Der HSV will Dortmunds Serie von 31 Spielen ohne Niederlage beenden. Auf dem Spiel steht ein Hamburger Uralt-Rekord.

Hamburg. An den 16. Januar 1982 kann sich Heung-Min Son nicht mehr erinnern. Und obwohl es ein historisches Datum der HSV-Geschichte ist, hat der 20 Jahre alte Südkoreaner für seine Wissenslücke eine plausible Erklärung: Er war noch nicht geboren. Dass der HSV aber an jenem kalten Wintertag vor 30 Jahren den Grundstein einer bislang unübertroffenen Rekordserie legte, ist auch dem Hamburger Offensiv-Allrounder im Hier und Jetzt nicht entgangen. "Das waren schon richtig viele Spiele, das kann man eigentlich gar nicht so wirklich glauben", sagt Son, den der Hamburger Uralt-Rekord auch heute noch beeindruckt. 36 Spiele in Folge sollte der HSV damals nicht mehr verlieren, über ein Jahr blieben die Hamburger ungeschlagen. Es war einer dieser Rekorde für die Ewigkeit - oder eben auch nicht.

Ausgerechnet die Mannschaft von Borussia Dortmund, die an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) zum Gastspiel im Volkspark antritt, hat nach 31 ungeschlagenen Partien in Folge den mutmaßlichen Rekord für die Ewigkeit fest im Blick. "Wir wollen diesen Rekord unbedingt holen", kündigte Nationalspieler Marcel Schmelzer vor Spiel Nummer 32 selbstbewusst an. Die weiteren Stolpersteine auf dem Weg zu Dortmunds Bestmarke: Eintracht Frankfurt (Spiel Nummer 33), Borussia Mönchengladbach (34), Hannover 96 (35) und Schalke 04 (36). Bleibt die Borussia tatsächlich bis nach dem Revierderby ungeschlagen, könnte sie im Spiel 37 gegen den SC Freiburg am 27. Oktober Geschichte schreiben - und den HSV um ein bislang einmaliges Kapitel der Klubhistorie bringen.

Glaubt man aber Thorsten Fink, kurioserweise ein gebürtiger Dortmunder, können sich die Borussen den verheißungsvollen Blick in die nähere Zukunft sparen. "Der BVB ist mal dran, ein Spiel zu verlieren", sagt der HSV-Trainer, dessen Eltern und Geschwister noch immer in Dortmund leben. Wie viel Dortmund noch in ihm stecke? "Sehr viel", antwortet der im Stadtteil Marten aufgewachsene Ex-Borusse, "ich habe immerhin 25 Jahre in Dortmund gelebt." Gewinnen wolle er das Spiel gegen seine alte Liebe aber trotzdem - und dass seine bislang punktlose Mannschaft dazu auch das Zeug hat, daran zweifelt er keine Sekunde: "Ich stelle meine Spieler so ein, dass sie auch den Meister schlagen können."

An Selbstbewusstsein hat es Fink noch nie gemangelt, doch wie besiegt man die Unbesiegbaren? "Es ist verdammt schwer, gegen diese Borussia erfolgreich zu sein, weil sie sowohl das Spiel machen als auch exzellent kontern kann", sagt Thomas von Heesen, der bei Hamburgs Rekordserie vor 30 Jahren als Spieler dabei war. "Es gab in der Vergangenheit immer wieder Mannschaften, die eine Generation geprägt haben", sagt von Heesen, "wir haben das Anfang der 80er geschafft, der AC Mailand hat auch mal mehr als 40 Spiele in Folge nicht verloren. Und nun setzt eben Borussia Dortmund Maßstäbe im modernen Fußball."

Das weiß natürlich auch von Heesens Trainerkollege Fink, der auf das Prinzip "Angriff ist die beste Verteidigung" setzt. So will der 44-Jährige aus der Not, dass mit Petr Jiracek (gesperrt), Tomas Rincon und Gojko Kacar (beide im Aufbautraining) gleich drei defensive Mittelfeldspieler ausfallen, eine Tugend machen. Im zentralen Mittelfeld setzt Hamburgs Coach mit Rafael van der Vaart, Tolgay Arslan und Milan Badelj gleich auf drei Offensivkräfte, die sich Dortmunds Ballzauberern um Mario Götze, Marco Reus und Jacub Blaszczykowski entgegenstellen sollen. "Das ist im zentralen Mittelfeld eine gute Lösung", sagt Fink, dessen Mannschaft im Zeitraum von Dortmunds Superserie insgesamt zwölfmal verlor.

Kaum zu glaubende fünf Monate ist Hamburgs letzter Pflichtspielsieg bereits her, an den sich Son aber sehr viel besser als an den 30 Jahre alten Uralt-Rekord erinnern kann. 1:0 gewann der HSV am 14. April gegen Hannover 96. Der damalige Torschütze: Son. "Leider ist auch dieser Sieg viel zu lange her", sagt der damalige Matchwinner, "aber für mich war der Erfolg einer der schönsten Momente meiner HSV-Karriere." Zu toppen wäre dieser wohl nur mit dem entscheidenden Tor gegen die Dortmunder Serientäter.

Unter besonderer Beobachtung dürfte aber weniger der HSV-Youngster als vielmehr Rückkehrer van der Vaart stehen. Für den Niederländer ist das Spiel gegen den Doublesieger der vergangenen Saison der erste Auftritt im eigenen Stadion nach seinem Comeback. "Rafael ist eine Bombe", schwärmt Son, "er ist ein Riesenspieler, von dem ich noch viel lernen kann." Zum Beispiel, wie man die Unbesiegbaren besiegt. So dürfte sich van der Vaart an kaum einen Gegner in der Bundesliga so gern zurückerinnern wie an die Borussia. Vor seinem Wechsel zu Real Madrid konnte er seine letzten drei HSV-Duelle gegen den BVB allesamt gewinnen, der HSV blieb ohne Gegentor, und van der Vaart selbst trug sich gleich zweimal in die Torschützenliste ein.

Ob der HSV aber bei van der Vaarts Heimdebüt erneut ohne Gegentor bleiben kann, scheint nach dem Abschlusstraining am Freitag fraglich. Denn nachdem der Ausfall von Innenverteidiger Jeffrey Bruma (Kniereizung) schon vor dem Geheimtraining klar war, musste Fink während des Trainings den nächsten Ausfall verkraften. Zhi Gin Lam, der beim Abschlussspielchen als linker Verteidiger das Leibchen der Stammspieler überstreifen durfte, musste kurz vor Ende der Einheit mit Oberschenkelproblemen vom Platz humpeln. Sein Einsatz an diesem Sonnabend ist ausgeschlossen, für ihn rückt Mittelfeldmann Marcell Jansen eine Position weiter nach hinten.

"Was gibt es Schöneres, als gegen den deutschen Meister zu spielen?", fragt Fink, der sich von etwaigen Personalsorgen genauso wenig entmutigen lassen will wie von einer drohenden Trainerdiskussion. "Ich habe eine Strategie", sagt der Wahl-Hamburger, für den Dortmund immer noch eine "echte Superstadt" ist. Eine Superstadt, die fußballerisch viel zu bieten hat - nur keinen Rekord für die Ewigkeit.