Zahlen belegen die Gründe für den Absturz des Hamburger SV - Trainer Michael Oenning versetzt Heiko Westermann wieder in die Verteidigung.

Hamburg. Zwei Tage hatte Michael Oenning nach eigener Aussage an dem herben 0:5 in München zu knabbern. Nach dem schlechtesten Start seit acht Jahren (Saison 2003/04, unter Kurt Jara ebenfalls nur ein Punkt) steht der HSV erstmals seit der Saison 2006/2007 wieder auf einem Abstiegsplatz. Jetzt geht der Blick nach vorne. Mit einem Sieg über Köln am Sonnabend soll der totale Absturz verhindert werden. Der HSV-Trainer ist sensibilisiert, setzt auf eine Reaktion: "Ich schaue mir alles an, die Spieler stehen unter Bewährung, obwohl ich ihnen dabei helfen und lenkend eingreifen muss."

Ein Selbstläufer wird es nicht, die eklatant aufgetretenen Schwächen schnell abzustellen, wie die offiziellen Bundesliga-Werte von "Impire" aus den ersten drei Ligaspielen zeigen. In fast allen Bereichen weisen die Hamburger die schlechtesten Werte auf. Kein Wunder, dass Oenning einschneidende personelle Veränderungen plant.

Löchrige Defensive. Fakt ist: Nur Hertha sah bisher mehr Gelbe Karten (11) als der HSV. Ein Beleg dafür, dass der HSV häufig zu spät in die Zweikämpfe kam. Nur 46 Prozent der Duelle wurden gewonnen - das ist der drittschlechteste Wert der Liga. Mehr Gegentore kassierte der HSV zu diesem Zeitpunkt in der Saison nur 1987/88 (11), als Trainer Josip Skoblar und sein Torwart Mladen Pralija für Negativschlagzeilen sorgten. Im Ligavergleich ließ der HSV die meisten gegnerischen Torschüsse zu: 64, davon 14 Großchancen. Dabei traf der Gegner fünfmal Pfosten oder Latte (ebenfalls Rekord).

Diese Defensivschwäche nur auf die Abwehr zu schieben wäre falsch. Fakt ist: Die Idealbesetzung im defensiven Mittelfeld hat Oenning noch nicht gefunden. Mit dem Test gegen Valencia und dem Pokalspiel in Oldenburg gab es in der Zentrale fünf verschiedene Besetzungen. Taktisch sind bisher nur die Wechsel konstant: Dem 4-2-3-1 in Dortmund und 4-1-4-1 gegen Hertha BSC folgte in München ein 4-4-2-System.

Am Dienstag kündigte Oenning an, gegen Köln wieder auf das 4-2-3-1 (oder, je nach Interpretation, das 4-3-3) zurückzugreifen. Ebenfalls bereits festgelegt hat sich der HSV-Coach, dass Heiko Westermann wieder ins Abwehrzentrum zurückkehrt. Da Michael Mancienne (grippaler Infekt) flachliegt, dürfte Jeffrey Bruma Westermanns Kollege in der Innenverteidigung sein. Dass Slobodan Rejkovic gleich in der Startformation steht, ist eher unwahrscheinlich. Für die Positionen auf der "Doppelsechs" bieten sich David Jarolim und Gojko Kacar an.

Passive Offensive. Fakt ist: Der HSV hat bisher ligaweit die wenigsten Torschüsse (19) abgegeben (Bayern 53). Nur eine einzige Großchance (gegen Hertha) konnte sich die Oenning-Elf in 270 Bundesligaminuten erspielen. Die drei Tore gelangen entweder aus Standards (Ecke, Elfmeter) oder nach einem gegnerischen Ballverlust (gegen Hertha).

Umso mehr darf sich Oenning über die Rückkehr seiner Offensivspieler auf den Platz freuen. Während Mladen Petric (Infekt) bereits gestern wieder mit der Mannschaft trainierte und gegen Köln gesetzt ist, soll heute auch Paolo Guerrero (Muskelfaserriss) wieder einsteigen. Bleiben Komplikationen aus, ist auch der Peruaner eine Option. Einen immer besseren körperlichen Zustand bescheinigte Oenning auch Marcus Berg sowie Romeo Castelen, dem er sogar einen Einsatz in der Startformation zutraut. Neben Gökhan Töre könnte deshalb auch Son Heung-min seinen Platz im Team verlieren.

Magere Laufbilanz. Als zwei Voraussetzungen für eine Steigerung nannte David Jarolim gestern eine kompakte Ordnung sowie eine kämpferische Leistung. Letzteres hängt allerdings direkt mit der nötigen Laufbereitschaft zusammen.

Fakt ist: Läuferisch konnte der HSV bisher nicht überzeugen, lief gegen die Bayern fast 20 Kilometer weniger als die ersten beiden Gegner des Rekordmeisters (106,7 km). Im Schnitt der drei Spiele hatte der HSV nur 42 Prozent Ballbesitz, der zweitgeringste Wert der Liga. Dabei arbeitete der HSV während der Vorbereitung intensiv an der Fitness. Offensichtlich schafften es die Profis bisher nicht, ihr Leistungsvermögen auch nur annähernd abzurufen.

Ob der HSV sein "statisches und passives Verhalten" (Jarolim) ablegen und das Spielgeschehen aktiv gestalten kann, ist eine Schlüsselfrage der Partie gegen Köln. Wichtig wird sein, die richtige Balance zu finden, die Kölner frühzeitig unter Druck zu setzen, ohne dabei zu viele Räume für Konter der Gäste zu ermöglichen.

"Wir müssen erwachsen werden", mahnt Sportchef Frank Arnesen an, das bisherige naive Verhalten auf dem Platz zügig abzulegen und sich eine positivere Mentalität anzueignen. "Respekt, Ehre, Stolz" - diese Dinge will Arnesen beim Kampf gegen die Krise bei den verunsicherten Hamburger Spielern spüren, die für den HSV als professionelle Spieler auflaufen dürfen. Die Chance, die im bisherigen Misserfolg liegt: Schon häufig ist ein Team, wenn der Druck von außen groß wurde, zusammengerückt. Umgekehrt kann die Erwartungshaltung, dass jetzt unbedingt ein Sieg hermuss, die Blockade verstärken. Zumal wenn die Zuschauer während des Spiels unruhig werden - weil die wichtigste Kennziffer nicht stimmt: das Ergebnis.