Nach der Absage des Schweizers setzt ein Trio um Sportchef Reinhardt, Scoutingchef Clemens und Nachwuchsleiter Meier dessen Ideen um.

Hamburg. Wer einen Blick in die Zukunft des HSV riskieren will, muss montagabends um 18.15 Uhr auf dem Trainingsgelände in Ochsenzoll vorbeischauen. Dort tummeln sich rund um den Trainingsplatz an normalen Montagen ähnlich viele Scouts und Nachwuchsmitarbeiter des HSV wie am Wochenende in allen Bundesligastadien insgesamt. Auch Sportchef Bastian Reinhardt und Proficheftrainer Armin Veh sind gern gesehene Gäste, wenn sich Reservespieler der U 23, der U 19 und der U 17 beim sogenannten Montagsspiel einen Namen bei den wichtigsten HSV-Entscheidern machen wollen. Die Idee zu der Montagsrunde hatte Fast-Sportdirektor Urs Siegenthaler, um die Umsetzung kümmert sich nach der Absage des Schweizers mit Sportchef Reinhardt, Nachwuchsleiter Paul Meier und Scoutingchef Christofer Clemens ein Trio. Auf den Tag genau sieben Monate, nachdem das Abendblatt Siegenthalers Visionen vom neuen HSV vorgestellt hatte, dokumentiert das Abendblatt heute, was aus den angekündigten Plänen im Nachwuchs- und Scoutingbereich nach dem Rückzug des DFB-Chefscouts geworden ist.

Nachwuchsleiter Paul Meier soll für mehr Eigengewächse sorgen

Wenn Paul Meier, randlose Brille, blauer Trainingsanzug, Oberlippenbart, erst mal anfängt, über Fußball und seine Arbeit als Leiter des HSV-Nachwuchses zu sprechen, hört der ausgebildete Sportlehrer so schnell nicht wieder auf. "Man hat beim HSV in der Vergangenheit verpasst, eine einheitliche Richtung im Nachwuchs vorzugeben", sagt Meier, der genau das nun ändern will. Wichtigster Auftrag für den Schweizer, der einen Etat von rund fünf Millionen Euro zur Verfügung hat, bleibt das Heranführen von "Eigengewächsen" an den eigenen Profibereich. Das Montagsspiel ist dabei nur eins von vielen Puzzleteilen, die zu einer größeren Durchlässigkeit zwischen Jugendmannschaften und Profis führen sollen.

Meier hat - in Absprache mit seinem ehemaligen Vorgesetzten Siegenthaler - auch den Begriff "Projektspieler" beim HSV eingeführt. "Projektspieler sind Fußballer aus unserer Jugend, denen wir früher oder später den Sprung zu den Profis zutrauen", erklärt Meier. Aktuell gibt es altersklassenübergreifend rund 15 dieser Projektspieler, die neben sechs Trainingseinheiten in der Woche zusätzlich in zwei personalisierten Einheiten gezielt an ihren Stärken und Schwächen arbeiten sollen. Kevin Ingreso (U 19) und Daniel Nagy (U 23) sind zwei dieser Talente, denen man nach Muhamed Besic und Heung Min Son als nächste Eigengewächse den Sprung aus der HSV-Jugend zu den Profis zutraut.

Die Jungprofis werden medizinisch, sportlich und auch mental-psychologisch betreut. Für den letzten Teil wurde mit Thorsten Weidig extra ein Psychologe eingestellt, der seit dem 1. Juli hauptamtlich beim HSV angestellt ist. Der Sportpsychologe, der sich auch um die HSV-Profis kümmern soll, will helfen, die Persönlichkeit der Nachwuchsfußballer zu entwickeln, und soll dabei karrierebegleitend wirken. "So, wie Athletik, Taktik und Technik trainiert werden können, kann auch der Kopf trainiert werden", sagt der 36-Jährige. Als seine Hauptaufgaben bezeichnet Weidig die "Schulung der Willensstärke und der Konzentrationsfähigkeit", aber auch "Burn-out und Depressionen" seien Themen, mit denen er sich vorbeugend beschäftigen werde. Wichtig sei nur, sagt Weidig, dass seine Arbeit vertraulich sei und immer auf freiwilliger Basis geschehe.

Neben den jungen Fußballern sollen ab sofort auch die Trainer besser ausgebildet werden. Anders als früher sind Lehrgänge und Fortbildungen mittlerweile die Regel. Ziel ist es, dass mehr Trainer die Fußballlehrerlizenz besitzen. Aktuell ist lediglich U-17-Trainer Markus van Ahlen zertifizierter Fußballlehrer, Marc Meister (zuletzt Trainer der U 16) nimmt derzeit in Köln am Lehrgang teil. Vorbild bleibt Werder Bremen, wo fast alle Nachwuchstrainer die Fußballlehrerlizenz besitzen. "Unsere Zielsetzung ist eine klare sportliche Philosophie vom Nachwuchs bis hin zu den Profis", erklärt Reinhardt und ergänzt: "Wir brauchen ein einheitliches Denken und Handeln von der U 8 bis zur Bundesligamannschaft."

Ex-Siegenthaler-Assistent Christofer Clemens sucht Talente

Maßgeblich verantwortlich für diese Einheit in allen Abteilungen ist Christofer Clemens, offizieller Titel: Leiter Scouting/Spielanalyse. Der frühere DFB-Mitarbeiter hat gemeinsam mit Meier eine Vereinsphilosophie entwickelt, nach der sich in der Zukunft alle Mannschaften und handelnden Personen richten sollen. "Ein Verein wie der HSV braucht diese eigene Philosophie", hatte zuletzt auch Profitrainer Veh betont. Dabei gelte es aber nicht, sagt Clemens, eine Spieltaktik vorzugeben. Entscheidend sei, dass alle Teams zukünftig eine "offensive Grundausrichtung" haben, auf "vertikalen Spielaufbau" setzen und "dynamische Spielweise" prägen. Nach diesen Kriterien sollen Talente ausgebildet und potenzielle Neuzugänge verpflichtet werden.

Deswegen leitet Clemens auch die Scoutingabteilung, der neben dem ehemaligen Leiter Michael Schröder auch Marko Diaz, Joshua Wyatt, Sören Meier, Nuni Kucukovic (alle Sichtung), Jan Kühn (Administration) und neun freie Mitarbeiter angehören. Mit dem überwiegend neuen Personal soll der frühere Siegenthaler-Assistent intensiv den deutschen und westeuropäischen Markt (vor allem die Beneluxländer, Skandinavien, die Schweiz und Frankreich) beobachten lassen. "Es ist natürlich einfacher, Neuzugänge aus unserem Kultur- und Sprachraum sofort zu integrieren", sagt Clemens, der Transfers aus Afrika und Südamerika in Einzelfällen aber nicht ausschließen will.

Letztendlich hängt die Zukunft des HSV natürlich nicht von den Trainingsspielchen am Montag, sondern von den Bundesligaspielen am Wochenende ab. Denn wird da nicht häufig genug gewonnen, sind alle Zukunftskonzepte ganz schnell wieder Vergangenheit.