Vieles eint den Jugendtorwart des HSV und Tänzer Takeshi. Was die zwei Welten verbindet, demonstriert eine Ticket-Kooperation.

Hamburg. Wenn am Ende dieser Geschichte nichts weiter von ihnen bliebe als diese zwei Sätze, dann wäre auch alles gut. Dann hätten sie trotzdem alles gesagt. Ihre Welt besteht nicht aus Worten. Man merkt das, wenn ihnen mitten im Satz die Enden entgleiten; ihre Sprache, das ist ihr Körper, das ist, wenn sie springen und fangen und dabei stets den Blick des anderen suchen und fragen: Hast du das gesehen?

Mein Glück, sagt Florian, der Torhüter, das ist der Fußball.

Mein Glück, sagt Takeshi, der Tänzer, das ist, wenn ich springen kann.

Glück ist ein großes Wort. So richtig fassen kann man es selten, aber spüren, und Florian und Takeshi, 16 und 19, haben es gespürt. Es war der Moment, in dem sie geahnt haben, dass sie ihn schaffen könnten - den Sprung auf die größten Bühnen dieser Stadt. Die des Hamburger Sportvereins und des Hamburger Balletts. Wenn sie es schaffen, haben sie alles gewonnen. Und wenn nicht - was passiert dann?

Es ist trüb an diesem Wintermorgen in Hamburg, vor den Fenstern der Ballettschule schwingen kahle Äste im Wind. Das klassische Training hat gerade begonnen. Der Raum ist quadratisch, je vier Fenster an zwei Seiten, darunter acht Heizkörper, die Muskeln der Tänzer sollen schnell warm werden. Vor dem Spiegel spielt ein Russe Klavier. Langsam beschlagen die Scheiben. Aber das Draußen ist ohnehin nur eine Vorstellung, wenn man drinnen Ballett tanzt. Ein Tanztraining beginnt immer mit einem Plié, egal wo auf der Welt, mit dieser kleinen, sachten Exercice, die doch so viel Kraft braucht. Die Hacken pressen aneinander, die Fußspitzen stehen nach außen, dann beugen sich die Knie, langsam und kontrolliert, und der Rest wächst Richtung Decke: das Kinn, die Brust, die Gedanken. Ein Plié ist nichts anderes als die Zusammenfassung des Balletts in einer Bewegung.

Takeshis Pliés sehen aus, als wären seine Beine aus Wachs. "Oooohhh", macht der Lehrer und geht in seine Richtung, "niiiice, Takeshi, your Pliés are rich, just beauuuutiful." Takeshi lächelt, aber nur kurz, dann muss er sich wieder konzentrieren. Eine Übung an der Stange ist wie ein kurzes Gedicht, das man auswendig lernt. Eine Stunde ist es noch bis zu den Übungen mitten im Raum. Eine Stunde noch, bis Takeshi endlich springen kann.

+++ Sonnabend zum HSV und Sonntag ins Ballett +++

Es ist sechs Uhr und schon dunkel, Flutlicht fällt auf die Trainingsplätze des HSV-Internats. Es regnet, seit Stunden. Immer wieder schmeißt sich Florian hinein in den kalten Matsch, direkt vor dem Tor, das er hütet. Steht wieder auf, schmeißt sich hin. Es ist ein Trainingsspiel seiner Mannschaft, der U-17 des HSV. "Schööön", brüllt der Trainer über den Platz, "und jetzt locker laufen lassen, schön locker laufen lassen." Zwei Stunden dauert das Training. Zwei Stunden, nach denen man so nass ist, dass Regen und Schweiß eins sind. Zwei Stunden am Ende eines ganz normalen Tages. Um sechs ist Florian aufgestanden, mit dem Bus in die Schule gefahren, sechs Stunden Unterricht, zurück ins Internat, Mittagessen, Hausaufgaben, Wäsche machen, raus ins Training, duschen, Schuhe putzen, Wäsche machen, rüber ins Internat. Abendbrot.

