Der HSV war heute vor 50 Jahren im deutschen Fußball-Endspiel Außenseiter gegen den 1. FC Köln. Doch am Ende triumphierte die Jugend.

Hamburg. Volksfeststimmung an Elbe und Alster. Nie wieder hat der Fußball in Hamburg eine solche Euphorie entfacht wie im Juni 1960. Mehr als 200 000 Menschen bereiteten dem Deutschen Meister HSV einen großen Empfang. Die Spieler wurden umjubelt, zu Idolen erhoben und auf Händen getragen. Und doch hat kein einziger dieser elf Hamburger im Anschluss jemals den Boden unter den Füßen verloren. "Wer uns in die Nähe von Helden rückt, liegt gewaltig daneben", sagt Torwart Horst Schnoor stellvertretend für seine HSV-Mannschaftskollegen. "Wir haben den Titel geholt, okay, aber das haben andere Spieler vor uns auch geschafft, und nach uns ebenfalls."

Und doch war es ein ganz besonderer Erfolg, heute vor 50 Jahren, am 25. Juni 1960, als der HSV vor 70 000 Zuschauern im Frankfurter Waldstadion mit einem 3:2 gegen den 1. FC Köln den Titel gewann.

"Die Jugend hatte am Ende die meiste Kraft, der HSV ist ein würdiger Meister", befand Bundestrainer Sepp Herberger nach den schweißtreibenden 90 Minuten bei 35 Grad im Schatten. Die Kölner Mannschaft hatte die bekannteren Namen, aber sie war auch älter. Die Nationalspieler Ewert, Stollenwerk, Schnellinger, Wilden, Röhrig, Sturm waren dabei, dazu sogar noch zwei Weltmeister von 1954, Helmut Rahn und Hans Schäfer. Der HSV kam zwar mit Horst Schnoor, mit Uwe Seeler, Klaus Stürmer und dem erst 20-jährigen Gert "Charly" Dörfel, aber die anderen HSV-Spieler gehörten eher der Kategorie der Namenlosen an. "Wir waren nicht nur jünger und hungriger, wir waren eine echte Einheit", urteilte der stets ruhige, stille und introvertierte HSV-Trainer Günther Mahlmann gelassen. "Diese Mannschaft war über Jahre aus der Jugend heraus gewachsen, sie zeichnete sich durch ihre Leidenschaft aus, und sie war zum Schluss auch willensstärker als die Kölner." Der Titel war ihr Lohn.

Die Fahrt der Sieger vom Dammtor-Bahnhof durch die Rothenbaumchaussee glich einem Triumphzug. Die Stadt, so hatte es den Anschein, drohte aus den Nähten zu platzen. Aus einem blauen Fahnenmeer heraus schallten unaufhörlich "HA-ES-VAU"-Rufe, als die Spieler in ihren blumengeschmückten VW-Cabrios vorbeifuhren, und natürlich auch immer wieder "Uwe, Uwe, Uwe." Auf dem Sportplatz Rotherbaum drehte die Mannschaft einige Ehrenrunden, bevor Bürgermeister Edgar Engelhardt die Spieler begrüßte: "Es war der Sieg einer Mannschaft, Hamburg ist stolz auf unseren HSV." Als dann noch um ein "Hipp, hipp, hurra" gebeten wurde, war die donnernde Antwort der Fans noch kilometerweit zu hören.

Szenenwechsel. 50 Jahre später sind die Meisterspieler des HSV beim Hamburger Abendblatt zu Besuch. Chefredakteur Claus Strunz bat zum Essen, das große Finale vom 25. Juni 1960 war immer noch Mittelpunkt aller Gespräche. Bis heute ist diese Mannschaft eine verschworene Einheit geblieben. Diese Meister-Elf steht nicht nur für den dritten Titel in der HSV-Vereinsgeschichte, die Mannen um Kapitän Jochen Meinke haben auch für die wichtigste Meisterschaft aller Zeiten gesorgt. Durch diesen Erfolg stieg der Beliebtheitsgrad des HSV nicht nur in Hamburg, sondern in der gesamten Republik. Zudem war dieser HSV in Europa, in der ganzen Fußball-Welt ein Begriff. Hamburg stand für frischen, begeisternden Offensiv-Fußball mit Herz.

