Der große Udo Lattek hat ihn einst im Doppelpass höchst unfein als "Drecksack" tituliert. Aber der Meistertrainer fügte auch gleich hinzu: "Einen solchen Spieler habe ich immer gerne in meiner Mannschaft gehabt ..." Ist das nun ein dickes Kompliment oder genau das Gegenteil? Daran scheiden sich die Geister. Schon immer. In Hamburg gab es stets HSV-Fans, die David Jarolim auf Händen getragen haben, aber es gab eben auch nicht wenige HSV-Anhänger, die den Tschechen ablehnten. Aus zweierlei Gründen: Erstens weil sie ihm vorhielten, das Spiel zu verlangsamen, und weil er zweitens die eine oder andere Schwalbe im Repertoire hatte. Das alles, so sieht es im Moment aus, findet nun ein jähes Ende. Die Zeichen stehen auf Trennung - in diesem Winter. Findet David Jarolim, 32, jetzt einen neuen Klub, dann ist der Mittelfeldrenner weg. Quasi bei Nacht und Nebel, ohne großen Abschied; dann ist "Jaro" ab sofort HSV-Geschichte.

Im August 2003 kam er einst vom 1. FC Nürnberg nach Hamburg. Im August 2008 wurde er HSV-Kapitän. Und wurde ein Jahr später wieder abgesetzt - ein Novum. Aber auch das steckte "Jaro" (zähneknirschend) weg. Er gab immer alles, er rannte im Spiel unaufhörlich, lief wie sein Landsmann Emil Zatopek, die Lokomotive. "Jaro", der Kämpfer, war spitze, wenn es galt, Bälle zu erobern. Der Teamplayer ging keinem Zweikampf aus dem Wege, er ging stets auch dorthin, wo es wehtat. David Jarolim wurde deshalb einer der am meisten gefoulten Bundesliga-Profis seiner Zeit.

Dennoch gab es nicht nur Bewunderer für ihn. Kaum ein HSV-Spieler hat wohl im eigenen Anhang (!) so viele Kritiker gehabt wie er. Und auch unter den Trainern. Als Martin Jol im Sommer 2008 kam, wollte er "Jaro" aussortieren. Ich erinnere mich noch genau, es war beim Trainingslager in Längenfeld (Österreich). Natürlich hatte David Jarolim mitbekommen, dass er auf der Abschussliste stand. Ich ging eines Morgens allein zum Training, da kam mir der Tscheche entgegen - er war leicht angeschlagen, wollte sich im Hotel pflegen lassen. Ich unter vier Augen zu ihm: "Jaro, wie geht es weiter? Sie wollen dich loswerden." Er: "Ich weiß, aber ich werde kämpfen. Und wenn es nicht reicht, dann ist es so. Aber ich kann dir eines sagen: Wenn ich gehen müsste, es würde mir das Herz zerreißen." Er fasste sich dabei an die Brust und wiederholte fast ein wenig verzweifelt: "Dieter, es würde mir das Herz zerreißen."

Er blieb dann doch beim HSV. Aber auch die folgenden Trainer wollten ihn - anfangs - nicht mehr. Bruno Labbadia und Armin Veh planten zunächst ohne ihn, doch "Jaro" kam immer zurück. Als Michael Oenning dann übernahm, sagte er: "Jaro ist eine große Stütze der Mannschaft, ich bin froh, dass ich ihn habe ..." Und stellte ihn dennoch nicht auf. Das setzte sich unter Thorsten Fink fort. Das traurige Schicksal alternder Fußballstars?

Ich werde "Jaro" vermissen, ganz klar. Er trug stets die Raute im Herzen - er tatsächlich. Der tschechische Nationalspieler hat sich mit dem HSV in jeder Lage identifiziert. Für mich war David Jarolim, trotz mancher Schwalbe, ein vorbildlicher HSV-Profi, weil er 90 Minuten lang ein großer Kämpfer war. Und weil er ein unheimlich feiner Kerl - auch abseits des Rasens - ist. Das werden vielleicht (ich hoffe es) sogar irgendwann seine Kritiker erkennen.

Die HSV-Kolumne "Matz ab " finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab