Der neue Aufsichtsrats-Vorsitzende des HSV muss die Führungskrise des Vereins beenden – mit dem Klub ist er seit 44 Jahren verbunden.

Hamburg. Eine leise Ahnung, auf was er sich da eingelassen hat, dürfte Ernst-Otto Rieckhoff seit dem Wochenende befallen haben. Nach der Absage von Matthias Sammer war es der neue Aufsichtsratsvorsitzende, der an allen Fronten das Vorgehen des Kontrollgremiums zu verteidigen hatte.

Ob der HSV die aktuelle Führungskrise erfolgreich bewältigen kann, hängt vom Geschick des 59-Jährigen ab, der dem Gremium seit sechs Jahren angehört. Schließlich steht eine wahre Kette von Entscheidungen an. Der neu formierte Aufsichtsrat muss zeitnah diskutieren, wie die Zusammenstellung des Vorstands aussehen soll.

Die detaillierte Chronologie eines beispiellosen Scheiterns

Die Verträge von Bernd Hoffmann und Katja Kraus laufen Ende des Jahres aus, stehen genauso auf dem Prüfstand wie die Arbeit von Sportchef Bastian Reinhardt. Die operative Führung wiederum hat dann zu entscheiden, ob es mit Trainer Armin Veh weitergehen und mit welchen Spielern verlängert werden soll.

Wenn Rieckhoff über die Ziele der kommenden zwei Jahre - so lange läuft sein Mandat im Rat - spricht, klingt trotz der negativen Außendarstellung Optimismus durch: "Messbaren sportlichen Erfolg" erhofft er sich ebenso wie eine Trendwende in der Zusammenarbeit: "Der Verein muss wieder als Einheit wahrgenommen worden. Ich glaube, dass wir im Aufsichtsrat auf einem guten Weg dorthin sind. Zuletzt wurde alles gemeinsam beschlossen. Alle Eitelkeiten müssen unseren Zielen untergeordnet werden."

Rieckhoff kennt sich aus mit stürmischen Zeiten beim HSV. 1988, als der Klub in seiner schlimmsten finanziellen Krise steckte - im Bilanzjahr 1988/89 wurden 16,3 Millionen Mark Schulden ausgewiesen -, übernahm er im Präsidium von Ernst Naumann (später folgte Horst Becker) das Amt des Schatzmeisters. Als Jürgen Hunke im November 1990 die Abstimmung gegen Joachim Dege gewonnen hatte, war für Rieckhoff Schluss, der für seinen damaligen Arbeitgeber Shell nach Ostdeutschland (Altenburg) versetzt wurde. Für den Mineralölkonzern war Rieckhoff die Hälfte seiner 33 Arbeitsjahre als leitender Angestellter (Vertrieb, Marketing) beschäftigt. Seit 2003 ist Rieckhoff Privatier, allerdings nicht ganz freiwillig. Ein schwerer Herzinfarkt veränderte jäh sein von Dauerstress gekennzeichnetes Leben.

Vom HSV ("Das ist für mich Heimat") konnte er aber nie lassen. Seit seinem 15. Lebensjahr spielte er Handball und schaffte es als Kreisläufer bis in die zweite Handball-Mannschaft, die in der Oberliga Nord, der zweithöchsten Klasse, spielte. Mit Norderstedt verbindet er viele Jugenderinnerungen. "Im Lindenhof machte ich viermal die Woche meine Schulaufgaben." Kein Wunder, dass der Delegierte des HSV-Ochsenzoll fordert, der Nachwuchs müsse gestärkt werden, und er kürzlich eine Wertediskussion anstieß. "Wir alle suchen nach Orientierung, auch im Umgang, wir müssen Vorbilder erzeugen und an unserer Identität arbeiten."