Unter elf Hamburgern war eben auch ein Uwe Seeler, der zum Weltstar aufstieg, der die spektakulärsten Tore hierzulande schoss, der überall enthusiastisch gefeiert wurde und als vorbildlicher Sportsmann galt. Kapitän Jochen Meinke lobt den Torjäger noch heute wie damals: "Ohne den Dicken wären wir nie das geworden, was wir dann waren. Das wissen wir alle."

Aber jeder Spieler dieses HSV-Meister-Teams hatte seine ganze eigene individuelle Klasse.

Der Elegante: Torwart Horst Schnoor, 76, war 15 Jahre lang die Nummer eins, das hat nach ihm nie wieder ein HSV-Keeper geschafft. Schnoor konnte äußerst elegant durch seinen Torraum fliegen, er gefiel aber auch mit seinem abgeklärten und soliden Spiel.

Mister Zuverlässig: Rechtsverteidiger Erwin Piechowiak, 73, galt als ruhig und stets zuverlässig, er hatte den Blick für das rechtzeitige Stören, er vermied das Risiko und gab kämpferisch von der ersten bis zur letzten Minute alles.

Der Intellektuelle: Linksverteidiger Gerhard Krug, 73, gehörte zur "Studenten-Fraktion" im Team, ihm konnte keiner etwas vormachen. Krug, nur im Finale auf der linken Seite eingesetzt (gegen Rahn), galt als schlagfertiges Schlitzohr, der nie als Lautsprecher auftrat, sondern heikle Situationen mit feinem und hintergründigem Humor löste.

Der Feinsinnige: Der rechte Läufer Jürgen Werner (1935-2002), rechter Läufer, gehörte ebenfalls der "Studenten-Fraktion" an und spielte den wohl intelligentesten Fußball in dieser Mannschaft. Werner, stets um Fairness bemüht, beeindruckte durch seine weiten Einwürfe.

Der Kapitän: Mittelläufer Jochen Meinke, 79, hielt den "Laden" hinten zusammen, ging stets mit bestem Beispiel voran. Er war enorm zweikampfstark und genoss einen hervorragenden Ruf. In der Oberliga Nord hieß es: Meinke ist immer fair, bei ihm ist Foulspiel auszuschließen.

Der Zerstörer: Dieter Seeler (1931-1979) war linker Läufer des Meister-Teams, bot im Endspiel eine hervorragende Partie. Die Gegenspieler hatten Respekt, denn Uwes Bruder ging stets eisenhart zur Sache.

Der Schweiger: Rechtsaußen Klaus Neisner, 74, hielt sich klug und vorsichtig zurück und aus allem heraus - denn im Angriff hatte der Mittelstürmer das Sagen. Neisner war schnell und stets darauf bedacht, Uwe Seeler zu bedienen.

"Schmidtchen Schleicher": Horst Dehn (1937-2005) war als Halbrechter ein Weltmeister des Freilaufens. Von ihm war während der 90 Minuten nicht ein Ton zu hören.

Der Motivator: Mittelstürmer Uwe Seeler, 73, riss die Kollegen durch sein Spiel mit, und gelegentlich musste er schon mal eine Standpauke halten - mitunter sogar während eines laufenden Spiels.

Der "Zwilling": Der Halblinke Klaus Stürmer (1935-1971) war ein "Pütt un Pann" mit Uwe Seeler, er ging auch dorthin, wo es wehtat, er flog auch oftmals recht spektakulär durch die Lüfte.

Der Clown: Linksaußen Gert "Charly" Dörfel, 70, gehörte in seiner Glanzzeit zu den besten Flügelflitzern der Welt, er gilt als "Erfinder" der Bananenflanken (von links).

Zum Meister-Team gehörten noch Verteidiger Franz Klepacz, 83, und Halbstürmer Peter Wulf (1938-1995).