Aufsichtsrat Peter Becker attackiert den Sportchef als Berufsstarter ohne Kompetenz

Hamburg. Es schien eines dieser typischen, eher etwas angestaubten Vereinstreffen zu werden, die der HSV schon mehrfach in den vergangenen Jahren hinter sich gebracht hatte. Im großen Festsaal des Hotels Grand Elysée stellten sich im Rahmen einer Informationsveranstaltung die meisten der 21 Kandidaten (nur Jürgen Hunke, Peter Groth und Marek Erhardt fehlten) für die vier freien Plätze im Aufsichtsrat vor, die aber erst am 9. Januar während der ordentlichen Mitgliederversammlung gewählt werden. Ein seichter Warm-up des Wahlkampfs, der aber erst im kommenden Jahr erst so richtig an Fahrt aufnehmen würde. Nur rund 100 Mitglieder waren gekommen, um den fünf- bis zehnminütigen Reden zu lauschen - wer würde jetzt schon seine Trümpfe aufdecken?

Da die Liste der Kandidaten jedoch alphabetisch geordnet war, kam es bereits bei "B", bei Peter Becker, zum Höhepunkt der Veranstaltung. In einer Art Zwischenbilanz nach knapp zweijähriger Aufsichtsratstätigkeit räumte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäcker-Handwerks ein: "Ich kann nicht zufrieden sein, habe Fehler gemacht und war gerade am Anfang zu vertrauensselig, habe vieles hingenommen." Doch er habe gelernt und sich gewandelt und in den vergangenen eineinhalb Jahren eigenständige Positionen vertreten - nicht immer zur Freude des Vorstands.

Wie zum Beweis ging er unverzüglich in die Abteilung Attacke über: "Bei der Sportchefsuche wurden entscheidende Fehler begangen", sagte Becker, "und auch die Entscheidung war ein Fehler." Also die Berufung von Bastian Reinhardt. Becker weiter: "Ich halte ihn für einen intelligenten, jungen Mann, der aber zu früh eingesetzt wurde und damit verbrannt wird."

Dass ein amtierendes Mitglied des Aufsichtsrats die mehrheitlich getroffene Berufung eines Vorstandes in dieser Form missbilligt und damit Reinhardt, der sowieso schon mit dem Image eines ehemaligen Praktikanten zu kämpfen hat, so massiv schwächt, dürfte die Spannungen beim HSV noch weiter steigern. Becker fügte später an, er sei mit seiner Meinung im Aufsichtsrat zwar unterlegen gewesen und damit in der Gesamthaftung. Was ihn aber fast im gleichen Atemzug nicht daran hinderte, Reinhardt noch deutlicher anzugreifen: "In den Vorstand gehört Kompetenz in exzellenter Form und kein Berufsstarter."

Ganz offensichtlich stand Becker auch unter dem Eindruck der gemeinsamen dreistündigen Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat am Montagabend. Dort hatten die Räte (nur Ian Karan fehlte) Reinhardt etliche kritische Fragen zur sportlichen Krise gestellt. Dem Vernehmen nach waren die Antworten des im Sommer installierten Sportchefs, dem nach dem Rückzug von DFB-Chefscout Urs Siegenthaler die Chance genommen war, neben dem erfahrenen Schweizer zu lernen, für viele Kontrolleure nicht zufriedenstellend.

Bereits im November litt die Autorität Reinhardts massiv, als bekannt wurde, dass Vorstandschef Bernd Hoffmann mit der Fußballikone Günter Netzer über ein Engagement im Verein verhandelt hatte. Wie soll Reinhardt jetzt noch gegenüber der schwächelnden Mannschaft als starker Mann auftreten, wenn ihm einzelne Aufsichtsräte in den Rücken fallen? Mit Becker kann Reinhardt jedenfalls nicht rechnen, sollte dieser erneut den Sprung in den Aufsichtsrat schaffen: Seine Ankündigung, die kommenden Jahre würden nicht vergnügungssteuerpflichtig und es müsse etwas passieren, klang jedenfalls eher wie eine Drohung.

Wenn die gestrige Sitzung ein Hinweis für den Verlauf der Mitgliedersammlung war, dann werden die Kandidaten vor ihrer Wahl so gründlich wie nie einer Prüfung unterzogen. Sehr konkret wollten die Mitglieder bei ihrer ersten Vorstellung wissen, wie sie zum Investorenmodell von Klaus-Michael Kühne und einer Ausgliederung stehen, wie es um ihre Leidenschaft und ihrer sportlichen Kompetenz stehen.

Dass die Neigung der Mitgliedschaft, weiteren hochrangigen Kräften aus der Wirtschaft zu einem Platz im Aufsichtsrat zu verhelfen - noch 2008, wurden mit Jörg Debatin, Ian Karan, Peter Becker und Alexander Otto gleich vier "Wirtschaftsweise" gewählt -, gesunken ist, musste Wolfgang Burgard erfahren. Der Holsten-Vorstand, der 20 Jahre lange in den Gremien von Borussia Dortmund aktiv war und dabei "alle Auf und Abs" erlebt hat, konnte mit Aussagen wie "der Umbruch muss zum Aufbruch führen, nicht zur Blockade" kaum punkten. Stattdessen wurde ein möglicher Interessenskonflikt - schließlich unterstützt Holsten als Sponsorenpartner den Hamburger Weg - kritisch hinterfragt.