Trainer Armin Veh will das HSV-System und die Mentalität ändern - nur Stürmer Ruud van Nistelrooy soll einfach so weitermachen.

Hamburg. Dass man selbst mit 33 Jahren noch längst nicht alles in seiner Karriere erlebt hat, durfte Ruud van Nistelrooy gestern Mittag erfahren. Der Torjäger wurde niederländischer, englischer und spanischer Meister, er erzielte mehr Treffer für das Oranje-Team als Hollands Fußballlegende Johan Cruyff, und er war sogar live dabei, als Manchesters Trainer Alex Ferguson vor Jahren David Beckham in der Kabine mit einem Schuh bewarf. Ein Autogramm im Presseraum musste der Niederländer aber wahrscheinlich noch nie schreiben. Bis gestern. Eine Praktikantin eines Fernsehsenders nutzte die Gunst der Stunde, zückte Stift und Zettel und bat den HSV-Profi um seine Unterschrift. Van Nistelrooy, unrasiert und noch immer in seinen nassen Trainingsklamotten, lächelte kurz, unterschrieb und verabschiedete sich höflich.

Auch 256 Tage nach der überraschenden Verpflichtung van Nistelrooys in der vergangenen Winterpause ist die Begeisterung um den früheren Real-Madrid-Star in Hamburg noch ungebrochen - egal, ob mit oder ohne Dreitagebart. Sein Trikot ist Bestseller im Fanshop (siehe Infokasten rechts), sein Vorname Lieblings-Schlachtruf der Anhänger. Ruuud ist und bleibt en vogue. Und nach vier Spielen in Folge ohne Sieg verkörpert der Torjäger vor allem eins: die Hoffnung auf bessere Zeiten. "An Ruud führt vorne kein Weg vorbei", sagt sein mit Sicherheit größter Fan: HSV-Trainer Armin Veh.

Der Coach weiß nur zu gut, was er an dem Angreifer mit der Rückennummer 22 hat. "Ruud hat eine sehr gute Vorbereitung hinter sich, die hat ihm unheimlich gut getan", sagt Veh, dem besonders die Einstellung des Routiniers, der in dieser Saison schon sieben Pflichtspieltreffer feiern durfte, imponiert. Eine Einstellung, von der sich nach Vehs Meinung der eine oder andere Kollege etwas abschneiden könnte. "Wir haben ein Mentalitätsproblem. Einige müssen unbedingt ein paar Prozent drauflegen", sagt Veh, der van Nistelrooy explizit von seiner Kritik ausnimmt: "Er ist gesetzt."

Da der Erfolg zuletzt aber auch mit van Nistelrooy ausgeblieben ist, hat sich Veh nach einigem Zögern nun doch zu einer Systemänderung entschieden. Statt mit der WM-Taktik 4-2-3-1, nach der van Nistelrooy als Einzelkämpfer im Sturm unterwegs war, erwägt Veh, zukünftig wieder mit einem 4-4-2-System zu spielen. Eine Entscheidung, die im ersten Moment überrascht, im zweiten Moment aber überzeugt. Nicht viele Trainer haben den Mut, einen vermeintlichen Fehler einzugestehen. Bereits am Sonnabend gegen den 1. FC Kaiserslautern könnte im Angriff Maxim Choupo-Moting neben van Nistelrooy auflaufen.

Der vom HSV-Trainer so gelobte Stürmer dürfte sich über die Unterstützung an seiner Seite freuen, schließlich ist van Nistelrooy die Rolle des alleinigen Hoffnungsträger im Grunde eher peinlich. "Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst, davor laufe ich auch nicht weg", sagt er, "aber ich bin nicht der Typ, der auf dem Platz lautstark anfängt herumzuschreien." Er sei ein Mann der leisen Töne, der eher das Vier-Augen-Gespräch suche. "Ich rede ruhig mit dem einen oder anderen Spieler und analysiere, was wir besser machen können", sagt van Nistelrooy. Jeder ist anders, das sei ganz einfach eine Mentalitätsfrage.

Ruud van Nistelrooy glaubt, dass sein Team ein Konzentrationsproblem hat

Ob er denn auch glaube, dass der HSV ein Mentalitätsproblem habe, will ein Medienvertreter wissen. Eine trickreiche Frage. Antwortet van Nistelrooy mit Ja, beschuldigt er seine eigenen Mitspieler. Antwortet er mit Nein, widerspricht er dem Trainer. Der Stürmerstar überlegt, lächelt und sagt ähnlich höflich, wie er später das Stück Papier der Praktikantin unterschreiben wird, dass seiner Meinung nach die Mannschaft ein Konzentrationsproblem habe. Damit hat van Nistelrooy zwar nicht die Frage beantwortet, sämtliche Klippen aber ähnlich geschickt umkurvt wie sonst seine Gegenspieler. "Es ist eine große Qualität, wenn man auch unter Druck immer das Richtige macht", sagt der niederländische Nationalspieler.