Es ist kein Leben, das sich schön anhört. Das aber schön aussieht, wenn man in die Augen derer sieht, die davon erzählen. "Eigentlich hat sich nie die Frage gestellt, es nicht zu machen", sagt Florian; seine Wangen glühen noch immer vom Training. "Nein, dieses Ding, also Fußball, das war einfach da, und ich habe es angenommen." Er sitzt im Aufenthaltsraum des HSV-Internats, das draußen in Norderstedt liegt, "näher ran an die Fans", nennen St.-Pauli-Fans diesen Umstand gern spöttisch. Dabei ist es gar nicht so schlecht, die Welt der Großen ein bisschen entfernt zu wissen. 13 junge Fußballer leben hier, jeder hat ein Zimmer für sich. Mit kleinem Bad und Miniküche, auch Momo und Son haben eins. Momo und Son heißen eigentlich Mohamed Besic und Heung Min Son, zwei Internatsschüler, die in dieser Saison den Sprung in die erste Mannschaft geschafft haben.

"Klar, das ist eine große Geschichte für uns, man will es ja fast gar nicht glauben", sagt Florian. Er erzählt, wie er selbst nach Hamburg kam, wie stolz seine Eltern waren, als er von HSV-Scouts entdeckt wurde. Drei Scheiben Brot liegen auf seinem Teller, er belegt sie hintereinander, die Reihenfolge ist immer dieselbe: Butter, eine Schicht Mettwurst, dann Salami, dann der Käse. Die Wäsche, sagt er zwischen zwei Brotscheibenhälften, sei auch schon gemacht, und mit dem Küchendienst sei der Son dran, was im Übrigen eine schöne Vorstellung ist: wie der Junge, der am Wochenende Tore für den HSV schießt, abends vor der vollen Spülmaschine der Internatsküche steht. Im Aufenthaltsraum hängt ein Plakat. Was man essen soll, steht darauf, je nach Tageszeit, wenn das Training gerade vorbei ist und in den Stunden danach. Es ist nur ein Plan, aber doch ein bisschen mehr, eine Andeutung, dass sie immer mehr abgeben werden von dem, was sie einmal waren. Selbstständig, das vergisst man als Sportreporter leicht, waren auch die Profis früher. Und dann werden sie irgendwann reich. Haben Berater und Manager und keine Verantwortung mehr außer der, jeden Tag zum Training zu erscheinen.

"Alles, was Momo und Son aus der Bundesliga erzählen, hört sich einfach klasse an", sagt Florian, "und das ist mein Ziel, da will ich auch hin. Das ist der Grund, warum ich hier bin." Er klingt nicht abgeklärt und auch nicht verträumt, eher so, als würde er gerade eine Notiz an sich selbst schreiben.

Bislang ist das Leben für Florian und Takeshi ein tägliches Messen, ein Suchen und Wachsen. Und sie selbst sind irgendetwas dazwischen. Als Florian Stritzel nach Hamburg kam, war er 13 Jahre alt, ein Kind. Jetzt ist er 16.

Takeshi Ikeda war 17, als sein Flieger in Hamburg landete. 2009 hat er den Prix de Lausanne gewonnen, den renommiertesten Tanznachwuchspreis der Welt. Dann tanzte er bei Neumeier vor - und war aufgenommen. Seine Eltern hat Takeshi in den letzten zwei Jahren einmal gesehen. Als Kind in Japan hat er beides gemacht, Fußball und Ballett, "meine Mutter wollte, dass ich tanze", sagt er, "ich wollte lieber Fußballer werden". Jetzt soll er nur über den Tanz sprechen. Sein Englisch ist fließend, und er antwortet atemlos. "Also habe ich getanzt, meiner Mutter zuliebe, aber auf einmal", sagt er und holt mit den Armen aus, "auf einmal war da dieses Gefühl", er schaut an die Decke, "und ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, aber wenn ich tanze", seine Hände greifen nach etwas, "wenn ich tanze, dann ist da nur noch dieses Gefühl, das größer ist als ich und das in mich hineingeht." Seine Hände liegen jetzt auf der Brust. "Und das ist da, ohne dass ich es steuern kann. Manchmal ist es größer als ich, und ich kann es nicht in Worte fassen, dieses Gefühl geht einfach so in mich hinein."

