ein enormes Misstrauen. Die Vereine und Verbände scheinen, folgt man diesem Papier, zumindest Teilen ihrer Fans zu misstrauen. So wird von zusätzlichen Kontrollen mit Gesichtsscannern gesprochen. Umgekehrt haben viele Fans das Gefühl, die Vereine entfernen sich von ihnen und drängen kritische Geister heraus.

Viele Klubs, auch der HSV, lehnen das erste Konzept der DFL ab. Warum?

Ranau: Szenarien wie das Abschaffen von Stehplätzen sind sehr zweifelhaft. In Italien hat man gesehen, dass dies keine positiven Auswirkungen auf die Sicherheit hatte. Im Gegenteil, hin und wieder wurden Sitzschalen als Wurfgeschosse genutzt. Die Frage ist auch, was man mit Stadionverboten von fünf, acht oder zehn Jahren bezwecken will. Mal abgesehen davon, dass es schwierig ist, das durchzusetzen, hat sich ja gezeigt, dass die Fans trotzdem kommen, um ihr Team zu unterstützen.

Grundlage der ganzen Diskussion ist ja, dass die Gewalt zugenommen hat.

Eikmeier: Ich kann mich nicht erinnern, dass in der Westkurve besonders viele Familien gestanden haben. Es ist heute deutlich entspannter und angenehmer.

Ranau: Niemand misst Gewalt. Es gibt nur polizeiliche Kriminalstatistiken. Selbst da sagt die Polizei, dass es in Hamburg keinen relevanten Anstieg gegeben hat. Man kann also nicht sagen, dass es im Vergleich zu den 90ern schlimmer geworden ist ...

Nicole Fister: ... aber es wird viel medialer präsentiert. Früher passierte viel im Dunkeln. Heute wird ein Platzsturm in Düsseldorf, der ja ein Freudensturm war, öffentlich auseinandergenommen, es wird zu wenig differenziert.

Aber es gibt auch die Dresdner Fans, die in Hannover Krawall machen.

Fister: Stimmt. So etwas macht leider jegliche Diskussionsgrundlage kaputt.

Eikmeier: Wobei es häufig zu Vermischungen kommt. Ich saß im Auto und hörte im Radio, dass das Spiel überschattet sei von Randalen, damit war aber Pyro gemeint. Jedes Mal, wenn eine Fackel angeht, spricht man von Auseinandersetzungen. Das führt zum Empfinden: Die Gewalt nimmt zu.

Ranau: Es wird ja in diesem Zusammenhang ein Fankodex gefordert. Man liegt gar nicht weit auseinander. Bis auf einen ganz kleinen Bruchteil lehnen alle Fans körperliche Gewalt ab, Rassismus und Rechtsradikalismus betrifft auch nur eine kleine Minderheit. Wegen der unterschiedlichen Auffassungen über Pyrotechnik ist die Situation prekär, weil die erschwert, sich über elementare Dinge zu verständigen.

In der Diskussion geht es meistens nur um eine kleine Gruppe der Fans. Wird nicht dieser Teil überbewertet, muss man nicht die 80, 90 Prozent beschützen?

Eikmeier: Wir sagen in Diskussionen mit Ultras oft: Vergesst nicht, dass ihr nur ein kleiner Prozentsatz seid. Aber man darf auch nicht vernachlässigen, dass sie als Speerspitze der Fans auch die Meinungsmacher der Kurve sind.

Ranau: Für mich ist jeder ein Fan, ob im VIP-Bereich oder auf dem Stehplatz. Aber diese Fans inszenieren das Ereignis mit und schaffen so Mehrwert.

Zurück zum Gewalt-Thema. Ist Gewalt nur was für Männer?

Fister: Das ist wirklich ein Männerphänomen. Einige Fans legen bei Auswärtsfahrten mit zunehmendem Alkohol- oder Drogenkonsum einen Schalter um und sind nicht mehr Herr ihrer selbst. Aber Männer mussten auch vor vielen Jahren zeigen, wer der Stärkere ist.

Trotzdem hat der Anteil an weiblichen Fans stark zugenommen.

Ranau: Ungefähr 25, 30 Prozent stehen auf der Tribüne, steigende Tendenz. Ganz sicher hat das auch mit den Neubauten zu tun, mit der gestiegenen Qualität des Ereignisses.

Eikmeier (lacht): Wo hätte man auch in der alten Westkurve zur Toilette gehen können?

Fister: Auffällig viele Frauen fühlten sich durch die WM 2006 in Deutschland angezogen. Sicher engagieren sich einige aktiv, eine ganze Menge ist aber aufgrund des Events da ...

Eikmeier: ... das gilt auch für Männer.

Was haben die Frauen verändert?

Eikmeier: Viele haben vermutet, dass Frauen in Fangruppen eher beruhigend oder besänftigend wirken. Es zeigte sich aber, dass sich nicht groß was verändert. Manchmal haben sie es schwerer, sich durchzusetzen und sich Respekt zu verschaffen. Bei einigen Jungs gibt es noch die Denke: Die Mädels kommen hierher und wollen ein paar coole Jungs kennenlernen. Und in zwei Jahren sind die wieder weg. Es dauert länger, bis anerkannt wird, dass sie hinter der Sache stehen und ernst zu nehmen sind.

Fister: Bei Polizei und Ordnungsdienst wird kein Unterschied gemacht.

Unabhängig vom Geschlecht wird Fußball immer teurer. Bei den Fans ist der Deal mit Viagogo ein großes Thema. Viagogo will Tickets für Top-Spiele mit hohen Aufschlägen anbieten.

Ranau: Die Kritik am Viagogo-Deal ist im Verein angekommen. Man setzt sich vereinsintern auch mit den Argumenten, die dagegensprechen, auseinander. Es ist unsere Aufgabe, diese zu sammeln und weiterzutragen. Wir müssen aber auch schauen, dass die Diskussion in beiden Richtungen ankommt, und den Leuten sagen: Der HSV befindet sich in finanziell schweren Zeiten, es geht darum, fehlende Etatmittel auszugleichen. Habt also Verständnis, dass sich der HSV nach Partnern umschaut. Dass der Vorstand Spruchbänder gegen Viagogo zulässt, empfinde ich übrigens als positiv, als souveräne Gelassenheit.

Ist das nicht ein Beleg dafür, dass die Fußball-Kultur in Gefahr ist?

Ranau: So lange wir aktive, kritische und reflektierte Fanszenen haben, die genau hinschauen, wie die Entwicklung in anderen Ländern verläuft, mache ich mir keine großen Sorgen.

Eikmeier: Wir haben häufiger Gäste aus England, die mit Tränen in den Augen im Stadion stehen. Wir müssen aufpassen, dass es so bleibt.