Zwei Wochen vor dem Ligastart gerät der HSV-Sportchef zunehmend unter Druck. Karlsruhes Calhanoglu könnte schon im Winter kommen.

Palma. Frank Arnesen dementiert umgehend. "Nein, nein, wir haben uns nicht abgesprochen", sagt der Sportchef, als er am späten Sonnabend gefragt wurde, ob es beim HSV einen neuen Dresscode gebe. Es sei nur Zufall, versicherte der Däne, dass Trainer Thorsten Fink und Marketingdirektor Nicholas MacGowan, Mediendirektor Jörn Wolf, und er selbst in taubenblauen Shirts ins Estadio Iberostar von Palma zum Saisoneröffnungsspiel vom RCD Mallorca gegen den HSV gekommen seien. Modisch, da dürfte es nach dem zweitägigen Kurztrip auf die Lieblingsinsel der Deutschen keine zwei Meinungen geben, scheinen die Verantwortlichen des HSV jedenfalls die Zeichen der Zeit erkannt zu haben.

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Sportlich bestehen da eine Woche vor dem Pokalspiel gegen den Karlsruher SC sehr viel größere Zweifel - trotz des verdienten Sieges auf Mallorca (siehe unten). So hat Arnesen die aufkommende Ungeduld in Bezug auf die noch immer fehlenden Offensivverstärkungen im Umfeld des Vereins registriert, teilen will er sie nicht. "Wir werden keinen neuen Zehner verpflichten, nur um einen neuen Zehner zu verpflichten", sagt der Skandinavier fast schon trotzig, es müsse schon alles passen: "Wenn wir keinen mehr bekommen, dann bekommen wir eben keinen."

Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit. Arnesen weiß ganz genau, dass er kaum mit Tolgay Arslan und Robert Tesche als einzige Alternativen im offensiv-zentralen Mittelfeld in die Saison starten kann. Den Aufsichtsräten, die alle Ausgaben über 500 000 Euro absegnen müssen, hat er bereits signalisiert, dass es in den kommenden Tagen schnell gehen könne. Mit zwei Kandidaten sei er sich so gut wie einig, es fehlen bis zur Vollzugsmeldung jeweils nur noch Kleinigkeiten. Und trotzdem wirkte Arnesen trotz Traumwetters auf Mallorca unzufrieden, reizbar und sogar enttäuscht. "Wir wissen genau, was wir noch brauchen", sagt er. Die ständig wachsende Unruhe bei seinem Arbeitgeber nervt den Sportchef sehr.

Ziemlich genau ein Jahr nach seiner Verpflichtung spürt Arnesen, wie argwöhnisch seine Arbeit nach der schlechtesten Saison der Vereinsgeschichte betrachtet wird. Die längst nicht mehr aktuelle Kritik, er würde nur Spieler seines ehemaligen Klubs FC Chelsea holen, nagt noch immer an dem 55-Jährigen. So sagt Arnesen ganz offen, dass er Werder Bremens Neuverpflichtung Kevin de Bruyne ("ein fantastischer Spieler") und Belgiens Sturmtalent Romelu Lukaku ("ein echter Brecher") auch auf dem Zettel hatte, sich nach der geballten Kritik aber grundsätzlich gegen Spieler seines vorherigen Arbeitgebers entschieden hat: "Ich hole keine Chelsea-Spieler mehr."

Obwohl ihm erneut zwei talentierte Chelsea-Profis angeboten wurden, hätte er nach den Erfahrungen der vergangenen Saison dankend abgelehnt. Da hatte Arnesen mit Gökhan Töre, Jacopo Sala, Michael Mancienne (damals verliehen an Wolverhampton), Jeffrey Bruma (verliehen an Leicester) und Slobodan Rajkovic (verliehen an Vitesse Arnheim) gleich fünf Spieler vom FC Chelsea geholt.

"Ich finde, dass nicht immer fair mit den Jungs umgegangen wurde", sagt Arnesen, "es lastete zu viel Druck auf den Profis aus England." Diesen Druck wolle er keinen weiteren Talenten zumuten.

Der größte Druck, das weiß der Sportchef nur zu gut, lastet aber vor allem auf ihm. Seine Aufgabe, eine zum Saisonende vereinbarte Streichliste nach und nach abzuarbeiten, um so finanziellen Spielraum für weitere Verstärkungen zu schaffen, scheint bereits knapp drei Wochen vor dem Ende der Transferperiode gescheitert. So hat sich Arnesen damit abgefunden, dass Ersatztorhüter Jaroslav Drobny, der den Gehaltsetat mit 1,7 Millionen Euro belastet, sich nicht verkaufen lassen will: "Er möchte in Hamburg bleiben, das müssen wir respektieren." Und auch die Personalie des suspendierten Rajkovic gestaltet sich weiterhin schwierig. Es gebe zwar Anfragen, aber nichts Konkretes. Und ablösefrei ziehen wolle Arnesen den Serben, den er selbst erst vor einem Jahr für 2,5 Millionen Euro verpflichtet hat, keinesfalls. Ein Leihgeschäft könnte eine Option sein, sagt Hamburgs Chefein- und -verkäufer, der so immerhin rund zwei Millionen Euro im Gehaltsetat einsparen könnte.

Bei aller Kritik durfte sich Arnesen auf Mallorca immerhin über einen Coup freuen, der eigentlich erst zu Beginn dieser Woche verkündet werden sollte. So haben sich der HSV und der KSC, kurioserweise kommende Woche der Pokalgegner, auf einen Wechsel des von mehreren Bundesligaklubs umworbenen Hakan Calhanoglu spätestens zur Saison 2013/2014 grundsätzlich für zwei Millionen Euro geeinigt. Der Aufsichtsrat ist bereits über die Rahmendaten des Dreijahresvertrags informiert.

Eine Vollzugsmeldung dementierte Arnesen zwar genauso energisch wie den vermuteten neuen Dresscode, aber nach Abendblatt-Informationen sind lediglich Detailfragen noch zu klären. So besteht Karlsruhes Sportchef Oliver Kreuzer darauf, dass das 18-jährige deutsche Mittelfeldtalent "1000-prozentig" bis Ende der Saison beim KSC bleibe, während Arnesen auf eine Vertragsklausel pochen will, nach der er Calhanoglu bei Bedarf schon im Winter nach Hamburg holen könnte. So oder so wurde der Deal besonders bei den Verantwortlichen von Mitbewerber Werder Bremen mit Interesse verfolgt. "Wenn das so ist, dann ist das sehr schade für uns", sagte Werders Geschäftsführer Klaus Allofs, "aber die Bedingungen waren so, dass wir das nicht machen konnten." Arnesen konnte - und das Beste: Calhanoglu hat auch nie beim FC Chelsea gespielt. Noch nicht.