Vor dem Nord-Süd-Schlager analysiert Sport1-Experte Thomas Helmer die Chancen des HSV gegen Bayern. Entscheidend wird die Defensive.

Hamburg. Die letzte Einheit des Tages erfreute sich bei den HSV-Profis gestern Abend gleich aus zwei Gründen großer Beliebtheit. Zum einen war das Training freiwillig und zum anderen brauchte niemand die Wohnzimmercouch verlassen. Ab 20.30 Uhr stand gestern bei nahezu allen Profis TV-Studium auf dem Plan. Im Programm: das Pokalspiel zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Bayern München, dem nächsten Gegner am Sonnabend (18.30 Uhr/Sky) im eigenen Stadion. "Natürlich gucke ich mir das Spiel an. Aber ganz unabhängig vom Pokalspiel wüsste ich nicht, warum wir vor den Bayern Angst haben sollen", sagte Heung Min Son bereits vor dem Auftritt der Bayern gegen Lautern, "wir haben ja nichts zu verlieren."

Trotz des lobenswerten Selbstbewusstseins war René Adler mit der Einstellung seines jungen Kollegen nicht zu hundert Prozent zufrieden. "Wie kann man behaupten, dass wir nichts zu verlieren haben?", fragte Adler, der sich bereits die 1:2-Niederlage der Bayern am Sonntag gegen Leverkusen im Fernsehen angeschaut hatte, "auch wir haben drei Punkte zu verlieren."

Sport1-Experte Thomas Helmer, der sich den 95. Nord-Süd-Schlager natürlich nicht entgehen lassen wird, ist vom neuen Hamburger Selbstbewusstsein begeistert, mahnt aber: "Wie stabil der HSV in dieser Saison tatsächlich schon ist, wird sich in so einer Partie gegen die Bayern erst noch zeigen." Für das Abendblatt analysierte der frühere Münchner, der seit Jahren in Hamburg wohnt, beide Mannschaften. "Es ist wenig überraschend, dass für mich natürlich Bayern der große Favorit ist. Aber wenn alle Hamburger ähnlich über sich hinauswachsen wie beim 3:2-Sieg gegen Borussia Dortmund, dann kann es knapper werden, als manch ein Münchner vielleicht glauben mag."

Entscheidend wird aus Helmers Sicht die Defensivarbeit der gesamten HSV-Mannschaft sein. Die Überlegung Thorsten Finks, mit dem Helmer noch zwei Jahre lang zusammen beim FC Bayern gespielt hat, mit Tomas Rincon einen klassischen Zerstörer im Mittelfeld aufzustellen und Tolgay Arslan für den defensiv etwas schwächeren Maximilian Beister links spielen zu lassen, kann der Wahl-Eppendorfer bestens nachvollziehen. "Rincon ist ein Spieler, der in jeder Situation defensiv denkt. So einen Typen braucht man gegen die Bayern." Mindestens genauso wichtig sei es aber, auf den Flügeln zu doppeln. Besonders Franck Ribéry, der gestern Abend geschont wurde, sei in dieser Saison herausragend. "Ribéry ist ein geiler Spieler", sagt auch Son, der gemeinsam mit Dennis Diekmeier den Franzosen ausschalten soll: "Ich bin in der Offensive derzeit ganz gut drauf, aber gegen die Bayern muss ich eben etwas defensiver spielen und denken als sonst."

Neben Ribéry warnt Helmer explizit auch vor Stürmer Mario Mandzukic. Besonders wichtig sei es, möglichst schon die Passwege auf den formstarken Kroaten zuzustellen. "Wir werden nicht jedes Anspiel verhindern können", sagt Kapitän Heiko Westermann, der vor Mandzukic großen Respekt hat: "Derzeit ist kein Bundesligastürmer so komplett wie er. Von der Form her ist Mario der Beste."

Und obwohl der HSV gegen den Ligaprimus nur Außenseiterchancen hat, sollte sich die Mannschaft laut Helmer auch auf ihre eigenen Stärken besinnen. "Der HSV tut sich leichter gegen spielstarke Gegner wie zum Beispiel Dortmund", sagt der 47-Jährige, der besonders Rafael van der Vaart in die Pflicht nimmt. "Das wird mal wieder so ein richtiges Van-der-Vaart-Spiel werden. Die Bayern werden keinen Sonderbewacher für ihn abstellen, das muss er ausnutzen." Beim 2:0-Sieg gegen Augsburg habe der Niederländer ja bereits bewiesen, dass er selbst an einem nicht so starken Tag für einen Geistesblitz immer gut ist.

Gespannt ist Helmer aber auch auf den Auftritt von van der Vaarts Mittelfeldpartner Milan Badelj, der dem Spiel der Hamburger eine zusätzliche Qualität beschere. "Seitdem die beiden dabei sind, ist es eine ganz andere Mannschaft", sagt Helmer, der in dieser Saison vom HSV aber keine Wunder mehr erwartet. "Realistisch erreicht der HSV einen gesicherten Mittelfeldplatz zwischen Rang sieben und Platz zwölf. Besser werden die Hamburger wohl leider nicht abschneiden."

Dem Experten will auch sein früherer Mannschaftskollege nicht widersprechen. "Wir sind auf dem siebten Platz. Das ist die Qualität, die wir momentan zu bieten haben", sagt Trainer Fink, der zugunsten der Wohnzimmereinheit gestern ebenfalls auf einen Blitzbesuch in München verzichtete.