Der HSV muss gegen Hertha BSC die Schwächen in der Rückwärtsbewegung abstellen. Jeffrey Bruma könnte dabei am Sonnabend helfen.

Hamburg. Das Trainingsspiel war gerade fünf Sekunden alt, da grätschte Jeffrey Bruma seinen HSV-Kollegen Tomas Rincon von hinten um. Kurze Entschuldigung, weiter ging es. Kompromisslos und fokussiert: Entweder kommt der Ball vorbei oder der Gegner - doch niemals beide.

HSV-Trainer Michael Oenning dürfte diese Szene trotz des offensichtlichen Foulspiels gefallen haben, schließlich war die Defensivleistung seines Teams sowohl in vielen Vorbereitungsspielen als auch beim Bundesliga-Auftakt in Dortmund alles andere als kompromisslos. "Der HSV hat in der ersten Hälfte nach dem Motto gespielt: Bitte, nach Ihnen", spottete Bayern-Präsident Uli Hoeneß nach der 1:3-Niederlage beim BVB, die durchaus höher hätte ausfallen können. Die Abstimmung der Innenverteidiger passte nicht, die Rückwärtsbewegung der Außenspieler war stark ausbaufähig. Und das defensive Mittelfeld offenbarte große Lücken. Das hat auch Bruma erkannt, der nur aufgrund der Absage des Länderspiels zwischen den Niederlanden und England bereits gestern wieder am HSV-Training teilnahm. "Wir dürfen hinten nicht kreuz und quer durcheinanderlaufen, sondern brauchen eine klare Aufteilung. Zudem müssen wir einfacher spielen."

Ob das 19-jährige Abwehrtalent aktiv mithelfen kann, der Defensive beim ersten Heimspiel gegen Hertha am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) Stabilität zu verleihen, ist noch unklar. Er sei nach überwundenen Achillessehnenproblemen zwar wieder fit, ob es jedoch für 90 Minuten reichen wird, ist sich Bruma nicht sicher. Auch Oenning wollte sich nicht in die Karten gucken lassen, wer neben dem gesetzten Kapitän Heiko Westermann zentral verteidigen wird: Bruma oder dessen Kumpel Michael Mancienne. Der Engländer war nach seinem ersten Bundesligaspiel überrascht, auf welch hohem Niveau in Deutschland Fußball gespielt wird - schränkte aber auch ein, dass nicht jeder Gegner die Qualität der Borussia haben wird. "Wir dürfen uns von diesem einen Spiel nicht negativ beeinflussen lassen, sondern müssen weiter an uns glauben", sagte Mancienne.

Der Glaube an die eigenen Stärken scheint dem kommenden Gegner aus Berlin schon abhanden gekommen zu sein. Nach einer guten Vorbereitung hatte der ehemalige Hamburger Tunay Torun einigen seiner ehemaligen Kollegen fernmündlich mitgeteilt, sie mögen sich doch warm anziehen, Hertha hätte eine "richtig gute Truppe." Doch bei der 0:1-Niederlage gegen Nürnberg am ersten Spieltag war davon nichts mehr zu sehen. Mit planlosen, langen Bällen wurde auf untaugliche Weise versucht, das Spiel zu eröffnen. Die Nürnberger Defensive hatte keinerlei Probleme mit Ramos, Lasogga und Co. Torun wurde nach schwacher Leistung in der Halbzeit ausgewechselt. Es ist gut möglich, dass er das Duell dort verfolgen muss, wo er auch zu HSV-Zeiten oft saß: auf der Bank.

Dennoch muss der misslungene Auftakt des Hauptstadtklubs dem HSV nicht zwangsläufig in die Karten spielen. Hertha wird sich in der Imtech- Arena zurückziehen, dem Heimklub das Feld überlassen und versuchen, mit schnellen Vorstößen die Schwächen der HSV-Defensive auszunutzen. "Wir sind eingespielter als der HSV, das kann ein Vorteil sein", sagt Berlins Stürmer Pierre-Michel Lasogga. Auf die Oenning-Elf kommt ein Vabanquespiel zu: Zum einen sind gegen einen abwartenden Gegner spielerische Akzente in der Offensive gefragt - jedoch ohne ins offene Messer zu laufen und die Defensive wie bisher zu vernachlässigen. Der Coach misst deshalb dem Geschehen im Mittelfeld eine entscheidende Bedeutung bei. "Wir müssen in diesem Bereich andere Schwerpunkte setzen."

Gegen Dortmund durften die defensiv stark eingeschätzten Rincon und Gojko Kacar in der Zentrale auflaufen, dieses Experiment ist vorerst gescheitert. So spricht vieles dafür, dass Oenning durchtauscht und David Jarolim ins defensive Mittelfeld zurückkehrt, der in der Regel sowohl passsicher als auch bissig im Zweikampf auftritt. Neben ihm könnte der bisher einzige Torschütze Robert Tesche eine neue Chance bekommen oder aber Neuzugang Per Cilian Skjelbred debütieren. Der Norweger hat im Training überzeugen können und gilt als absoluter Mannschaftsspieler.

Doch selbst wenn es dem HSV endlich gelänge, Chancen des Gegners weithin zu unterbinden und zu null zu spielen - ohne ein eigenes Erfolgserlebnis wird sich die skeptische Stimmung im Umfeld kaum heben. Denn ein torloses Remis käme einer Niederlage gleich.