Er redet und redet, Freunde laufen vorbei und begrüßen ihn, er nimmt sie nicht wahr. Dabei sitzt er mitten auf dem Flur des Internats. Wo immer etwas los ist und es ein bisschen wirkt wie auf Klassenfahrt: Alle haben irgendetwas Wichtiges zu tun und brauchen viel Aufmerksamkeit. Gerade ist Mittagspause. Im Aufenthaltsraum hängen drei Schüler vor einem Computer, in der Ecke steht die saubere Wäsche. Zweimal in der Woche wird sie abgeholt und von einer Firma gewaschen, niemand will das den Kindern auch noch zumuten. Auch sie stehen früh auf, frühstücken, gehen in die Schule, kehren heim, trainieren, meist bis abends um sieben. Dann kommen die Hausaufgaben.

Zehn Zimmer gibt es und 34 Plätze, wer wo wohnt, sieht man eigentlich sofort: An den Wänden der Mädchen hängen rosa Ballettbilder, über den Betten der Jungs hängen Fußballwimpel - AS Rom, FC Barcelona, die Schüler von John Neumeier kommen aus Asien, Südamerika, Europa. Manchmal können sie sich nicht einmal unterhalten. Ihre Sätze sind dann der Tanz.

+++ Tanzen und Fußball: Zwei Leben am Limit +++

Jedes Jahr müssen ein paar von ihnen wieder ausziehen Weil sie zu dick werden, weil sie Heimweh haben, weil sie die jährliche Prüfung nicht schaffen. Jedes Mal ein Drama. Denn ein Tänzer, der es nicht auf die Bühne schafft, hat es schwer. Schwerer als ein Fußballer. Der verdient noch in der Regionalliga so viel, dass es für ein Reihenhaus reicht. Ein Tänzer fällt mitunter ins Bodenlose. Weil es keine geregelten Arbeitszeiten gibt, keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, keine Vorsorgeuntersuchungen. Vor dem Gesetz sind Tänzer Künstler. Nicht Sportler wie Fußballer. Die finden leicht eine Mannschaft, mit der sie trainieren können. Auch ein Tänzer muss täglich trainieren, aber wenn er Pech hat, ist er dabei allein.

Florian Stritzel hat noch keinen Berater, die Verhandlungen mit dem HSV hat sein Vater geführt. Takeshi hat einen Ausbildungsvertrag. Wenn er die Schule von John Neumeier abgeschlossen hat, ist er ausgebildeter Bühnentänzer. Hunderte davon gibt es in Deutschland, erste Solisten und Solistinnen gerade mal eine Handvoll.

"Es nicht zu den Profis zu schaffen? Das male ich mir nicht aus", sagt Florian, der Torhüter. "Natürlich hoffe ich, dass ich mich nie ernsthaft verletze."

"Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, aber ich denke nicht viel drüber nach", sagt Takeshi, der Tänzer. "Ich habe eher Angst, dieses Gefühl zu verlieren."

Der Aufenthaltsraum des HSV-Internats hat sich geleert, inzwischen ist es fast zehn. Florian nimmt sein Tablett und geht zur Küche. An den Wänden hängen Fotos von Spielern, die das auch über Jahre getan haben. Die es geschafft haben, bis in die Bundesliga: Sidney Sam oder Maxim Choupo-Moting. Die Spülmaschine steht offen. Tabletts mit schmutzigem Geschirr stapeln sich, diese Küche sieht wirklich nicht gut aus. Florian schüttelt den Kopf. "Also daran muss der Son wirklich noch arbeiten", sagt er und grinst, dann macht er das Licht aus. Vielleicht sagt er ihm das gleich auch persönlich. Heung Min Son ist schließlich sein Zimmernachbar.

Wenn man so will, wohnt das große Glück also bereits nebenan.